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HSV: Was die Wahl von Marcell Jansen zum Aufsichtsratsvorsitzenden bedeutet

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Marcell Jansen: Mit 34 Jahren Präsident des Hamburger SV e. V. und nun auch Aufsichtsratsvorsitzender der HSV Fußball AG.Bild: imago images/Sven Simon/jan kuppert
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"Wohl und Wehe": Was Marcell Jansens Wahl für den Hamburger SV bedeutet

30.03.2020, 18:48
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Am Samstagnachmittag war es nach einer über vierstündigen Sitzung beschlossene Sache: Mitten in der Corona-Krise haben sich die Machtverhältnisse beim Hamburger SV komplett verschoben. Spötter des seit Jahren krisengebeutelten ehemaligen Bundesligadinos würden sagen: Alles wie immer, Normalzustand.

Der erst 34-Jährige Ex-Profi Marcell Jansen ist als Chef des Kontrollgremiums zum neuen starken Mann des Zweitligisten aufgestiegen. Neben seinem Amt als Präsident des Gesamtvereins Hamburger SV e. V. ist der frühere Nationalspieler, der für Mönchengladbach, Bayern München und Hamburg aktiv war, jetzt auch der mächtige Vorsitzende des Aufsichtsrates der HSV Fußball AG.

Mit Ämtern beim HSV kennt er sich aus. Hier trägt Jansen die Kapitänsbinde.
Mit Ämtern beim HSV kennt er sich aus. Hier trägt Jansen die Kapitänsbinde.bild: imago/Claus Bergmann

Hamburger SV: So wurde Marcell Jansen neuer Aufsichtsratsvorsitzender

Und das kam so: Der HSV trennte sich am Samstag mit sofortiger Wirkung von Bernd Hoffmann, der bis dato an der Spitze des Vorstands stand. Laut Medienberichten fiel eine Abstimmung unter den sieben Aufsichtsratsmitgliedern mit 5:2 gegen Hoffmann aus. Seinem Aus nach knapp zweijähriger Amtszeit war ein seit langem schwelender Streit zwischen ihm, Sportvorstand Jonas Boldt und Finanzvorstand Frank Wettstein vorausgegangen. Kompetenzübertritte und Alleingänge beziehungsweise mangelnde Teamfähigkeit Hoffmanns sollen zu Differenzen geführt haben.

Es fiel also die Entscheidung, anstelle von Hoffmann mit Boldt und Wettstein weiterzumachen. Ein Beben, das weitere Konsequenzen hatte: Die Aufsichtsräte Max-Arnold Köttgen und Thomas Schulz, Vertraute von Hoffmann, traten daraufhin von ihren Ämtern im Kontrollgremium zurück. Damit war der Weg für Marcell Jansen zum Aufsichtsratsvorsitzenden frei.

Bernd Hoffmann (l.) und Marcell Jansen im Februar dieses Jahres.
Bernd Hoffmann (l.) und Marcell Jansen im Februar dieses Jahres.Bild: imago images/Sven Simon/elmar kremser

Die neue HSV-Spitze heißt also nun Jansen-Boldt-Wettstein. "Wir können uns in dieser schwersten Krisenzeit des gesamten Profifußballs keine Energieverluste und belasteten Vertrauensverhältnisse leisten", begründete Jansen die Entscheidung gegen Hoffmann und für dessen Vorstandskollegen Boldt und Wettstein. "Der volle Fokus muss auf die HSV-Interessen gerichtet sein."

HSV-Experte: "Etwas überraschend"

Marcus Scholz, Autor vom HSV-Blog "Rautenperle", ordnet den plötzlichen Aufstieg Jansens im Gespräch mit watson wie folgt ein: "Es ist insofern etwas überraschend, denn es hat sich nicht abgezeichnet, dass Köttgen zurücktreten würde." Anderseits sei es aber nicht überraschend, dass Jansen nun nächster Aufsichtsratsvorsitzender geworden ist: "Es war sowieso mal angedacht, dass immer der e.-V.-Präsident am Ende auch in der AG den Vorsitz des Aufsichtsrats besetzt", erklärt Scholz.

Marcus Scholz schreibt für den HSV-Blog "Rautenperle" über seinen Herzensklub.
Marcus Scholz schreibt für den HSV-Blog "Rautenperle" über seinen Herzensklub.screenshot: youtube/rautenperle

Was der Machtwechsel kurzfristig für den HSV bedeutet, das sei schwer zu sagen: "Jansen wird versuchen, das zu tun, was er immer schon proklamiert hat: Auf Einigkeit setzen, den Schulterschluss mit der Basis suchen. Was es inhaltlich genau bedeutet, das kann ich nicht genau sagen. Auf jeden Fall wird er unter großer Beobachtung stehen. Da muss er sich erstmal beweisen."

Marcell Jansen: Von Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern, Karriereende beim HSV mit 29 Jahren

Auf dem Fußballplatz gelang Jansen das vor 16 Jahren, als seine Profikarriere begann, ziemlich gut. Als Nachwuchstalent bei Borussia Mönchengladbach setzte er sich unter dem niederländischen Trainer Dick Advocaat in der Bundesliga durch, verdrängte damals die Platzhirsche Filip Daems und Christian Ziege. Jansen avancierte 2005 zum Nationalspieler, wechselte 2007 zum FC Bayern, mit dem er 2008 das Double holte. Den Durchbruch beim Rekordmeister schaffte er nicht, Jansen wechselte nach nur 17 Einsätzen zum Hamburger SV, wo er den größten Teil seiner Karriere verbrachte – und diese im Jahr 2015 nach Ablauf seines Vertrags auch beendete. Mit nur 29 Jahren.

Das waren noch Zeiten: Jansen war "das beste Fohlen im Stall", US-Keeper Kasey "Crazy" Keller hütete das Gladbacher Tor und die Fans wollten "nur den Klassenerhalt".
Das waren noch Zeiten: Jansen war "das beste Fohlen im Stall", US-Keeper Kasey "Crazy" Keller hütete das Gladbacher Tor und die Fans wollten "nur den Klassenerhalt".bild: imago images/sven simon

Für viele kam das überraschend, denn mit 29 hat man als Fußballer eigentlich noch drei, vier, vielleicht sogar fünf gute Jahre vor sich. Ex-Bundestrainer Rudi Völler konnte Jansens jähes Karriereende damals nicht fassen: "Dafür habe ich kein Verständnis. Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt."

Der junge Marcell Jansen (r.) muss ein Gegentor des Lokalrivalen Bayer Leverkusen verdauen.
Der junge Marcell Jansen (r.) muss ein Gegentor des Lokalrivalen Bayer Leverkusen verdauen.bild: imago images/eduard bopp

Völler prägte damit ein geflügeltes Fußballwort; Jansen sagte im Jahr 2019 rückblickend über seine Entscheidung: "Als mein Hobby mit 18 Jahren zum Beruf wurde, hatte ich es verloren. Ich habe mir aber immer gewünscht, den Fußball auch als Hobby zurückzuerhalten."

Profitum gegen Breitensport und Business getauscht: Marcell Jansen der Unternehmer

Jansen tauschte im besten Fußballeralter Profitum gegen Breitensport und Business: Er spielte fortan für die dritte Mannschaft des HSV in der Oberliga und widmete sich anderen Projekten. Der 1,91-Meter-Mann betätigte sich als Unternehmer, investierte in diverse Start-ups, unterstützte Gründer. Mit TV-Koch Steffen Henssler führt er das Restaurant Kinneloa in Hamburg, außerdem betreibt er in der Hansestadt mehrere Sanitätshäuser.

Der 34-Jährige hat bereits in jungen Jahren eine bemerkenswerte berufliche Karriere hingelegt. Innerhalb von nur fünf Jahren vom Außenverteidiger zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Hamburger SV.

Marcus Scholz von "Rautenperle": "Das kann sehr hilfreich sein, wenn jemand aus der Materie kommt"

Kann die sportliche Expertise eines Ex-Profis, der noch gar nicht so lange aus dem aktiven Geschäft raus ist, dem HSV in Zukunft helfen? "Rautenperle"-Autor Marcus Scholz ist da noch ein wenig unentschlossen: "Wohl und Wehe: Das kann auf jeden Fall sehr hilfreich sein, wenn jemand aus der Materie kommt und sie gut kennt. Allerdings ist es manchmal auch hinderlich, weil die Leute dann besonders viel mitreden wollen. Ich weiß aber, dass Jonas Boldt und Marcell Jansen gerade in den vergangenen Wochen und Monaten inhaltlich viele Übereinstimmungen und eine gute Kommunikation hatten." Das könne dem HSV in Zukunft gut tun, glaubt Scholz.

Yummy: Marcell Jansen (r.) präsentiert mit TV-Koch Steffen Henssler "California Street Kitchen".
Yummy: Marcell Jansen (r.) präsentiert mit TV-Koch Steffen Henssler "California Street Kitchen".Bild: imago images / Michael Wigglesworth

Die wirtschaftliche Expertise von Jansen mag der HSV-Experte nicht beurteilen: "Er hat durch seine verschiedenen Unternehmen mit Sicherheit Einblicke genossen, die ihm helfen werden. Aber ob er jetzt schon der Aufsichtsratsvorsitzende eines HSV mit über 100 Millionen Euro Umsatz und dergleichen sein kann? Schwer zu sagen." Allerdings habe man mit Wettstein einen Finanzvorstand, der sich mit Zahlen auskenne. Scholz ist sicher: "Am Ende ist es eine repräsentative Nummer für den HSV. Jansen ist ein sympathisches Gesicht, so wird er auch bislang in der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen."

Marcell Jansen kommt bei den HSV-Fans gut an

Bei der Basis des Klubs, den Fans, kommt Jansen laut Scholz jedenfalls sehr gut an. Vor allem, dass er beim HSV III nochmal als Amateurspieler seine Knochen hielt, rechneten die Fans ihm hoch an. "Er wird daher kein Problem haben, an die Leute heranzukommen, was den Faktor Sympathie betrifft. Am Ende wird's das inhaltliche Wirken sein und die Nähe zu Kühne, – die jetzt unter besonderer Beobachtung steht."

Haut gern auf den Tisch: Klaus-Michael Kühne.
Haut gern auf den Tisch: Klaus-Michael Kühne.Bild: imago images / Carsten Dammann

Mit Kühne ist der 82-jährige Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne gemeint. Der Milliardär mit Wohnsitz in der Schweiz hält 20,6 Prozent an der HSV Fußball AG, unterstützt den Klub aus seiner Geburtsstadt seit Jahren mit großzügigen Finanzspritzen. Jansen gilt als Mann seines Vertrauens, heißt es nun in vielen Medienberichten. Der Investor hatte zuletzt einmal mehr eine Neuaufstellung der Führungsetage gefordert und gilt als Jansen-Befürworter. Was er vom geschassten Ex-Vorstand Hoffmann hielt, hatte er nie verhehlt: wenig bis nichts. Dass er einen Wechsel an der Vorstandsspitze wünsche, machte er erst vor wenigen Tagen noch einmal klar.

Hoffmann hatte versucht, die Abhängigkeit des Vereins vom meinungsfreudigen Kühne zu verringern und eine Aufstockung von dessen Anteil an der AG zu verhindern. Dagegen werden Jansen, und auch Finanzvorstand Wettstein, gute Verbindungen zum Investor nachgesagt. Zuletzt hatte dieser Ex-Profi Jansen auch als Vorstandschef ins Spiel gebracht. Der hatte diese Ambition allerdings zurückgewiesen. Das machte Jansen auch nochmal in der ersten digitalen Pressekonferenz der Vereinsgeschichte am Montag deutlich: "Das ist in dieser Amtsperiode definitiv nicht mein Ziel."

Ist Marcell Jansen nur Aufsichtsratsboss, um Kühnes Position zu stärken? Scholz: "Übertrieben"

Dass Marcell Jansen nun vor allem Kühnes Position stärke, und der große Sieger des HSV-Bebens in der Schweiz sitze, hält Marcus Scholz allerdings für Märchen: "Diese Thematik siehst du ja jetzt in allen Medien, viele fragen: Ist Kühne der Gewinner? Nur weil er am Ende gesagt hat, dass er die Entwicklung begrüßt, heißt es dann beispielsweise in einer großen Boulevardzeitung, dass er jubelt. Das ist maßlos übertrieben, finde ich."

Wie auch immer. Rein finanziell könnte ein gutes Verhältnis zu Kühne für den wirtschaftlich schwachen HSV angesichts der längst nicht absehbaren Folgen der Corona-Krise sicher noch (überlebens-)wichtig werden. Hoffmann hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, dass ein Saison-Abbruch etwa 20 Millionen Euro kosten würde. Eine nur schwer zu stemmende Last für den hoch verschuldeten Verein.

Jansen wollte am Montag auch nicht ausschließen, dass die 24,9-Prozent-Klausel fällt. Die Klub-Satzung schreibt vor, dass der Verein nur bis zu 24,9 Prozent der AG-Anteile verkaufen darf. Zur Erinnerung: Kühne hält 20,6 Prozent. Er hatte immer wieder Interesse gezeigt, diesen Anteil zu erhöhen.

Auf lange Sicht wollen sie die Bayern wieder im Volksparkstadion begrüßen: Marcell Jansen (r.) und der HSV.
Auf lange Sicht wollen sie die Bayern wieder im Volksparkstadion begrüßen: Marcell Jansen (r.) und der HSV.Bild: imago/Ulmer

Dass der Hamburger SV, bei dem sich in großer Regelmäßigkeit die Führungskräfte über Kreuz liegen, sich in dieser Situation jetzt wieder einen Führungsstreit leistete, stieß bei vielen auf Unverständnis. Oder wie die Spötter sagen: Alles wie immer, Normalzustand.

Ob sich das nun in Zukunft mit Marcell Jansen, dem jüngsten Boss der Bundesliga, ändert? Die Hoffnung in Hamburg scheint jedenfalls groß, dass mit Jansens sportlicher Expertise, seinem sympathischem Auftreten und wirtschaftlichem Background wieder etwas mehr Ruhe beim HSV einkehrt. Oder um es mit Jansens Worten zu sagen: "Der volle Fokus muss auf die HSV-Interessen gerichtet sein."

(as/mit Material von dpa)

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