Nachhaltigkeit
Vor Ort

Fridays for Future macht Druck auf Koalitionsverhandlungen – Protest vor SPD-Zentrale

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"Alle fürs Klima": Die Demonstrierenden wollen mit dem Klimastreik Druck auf die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grüne und FDP ausüben.Bild: imago images / Daniel Lakomski
Vor Ort

Fridays for Future macht Druck auf Koalitionsverhandlungen – Protest vor SPD-Zentrale

22.10.2021, 19:1824.10.2021, 01:50
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Die Menschen, die mit Plakaten aus der U-Bahn-Station kommen, knöpfen ihre Jacke zu. Der Wind pfeift um das Brandenburger Tor, es beginnt zu nieseln. Wer trotzdem hier hergekommen ist, lässt sich vom Wetter nicht abhalten. Fridays for Future (FFF) mobilisiert zum zentralen Klimastreik in Berlin. Nur zwei Wochen nach dem globalen Klimastreik in vielen Städten weltweit. Damals, zwei Tage vor der Bundestagswahl, ging es darum, die Parteien zu mehr Klimaschutz aufzufordern. Jetzt geht es darum, eine mögliche Ampel-Regierung zu mehr Klimaschutz aufzufordern. Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen Druck machen.

Der Klimastreik ist Teil der Aktionstage "Gerechtigkeit Jetzt", zu denen mehrere linke Bündnisse aufgerufen haben. Neben der Demo am Freitag sind in den nächsten Tagen weitere Aktionen geplant. Ort und Zeitpunkt der Aktion sind nicht zufällig gewählt. Hier in Berlin haben die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP begonnen. Ein zentrales Thema der neuen Regierung muss der Klimaschutz sein, fordern die Aktivistinnen und Aktivisten. Das zentrale Thema.

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Mit grünen Fahnen und Pappschildern machen die Demonstrierenden auf ihr Anliegen aufmerksam.Bild: imago images / Daniel Lakomski

Kurz nach 12 Uhr verdichtet sich der Platz vor dem Brandenburger Tor. Die grünen Fahnen und Transparente werden zahlreicher. Doch eins wird schnell klar: Mehrere Zehntausend Teilnehmende, wie vor zwei Wochen, werden es vermutlich nicht. Später wird die Polizei schätzen, dass sich etwa 10.000 Menschen an dem Klimastreik beteiligt haben – auch watson war live bei der Klima-Demo dabei.

"Das Sondierungspapier arbeitet komplett an der eskalierenden Klimakrise vorbei"
Carla Reemtsma, Sprecherin FFF

Der Wind weht Schwärme von Seifenblasen über die bunten Plakate. "What do we want? – Climate justice. When do we want it? – Now", schallt es im Chor. Immer wieder wird die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gefordert. Carla Reemtsma ist die Sprecherin von Fridays for Future. Das Sondierungspapier, das die drei Parteien bisher vorgelegt hätten, arbeite "komplett an der eskalierenden Klimakrise vorbei" kritisiert sie von der Bühne aus. "Die Parteien ignorieren, dass die Klimakrise eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist, auf die wir nicht nur Einzelmaßnahmen brauchen, sondern wirklich sozialgerechte, klimagerechte Antworten, die die gesamte Gesellschaft mitnehmen." Die Menge reagiert mit Applaus.

Ähnlich sehen das auch die Demoteilnehmenden vor der Bühne. "Ich will, dass in den Koalitionsgesprächen auch so viel an Klimaschutz stattfindet, dass es auch tatsächlich etwas bringt", sagt Lea Bockmeier. Sie ist 21 Jahre alt und arbeitet als Krankenschwester. "Von dem, was ich aus den Sondierungsgesprächen mitbekommen habe, wurde halt vieles nicht berücksichtigt. Es muss konkreter werden, so dass man sich auch darauf verlassen kann, dass dann auch alles so gemacht wird."

Doch was sagen eigentlich die jeweiligen Parteien dazu? Nehmen sie den Protest wahr? Und nehmen sie die Forderungen der Aktivistinnen und Aktivisten mit in die Koalitionsverhandlungen? Wenn ja, welche sind ihnen am wichtigsten? Zeit für eine schriftliche Presseanfrage, mit der Bitte um Antwort im Laufe des Tages. Dass eine Antwort gar nicht so leicht zu bekommen ist, wird sich später zeigen.

Milky Chance heizt Fridays for Future ein

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Milky Chance unterstützt den Protest musikalisch.Bild: imago images / Daniel Lakomski

Währenddessen krächzt Milky Chance seine Lieder auf der Bühne. "When we were young souls, on the junk-yard, now we are stunned minds, full of junk-goods". Er sei schon beim letzten Klimastreik dabei gewesen und immer wieder erstaunt, wie viele Menschen zu der Demo kämen, strahlt er zwischen zwei Songs. Doch die Töne des nächsten Lieds vermischen sich mit Sprechchören. "Alerta, Alerta, Antifascista!", ein Slogan, der meistens der links autonomen Szene zugerechnet wird. Der antikapitalistische Block formiert sich.

Als sich der Demozug zwei Songs später in Bewegung setzt, bleibt der antikapitalistische Block zunächst stehen. Offenbar wird mit den FFF-Organisatoren diskutiert, wo er sich einreihen darf. Schließlich darf er, mitsamt polizeilicher Begleitung. Erstes Ziel des Demozugs: das Willy-Brandt-Haus. Vor der SPD-Zentrale sollen die klimapolitischen Forderungen wiederholt werden. 1,5 Grad. Raus aus der Kohle. Bis 2030.

Rangelei zwischen Polizei und Demonstrierenden

Vorne an der Spitze des Zuges scheppert Elektromusik aus den Boxen. Dann deutscher Rap. Während die ersten bereits fast das Willy-Brandt-Haus erreicht haben, steigt aus dem antikapitalistischen Block Rauch auf.

Dann kommt es plötzlich zu einer Auseinandersetzung zwischen der Polizei und Teilnehmenden des Blocks. Die Situation ist unübersichtlich, beruhigt sich dann aber wieder. Später wird ein Polizeisprecher gegenüber watson erklären, es sei zu einem Angriff einer Demoteilnehmerin "mit einer Art Fahnenstange auf eine Einsatzkraft" gekommen. Die Demoteilnehmerin sei daraufhin festgenommen worden. Im Anschluss habe sich eine kurze Rangelei zwischen Polizei und Demonstrierenden ereignet.

In den sozialen Medien kritisieren Demoteilnehmende, die dem antikapitalistischen Block zuzurechnen sind, die mangelnde Solidarisierung der FFF-Organisatoren mit dem Block. Auf Anfrage von watson erklärt eine FFF-Sprecherin im Nachhinein: Aufgrund der Präsenz des antikapitalistischen Blocks sei die Polizei "negativ gestimmt" gewesen. Im Zuge dessen sei es zu "Auseinandersetzungen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten" gekommen. FFF solidarisiere sich mit dem antikapitalistischen Block.

Luisa Neubauer spricht vor Willy-Brandt-Haus: "Wir machen keine halben Sachen"

Von all dem hat an der Demospitze zu diesem Zeitpunkt keiner etwas mitbekommen. Unter lauten Rufen und mit einem "Power to the People"-Transparent marschiert der Zug vor dem Willy-Brandt-Haus ein. Luisa Neubauer steht auf einem Waagen und greift nach dem Mikro: "Liebe SPD", ruft sie, "der Kohleausstieg 2030 kommt also 'idealerweise'. What the fuck? Was denkt ihr euch eigentlich? Wir geben euch gleich idealerweise."

Die rustikale Begrüßung ist eine Reaktion auf die Formulierung im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. "Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030", heißt es dort. Bisher war 2038 geplant.

Doch diese Formulierung reicht den Aktivistinnen und Aktivisten nicht. "Wenn wir jetzt hier stehen und sagen: 'Liebe Regierung, liebe Koalitionspartner: 1,5 Grad' – dann meinen wir das so. Das steht nicht zur Verhandlung. Wir machen keine halben Sachen", ruft Neubauer und stimmt an: "Wir-alle, für-eins-Komma-fünf-Grad".

22.10.2021, Berlin: Klimaaktivistin Luisa Neubauer (l) spricht vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, vor tausenden Protestierenden. Die Aktionstage, zu dem das B
Klimaaktivistin Luisa Neubauer spricht vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, vor tausenden Protestierenden.Bild: dpa / Annette Riedl

Und die SPD? Steht sie zu dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens? Blick auf's Handy. Bisher hat keine Partei auf die Anfrage reagiert. Telefonische Nachfrage bei der SPD. Eine Mitarbeiterin der Pressestelle erklärt, sie sei nicht zitierfähig und könne sich deshalb nicht äußern. Ob die schriftliche Anfrage noch bearbeitet wird, kann sie nicht zusagen.

Mittlerweile wird es stürmischer, leichter Regen setzt wieder ein. Der Demozug teilt sich nun. Ein paar bleiben an der SPD-Zentrale, um hier eine Sitzblockade zu organisieren. Ein Traktor wird aufgefahren, der die Kreuzung vor dem Willy-Brandt-Haus blockieren soll. Die Polizei beobachtet die Aktion, hält sich aber zurück.

Andere spazieren bereits weiter. Kommen aber nicht weit. Am Potsdamer Platz, kurz hinter dem Finanzministerium, wird die Demo gestoppt. Zunächst hieß es von Seiten der Organisatoren, man wolle weiter zu den Parteizentralen der FDP und den Grünen gehen. Jetzt wird über Lautsprecher durchgesagt, dass es eine Unwetterwarnung gibt. Die Demonstrierenden werden aufgefordert, nach Hause zu gehen.

Ein letzter Versuch der telefonischen Nachfrage. Diesmal bei FDP und Grünen. Niemand zu erreichen. Auch auf die schriftliche Anfrage hat bis zur ersten Veröffentlichung dieses Texts keine Partei reagiert. Mögliche Antworten werden an dieser Stelle eingefügt.

Klimahilfen: Großbritannien soll bei Umweltausgaben betrogen haben

Das Jahr 2015 war ein historisches für den Klimaschutz: Auf der Pariser Klimakonferenz einigten sich die Vereinten Nationen verbindlich darauf, die Erderwärmung deutlich zu begrenzen. Alle Staaten sollten sich bemühen, den Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.

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