Die Bluttat von Freudenberg schockiert ganz Deutschland. Der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise löst nicht nur Entsetzen aus. Er hat auch eine Debatte entfacht, die angesichts der Ohnmacht der Betroffenen Fahrt aufnimmt. Denn: Die geständigen mutmaßlichen Täterinnen sind mit zwölf und 13 Jahren nicht strafmündig. Heißt konkret: Sie können rechtlich nicht für das Tötungsdelikt belangt werden. Trotz aller Brutalität, die wohl hinter der Tat steckt. Trotz der "zahlreichen Messerstiche", die Luise den Tod brachten.
Das stößt bei vielen Menschen auf Unverständnis. Zahlreiche Personen machen ihrer Fassungslosigkeit über dieses Gesetz in Deutschland derzeit in den sozialen Medien Luft. "Sie müssen bestraft werden", schreiben einige, etwa auf Tiktok. Andere fordern: "Ändert die Gesetze!" Es ist nur logisch, dass angesichts dieser Bluttat die Emotionen hochkochen. Die Forderungen ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die Mädchen zumindest strafrechtlich nicht belangt werden können. Erst recht nicht bei einer Gesetzesänderung im Nachhinein.
Doch was hat es mit der Strafunmündigkeit bei Kindern auf sich? Watson hat die wichtigsten Fragen und Antworten gesammelt.
In Deutschland haben die beiden mutmaßlichen Täterinnen – zumindest auf strafrechtlicher Ebene – nichts zu befürchten. Die Mädchen sind unter 14 Jahre alt und gelten damit als strafunmündig. Juristisch korrekt sind andere Formulierungen: Das Strafgesetzbuch (StGB) spricht von der "Schuldunfähigkeit des Kindes", das Jugendgerichtsgesetz (JGG) von "strafrechtlicher Verantwortlichkeit" von Jugendlichen.
Das bedeutet für Kinder, die unter 14 Jahre alt sind: Bei ihnen greift das deutsche Strafrecht nicht. Ohne Wenn und Aber. Das Gesetz schützt in Deutschland strafunmündige Täter:innen also ausnahmslos – auch das Jugendstrafrecht greift bei ihnen nicht. Als Jugendliche:r gilt nach dem JGG erst, wer zur Tatzeit zwischen 14 und 18 Jahre alt ist. Bei über 18-jährigen Täter:innen kann bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres das Jugendstrafrecht angewandt werden. Das hängt von der Einschätzung des Richters oder der Richterin ab.
In Deutschland geht der Gesetzgeber davon aus, dass Kinder unter 14 Jahren die Folgen ihrer Handlungen noch nicht vollumfänglich abschätzen können. Demnach wird davon ausgegangen, dass Kinder nicht einsehen können, wenn sie etwas Falsches tun. Das traut die Justiz in Deutschland erst Personen ab 14 zu.
Das gilt ohne Ausnahmen. Also auch dann, wenn ein Kind nach Einschätzung von Expert:innen die erforderliche Reife schon hat. Für die Justiz bleibt das Kind schuldunfähig. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Konsequenzen für Täter:innen unter 14 Jahren gibt. Das betonte auch der Leitende Oberstaatsanwalt in Koblenz, Mario Mannweiler, im Fall der getöteten Luise. Nur, weil die mutmaßlichen Täterinnen nicht belangt werden können, bedeute das nicht, dass "jetzt nichts gemacht" werde.
Zwar sind Täter:innen unter 14 vor strafrechtlichen Konsequenzen geschützt. Die Familiengerichte können aber dennoch verschiedene Maßnahmen anwenden, um Minderjährige zu beeinflussen. Diese richten sich sowohl an die Straftäter:innen als auch an deren Eltern. Mögliche Maßnahmen kann etwa die Anordnung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sein.
In Einzelfällen sind auch schwerwiegendere Maßnahmen möglich, wie der SWR zusammenfasst. Straffällige Kinder können demnach etwa in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht werden. In besonders schweren Fällen ist eine mögliche Konsequenz die Entziehung des Sorgerechts der Eltern. Oder, falls aus Sicht der Entscheidenden angemessen, die Zwangsunterbringung in einer psychiatrischen Anstalt.
Solche familienrechtlichen Maßnahmen sollen nicht die fehlende strafrechtliche Komponente ersetzen. Sie dürfen nur getroffen werden, wenn die Richter:innen sie zur Abwendung einer Gefahr für das Kind als erforderlich ansehen.
Anordnungen wie diese gelten als letztes Mittel. Denn sie bedeuten einen massiven Eingriff in das Leben und die soziale Struktur eines Kindes.
Der Fall der getöteten Luise aus Freudenberg bewegt eine Vielzahl von Menschen in Deutschland emotional. Nicht nur in den sozialen Netzwerken fordern zahlreiche Personen eine Änderung der Gesetze. Sie wünschen sich, dass die mutmaßlichen Täterinnen zur Verantwortung gezogen werden können. Die Debatte zur Sinnhaftigkeit der "Schuldunfähigkeit des Kindes" nach dem Strafgesetzbuch ist entfacht. Auch in Justizkreisen.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft Nordrhein-Westfalen (DPOLG) hat sich für eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters ausgesprochen. "Polizeibeamtinnen und -beamte werden in ihrem täglichen Dienst immer häufiger damit konfrontiert, dass nicht nur Jugendliche, sondern schon bislang strafunmündige Kinder unter 14 Jahren kriminelle Taten begehen", heißt es auf der Website.
Auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat sich dazu geäußert. Gegenüber dem "SWR" sagte er, dass er sich eine Absenkung des Alters von 14 auf 12 Jahren vorstellen könne:
Größer ist die Anzahl der Stimmen, die sich gegen eine Herabsetzung des Strafunmündigkeitsalters ausspricht. Ihrer Meinung nach sollte der Strafvollzug immer das letzte Mittel sein. Mit der Schwelle von 14 Jahren stünde Deutschland zudem im Einklang mit anderen EU-Staaten.
Der Kriminologe Thomas Feltes von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum sagte etwa zu "Focus Online": "Die negativen Wirkungen der Jugendstrafe und des Jugendstrafvollzugs wie hohe Rückfallquoten oder 'kriminelle Ansteckungsgefahr' sind empirisch eindeutig belegt." Erfolgversprechender seien soziale wie erzieherische Maßnahmen.