Merle Frohms brilliert im Tor mit Glanzparaden und musste bisher lediglich ein unglückliches Gegentor gegen Frankreich hinnehmen. Lina Magull sorgt für Kreativität und Torgefahr aus dem Mittelfeld und Kapitänin Alexandra Popp für Tore am Fließband. Lena Oberdorf hingegen hat bei der Frauen-Europameisterschaft bisher weder einen Treffer erzielt, noch ein Tor vorbereitet.
Und dennoch ist die 20-Jährige der heimliche Star im DFB-Team. Die Wolfsburger Mittelfeldspielerin hat einen enorm großen Anteil am Erfolg der deutschen Mannschaft und dem Einzug ins Finale.
Wenn die DFB-Elf am frühen Sonntagabend vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley Stadion auf England trifft, wird Oberdorf eine Schlüsselrolle zukommen.
Auf "Obi", wie sie von ihren Mitspielerinnen genannt wird, kommt im Endspiel die schwierige Aufgabe zu, die beste Offensive des Turniers (20 Treffer) in Schach zu halten. Zutrauen darf man ihr das. Nicht umsonst hat das DFB-Team in diesem Turnier erst lediglich einen Gegentreffer hinnehmen müssen.
Wenn jemand die englischen Angriffe in diesem Turnier clever unterbinden kann, dann wohl die Mittelfeldspielerin. Bereits nach dem Viertelfinalsieg über Österreich gab es für sie ein Sonderlob von der Bundestrainerin. "Mit Anfang 20 so eine reife Leistung zu zeigen, das beweist, dass sie eine große Zukunft vor sich hat", sagte Martina Voss-Tecklenburg.
Schon jetzt zeigt die 20-Jährige, dass sie zu den besten Mittelfeldspielerinnen der Welt gehört – und das nicht erst seit ihrer erneut starken Leistung beim 2:1-Erfolg über Frankreich.
Oberdorf beeindruckt über das gesamte Turnier hinweg mit einem unglaublich guten Stellungsspiel. Sie läuft Lücken zu und fängt Pässe ab, bevor der Gegner diese Räume erkennt und gefährliche Angriffe starten kann. Woher diese unglaubliche Klasse in ihrer Antizipation von Spielsituationen schon jetzt kommt, kann sie selbst nicht beantworten.
"Gute Frage, keine Ahnung – ich glaube, das sind die kleinen Spielformen, die wir im Training machen", mutmaßt sie nach dem Halbfinalsieg im ZDF.
Dabei ist Oberdorf elementar für das deutsche Spiel: Wenn die deutschen Offensivspielerinnen früh das Spiel des Gegners stören, braucht es dahinter eine wachsame Absicherung, für den Fall, dass sich das gegnerische Team aus der Situation mit flachen oder hohen Pässen befreien kann.
In diesen Fällen war Oberdorf zur Stelle. Obwohl sie nur 1,74 Meter groß ist, gewinnt sie viele Kopfballduelle und ist auch in Eins-gegen-Eins-Duellen nur schwer auszuspielen.
Das ist auch der Grund, warum sie in einem Youtube-Video des DFB von Alexandra Popp auch den Spitznamen "Bodyguard" verpasst bekommen hat.
"Ich liebe es, wenn es physisch zur Sache geht", beschreibt sie ihre eigene Spielweise. Dabei kann es auch mal härter – und für ihre Gegenspielerin – bisweilen schmerzhaft werden. Schließlich gehört zu ihrer Art Fußball auch, "dass es mal kracht."
Oberdorf ist der perfekte Mix aus ihren Vorbildern Sergio Busquets, dessen strategisches Denken auf dem Feld sie verkörpert, sowie der Zweikampfstärke und Härte von Sergio Ramos.
Zeitgleich ist sie auch Vorbild für ihren großen Bruder Tim, der in der 2. Bundesliga bei Fortuna Düsseldorf im defensiven Mittelfeld spielt.
"Dadurch, dass wir dieselbe Position spielen, haben wir oft dieselben Herausforderungen. Wenn ich bei ihr eine Lösung sehe, die ich noch nicht genutzt habe, dann denke ich schon mal: Das könnte ich auch mal versuchen", sagte der 25-Jährige kürzlich der "Bild"-Zeitung.
Hinzu kommt, dass sich die DFB-Frauen gegenseitig zu Höchstleistungen pushen. Stürmerin Alexandra Popp erklärte nach dem Halbfinale: "Ich bin schon seit zehn Jahren bei der Frauen-Nationalmannschaft dabei – und so einen Teamspirit, so ein Teamgefüge habe ich ganz ehrlich noch nie erlebt."
Das setzt auch bei Oberdorf zusätzliche Energie frei, um die wichtigen Meter in Zweikämpfen oder zur Balleroberung zu gehen. "Mit den Leuten, die neben dir spielen, hat man das Gefühl, dass man nicht kaputt gemacht werden kann."
Das ist auch Jürgen Klopp nicht verborgen geblieben. Er schickte dem Team vor dem Halbfinale eine Videobotschaft und zeigte sich begeistert vom Spielstil der DFB-Elf.
"Wenn ein Trainer wie Kloppo solche Worte an die Mannschaft richtet und sagt, dass er unseren Fußball liebt, haben wir einiges richtig gemacht. Weil ich glaube, er ist nicht so einfach zu begeistern."
Begeistern will das DFB-Team auch wieder am Sonntag im Finale. "Wir wollen Wembley zum Schweigen bringen", lautete die Ansage von Kapitänin Alexandra Popp auf der Pressekonferenz am Freitag.
Dann könnte Lena Oberdorf ihre Saison nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft und dem DFB-Pokal mit dem VfL Wolfsburg krönen. Was die Zukunft angeht, bleibt Oberdorf trotz möglichem EM-Titel bescheiden. "Ich will dran bleiben und weiter lernen."