"Einhörner der Meere" verstummen: Forscher besorgt wegen arktischer Narwale
Warum Narwale auch als "Einhörner der Meere" bezeichnet werden, wird spätestens klar, wenn man ein männliches Exemplar sieht. Die besitzen nämlich etwas, was einem langen, gedrehten Horn ähnelt – ganz ähnlich wie bei den vierbeinigen Fabelwesen. In Wahrheit handelt es sich aber nicht um ein Horn, sondern um einen verlängerten Eckzahn, der bis zu drei Meter lang werden kann.
Schon lange wird über den Sinn und Zweck dieses Stoßzahns spekuliert. Manche glauben, die Wale würden damit Fische aufspießen oder die dicke Eisdecke in arktischen Gewässern durchstoßen. Neuesten Untersuchungen zufolge ist der Stoßzahn mit Millionen Nervenenden ausgestattet, sodass er auch als Sinnesorgan dienen kann.
Was man sicher sagen kann, ist, dass die Narwale wie auch andere Arten mittels Klick- und Pfeiflauten unter Wasser miteinander kommunizieren. Doch in den arktischen Gewässern, wo die marinen "Einhörner" zu Hause sind, nimmt der Schiffsverkehr von Jahr zu Jahr zu. Und das hat schwere Konsequenzen.
Narwale reagieren sehr empfindlich auf Schiffslärm
Eine aktuelle Studie legt nahe, dass die Schiffe die Kommunikation der Meeressäuger erheblich stören. Wenn sie größeren Schiffen begegnen, würden die Narwale buchstäblich verstummen, erklären die beteiligten Forscher:innen dem "Guardian".
"Narwale hören auf zu rufen oder entfernen sich von sich nähernden Schiffen, wenn sie diese hören", erklärt Alexander James Ootoowak, der Teil des Forschungsteams ist.
Das liegt offenbar daran, dass beispielsweise riesige Eisbrecher eine dichte Schallwand verursachen, da durch die Schiffsschraube Millionen Luftblasen entstehen.
Besonders alarmierend: Die Studie zeigt, dass Narwale auf Schiffslärm reagieren, selbst wenn sich der Schiffsrumpf bis zu 20 Kilometer entfernt befindet. Das übersteigt frühere Annahmen bei weitem — vorher glaubte man, die Störung reiche nur wenige Kilometer weit.
Das ist durchaus besorgniserregend, denn die Kommunikation über Pfeif- und Klicklaute ist für die Narwale überlebenswichtig. Auf ihre Sicht können sich die Narwale in den trüben, arktischen Gewässern oft nicht verlassen. Wird ihr akustisches Umfeld ständig von künstlichem Lärm dominiert, leidet der Orientierungssinn der Wale und auch die Suche nach Nahrung oder Partnern wird erschwert.
Tierschützer:innen fordern deshalb schon seit Längerem, den Schiffslärm in bestimmten Gebieten deutlich zu reduzieren.
Tierschützer fordern Lärmreduzierung im Meer
"Ich habe noch keine Meeresart gefunden, die völlig immun gegen Lärm oder Vibrationen jeglicher Art ist", sagt die in Halifax ansässige Meeresbiologin Lindy Weilgart laut "Guardian". Deshalb steht für sie fest: "Es kann nicht früh genug gehandelt werden".
Die Lärmverschmutzung im Meer lässt sich durch verschiedene Maßnahmen verringern: Schiffe können beispielsweise angewiesen werden, sensible Meeresgebiete zu umfahren oder ihre Schiffsgeschwindigkeit zu verringern. Auch die Nutzung fortschrittlicher Schiffschrauben, die weniger Wasserblasen verursachen, stellt eine Option dar.
Diese Lösungsansätze werden aber wohl nicht überall zeitnah umgesetzt werden. "Die Schifffahrtsbranche ist eine sehr konservative Branche, daher brauchen Veränderungen Zeit", erklärt ein Schiffsarchitekt gegenüber dem "Guardian".
Narwale attackieren Unterwasser-Mikros
Um ihre Forderungen zu untermauern, versuchen Forscher:innen die Kommunikation von Walen besser zu verstehen. Entscheidend dafür sind Unterwasser-Mikros, die eigentlich unauffällig das Verhalten von Meerestieren aufzeichnen sollen. Bei einer weiteren Untersuchung in Grönland sind Forschende allerdings von Narwalen überrascht worden.
Die Wale interagierten zwischen 2022 und 2024 nämlich ganze 247-mal mit im Meer platzierten Geräten, berichtet der "Standard". Warum sie das machen, ist nicht ganz klar. Die Wissenschaftler:innen vermuten, dass die Wale die Mikros womöglich für Beute hielten oder einfach neugierig waren.
Das ist auch eine Vermutung lokaler Inuit-Gruppen, die bei der Platzierung der Mikros halfen. Obwohl die Tiere die Funktion der Messgeräte beeinträchtigten, liefern die Beobachtungen wertvolle Erkenntnisse. Sie zeigen, wie stark Wildtiere mit menschlicher oder wissenschaftlicher Infrastruktur interagieren – ein Wissen, das helfen kann, Störungen zu minimieren.
In Sachen Lärmreduzierung gibt es zumindest vereinzelt positive Entwicklungen. In Kanada besteht etwa seit zehn Jahren eine Kooperation zwischen der Vancouver Hafenbehörde, der Regierung, indigenen Gemeinschaften sowie Schiffsunternehmen. Letztere haben sich bereit erklärt, die Geschwindigkeit ihrer Schiffe freiwillig zu reduzieren oder bestimmte Gebiete zu umfahren, die für die örtliche Orca-Population von großer Bedeutung sind.
