Deutschland ist und bleibt eine Auto-Republik: Der Verkehrssektor ist in Deutschland der einzige Sektor, der im Jahr 2022 höhere Emissionen als im Vorjahr verzeichnete – und damit erneut die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte überschritt. Aber auch der Gebäudebereich und die Energiewirtschaft verzeichneten einen erhöhten Emissionsausstoß. Das geht aus aktuellen Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) hervor, die im März veröffentlicht wurden.
Insgesamt sind die Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr leicht um 1,9 Prozent gesunken. Deutschlandweit wurden 746 Millionen Tonnen der klimaschädlichen Treibhausgase freigesetzt. Das sind rund 15 Millionen Tonnen weniger als noch 2021 und etwa zehn Millionen Tonnen weniger, als der im Klimaschutzgesetz des Bundes festgelegte Höchstwert von 756 Millionen Tonnen.
Das Klimaschutzgesetz des Bundes schreibt seit 2020 jährlich kontinuierlich sinkende Jahresemissionsmengen für die einzelnen Sektoren vor. So soll der CO₂-Ausstoß bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein.
Damit, dass der Verkehrssektor Sorgenkind der deutschen Klimapolitik bleiben würde, hatten Expert:innen und Verbände fest gerechnet. "Im Verkehr fehlt ein auch nur im Ansatz schlüssiges Konzept, wie dieser Sektor auf die Ziellinie gebracht werden soll", kritisiert Energie-Experte Volker Quaschning gegenüber watson.
Dass die Ziele des Klimaschutzgesetzes temporär nicht eingehalten werden könnten, sei zu erwarten gewesen. Wenn Deutschland aber dauerhaft seine Klimaschutzziele verfehle, würde damit auch die Glaubwürdigkeit gegenüber der Weltgemeinschaft verspielt. "Und das hat wiederum fatale Auswirkungen auf die globale Entwicklung, da andere Länder sich hinter dem deutschen Klimaschutzversagen verstecken werden", räumt Quaschning ein.
Deswegen sei es umso fataler, dass seit Monaten zahlreiche Gesetzesprozesse blockiert würden. Julia Schade, Referentin für nationale Klimapolitik bei der Klima-Allianz Deutschland, erklärt watson:
Auch das Klimaschutzsofortprogramm für alle weiteren Sektoren bis 2030 sowie das von Bundeskanzler Scholz versprochene Energieeffizienzgesetz würden noch nicht vorliegen. Da ist es fraglich, ob die für den Verkehr und Gebäude zuständigen Ministerien dies – wie eigentlich vorgesehen – im Laufe der nächsten drei Monate nachholen werden.
Allem voran im Verkehr bräuchte es ein radikales Umsteuern: "Der Bundeskanzler trägt die politische Verantwortung für diesen Rechtsbruch und die Geisterfahrt der FDP beim Klimaschutz", betont Schade. Er dürfe die Arbeitsverweigerung nicht länger tolerieren und müsse wirksame Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen einfordern.
Dadurch, dass Scholz diesem nicht nachkomme, laufe er Gefahr, dass nun Gerichte die Bundesregierung zum Handeln verurteilen. Denn weil die Regierung gegen geltendes Recht verstößt, hatten die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der BUND beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Klage eingereicht.
"So wie Herr Wissing, aber auch zahlreiche andere Politiker:innen argumentieren und handeln, fehlt ihnen jedwedes Verständnis über die Zusammenhänge der drohenden Klimakatastrophe", sagt Quaschning. Noch immer sei der Klimaschutz für große Teile der FDP und CDU nach wie vor lediglich "Nice-to-Have". Er ergänzt:
An Wissing gerichtet, fügt Quaschning hinzu: "Machen Sie endlich eine Politik, bei der Sie am Ende Ihres Lebens nicht mit tiefster Scham in den Spiegel schauen müssen."
Welche Maßnahmen dazu beitragen können, die Emissionen im Verkehrssektor schnell zu drosseln, darüber herrscht unter Klima-Expert:innen größtenteils Konsens:
Aber auch im Gebäudebereich müsste die Bundesregierung nachlegen: "Wir fordern, den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen schnellstmöglich zu verbieten und durch gezielte Förderung und eine Reform der Modernisierungsumlage sozial zu flankieren", sagt Klima-Expertin Schade. In allen Sektoren müsse die fossile Abhängigkeit beendet und eine konsequente Umstellung auf die Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz stattfinden.
Vorbildcharakter hätte Schade zufolge unter anderem Dänemark. Dort wurde bereits 2012 ein Gesetz in die Wege geleitet, das den Neueinbau von Gas- und Ölheizungen verbietet. 2016 wurde das Gesetz auf bereits bestehende Gebäude ausgeweitet. Schade fügt hinzu:
Eine solche Maßnahme käme auch den deutschen Klimazielen zugute. Im Energiesektor waren die Emissionen im vergangenen Jahr laut dem Umweltbundesamt um 4,4 Prozent auf 256 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gestiegen. Die Emissionen durch Stein- und Braunkohlekraftwerke sind bereits zum zweiten Mal in Folge gestiegen, was auch mit Engpässen der Erdgaslieferungen aufgrund des Ukraine-Kriegs zusammenhängt. Der Gasverbrauch war daher im Vergleich zum Vorjahr um 10,8 Prozent gesunken.
"Wirksamer Klimaschutz wird derzeit von Machtspielen innerhalb der Koalition untergraben", kritisiert Schade. Dafür aber ist längst keine Zeit mehr. Die Zeit, um die Schäden aufgrund der Erderhitzung noch einzudämmen, wird immer knapper.
Das sieht auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, ähnlich. Er sagt: "Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden." Seit 2010 waren es im Schnitt aber nicht einmal zwei Prozent. Da fällt auch die diesjährige Reduktion nicht aus der Reihe.
(Mit Materialen von afp)