17,9 Millionen Menschen schalteten am 31. Juli den Fernseher ein, um das Finale der Frauen-Fußball-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Gastgeber England zu gucken – neuer Rekord für ein Spiel der Frauen-Nationalmannschaft.
Jetzt, 47 Tage später, startet die Bundesliga-Saison der Frauen mit der Partie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern München (Freitag, 19.15 Uhr).
Zum Auftakt wird das erste Spiel im Frankfurter Deutsche Bank Park – also dort, wo sonst das Männerteam in der Bundesliga spielt – stattfinden. Dadurch sollen angemessene Rahmenbedingungen geschaffen werden, um dem Start der neuen Spielzeit eine große Bühne zu geben und den EM-Hype auch in die Bundesliga mitzunehmen.
Dazu soll auch die Übertragung im Free-TV auf Eurosport beitragen. Inwiefern der EM-Hype aber überhaupt bei den Vereinen angekommen ist, fällt aber ganz unterschiedlich aus.
Lena Oberdorf vom VfL Wolfsburg merkt die Euphorie auf jeden Fall. Die Nationalspielerin, die während der Europameisterschaft zu den Leistungsträgerinnen zählte, hatte vor dem Turnier Anfang Juli auf Instagram 84.000 Follower:innen. Jetzt steht sie bei 220.000. Oberdorf erklärte den Hype in einer Medienrunde: "Es wird immer mehr. Wenn ich an der Ampel stehe, wird gehupt und ich werde auf jeden Fall mehr erkannt."
Die gesteigerte Wahrnehmung der Nationalspielerin bekommt auch der VfL Wolfsburg mit. Insgesamt zehn Vize-Europameisterinnen stehen bei den Wölfen unter Vertrag. Das erhöhte das Medieninteresse dermaßen, dass Einzelinterviews selten geführt werden und die Spielerinnen in größeren Runden mit den Medien sprechen.
Ähnlich sieht es auch beim zweiten großen Verein im Frauenfußball aus: dem FC Bayern. Gegenüber watson bestätigt Bianca Rech, die sportliche Leiterin der Frauen-Mannschaft: "Das gesteigerte Medieninteresse und die Begeisterung der Fans ist deutlich zu spüren." In München bestünde die Hoffnung, dass die Euphorie auch mit in den Alltag der Bundesliga gebracht werden könne. Anzeichen dafür gibt es.
Zum Beispiel die Testspiele gegen Brighton und Atlético Madrid, bei denen das Interesse laut Rech "sehr groß" gewesen sei. "Gegen Atlético Madrid durften wir über 1.500 Zuschauer am FC Bayern Campus begrüßen. Das war schon sehr besonders", ergänzt Rech.
Auch bei Eintracht Frankfurt sind die Verantwortlichen leicht positiv gestimmt. Auf watson-Anfrage teilt der Verein mit, dass zu den Testspielen in der Vorbereitung insgesamt mehr Fans gekommen wären. Erstmals seien auch bei einer internationalen Vorbereitungspartie in Rennes, sowie dem Quali-Turnier zur Champions League in Dänemark rund 60 Fans mitgereist.
Außerdem habe sich das Medieninteresse an Spielerinnen von Eintracht Frankfurt enorm gesteigert. Der Verein verweist insbesondere auf Nationalspielerin Laura Freigang. Sie spielte zwar während der EM nur wenige Minuten, dafür startete sie aber auf Instagram durch, bekam große Aufmerksamkeit.
So wie diesen drei Vereinen ergeht es allerdings nicht allen. Während die ersten drei Klubs der vergangenen Saison weiterhin klare Anzeichen der Euphorie bemerken, hat sich die Situation bei kleineren Teams wenig oder gar nicht verändert.
André Malinowski, Sportlicher Leiter der Frauen des SC Freiburg, erklärt auf watson-Anfrage, dass er keine Veränderung im Vergleich zu vor der Europameisterschaft spüre. Er fügt aber an, dass man eine weitere "Entwicklung" nach Start der Bundesliga-Saison abwarten müsse.
Gleichzeitig ordnet er ein, dass es "sicherlich auch einen Unterschied macht, ob sich Zuschauer ohne großen Aufwand im TV EM-Spiele anschauen oder wirklich ins Stadion kommen." Zusätzlich fänden die großen Turniere der Nationalmannschaften "zumeist auch dann statt, wenn das Fußball-Angebot überschaubarer ist."
Auch andere Klubs berichten gegenüber watson davon, dass der EM-Hype bei ihnen noch nicht angekommen sei. Weder was das Ausmaß an Medienanfragen angeht, noch das Fan-Interesse. Bei Turbine Potsdam sei der Andrang bei Trainingseinheiten und Testspielen "unverändert". Gleiches gilt auch für die Aufsteiger MSV Duisburg und SV Meppen. Bayer Leverkusen teilt die gleiche Einschätzung.
In Meppen sei beispielsweise der Trainingsbetrieb "gleichbleibend dezent" besucht gewesen, teilt Maria Reisinger, Sportliche Leiterin gegenüber watson mit. "So ganz viele Leute verlieren sich nicht zum Training des/der Frauenteams. Ähnlich ist es mit der Resonanz bei den Vorbereitungsspielen. Zuletzt gegen Gütersloh waren es circa 250 Besucher."
Im Gespräch mit watson äußerten einige Vereinsvertreter die Theorie, dass das gesteigerte Interesse bei den großen Klubs stark an die Spielerinnen gekoppelt sei, die bei der Europameisterschaft für Furore gesorgt hätten. Da beispielsweise weder Duisburg noch Leverkusen deutsche A-Nationalspielerinnen im Kader hat, scheint es so, als würde sich auch die EM auf diese Klubs nicht auswirken.
Um die Euphorie aber auch bei kleineren Vereinen zu entfachen, steigen viele Klubs auf die Stadien ihrer Profi-Herrenteams um, anstatt die Frauen auf besseren Trainingsplätzen spielen zu lassen. Das soll einerseits zum "Equal Play"-Gedanken beitragen, andererseits auch für Fans attraktiver sein. Der SV Meppen und der MSV Duisburg spielen demnach die gesamte Saison im Stadion der Herren, was theoretisch über 13.000 und über 30.000 Zuschauer fassen könnte.
Die TSG Hoffenheim wird das erste Heimspiel am zweiten Spieltag gegen Wolfsburg ins Herrenstadion verschieben – weitere solcher Spiele sind denkbar. Bianca Rech von den Bayern teilt mit: "Wir haben bereits in der letzten Saison vor einer tollen Kulisse in der Allianz Arena gespielt und werden uns auch weiterhin Gedanken machen, ob und wann es eine Wiederholung geben kann." Ähnlich ist die Lage auch bei Eintracht Frankfurt, wo das Eröffnungsspiel am Freitag bereits im Stadion gespielt wird.
Im weiteren Saisonverlauf muss bei den Hessen allerdings geprüft werden, ob Frauenspiele im Stadion möglich sind. Der Grund: Die vielen Partien der Herren, besonders durch die Champions League und den Ruhezeiten, die der Rasen braucht, machen weitere Spiele im Deutsche Bank Park schwer.
Um nachhaltig das Interesse am Frauenfußball aufrecht zu halten, erachten es viele Vereine als wichtig, im Free-TV einen Sendeplatz zu bekommen. Dadurch würde die Sichtbarkeit für den Sport erhöht werden.
Ab der Saison 2023/24 wird es bis 2026/27 eine neue Rechteperiode geben. Die Gerüchte um einen Einstieg von Dazn und Sky halten an. Mit damit verbunden sollen exklusive Terminplätze für die Frauen sein – allerdings am Montagabend.
Vize-Europameisterin Lena Oberdorf hat dazu eine klare Meinung: "Ich finde, wir sollten so spielen, dass möglichst viele Zuschauer kommen können. Wenn das an einem Montagsspiel besser möglich ist, dann lasst uns am Montag spielen. Aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass montags mehr Menschen ins Stadion kommen als am Wochenende."
Bei den Herren gab es sowohl in der 1. als auch in der 2. Bundesliga jahrelang Montagsspiele. Unter heftiger Fan-Kritik wurden sie wieder abgeschafft. Bei den Klubs der Frauen-Bundesliga ist die kritische Meinung allerdings nicht so verfestigt.
Reisinger vom SV Meppen erzählt gegenüber watson: "Der Frauenfußball bedarf der Wahrnehmung und Präsenz, um ihn weiter vermarkten und weiter entwickeln zu können. Wir dürfen uns da neuen oder anderen Ansätzen nicht verschließen."
Kurz später fügt sie allerdings an, dass der Frauen-Fußball oftmals vom familiären Zuschauerklientel geprägt sei. Spiele unter der Woche könnte dieser Fangruppe wiederum einen Stadionbesuch erschweren.
Malinowski vom SC Freiburg fügt noch an, dass "die meisten Frauen (noch) keine Vollprofis" seien. Demnach könnten sogar die Spielerinnen selbst Probleme bekommen, zu ihren Partien zu kommen, was wiederum nicht für eine Euphorie sorgen würde, wenn einige Mannschaften an einem Montag nicht mit dem gesamten Kader anreisen kann.