Es wurde am Freitagmittag nicht lange herumgeredet. Direkt mit der ersten Frage auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Darmstadt 98 bestätigte Bayern-Trainer Thomas Tuchel, dass Manuel Neuer nach zehnmonatiger Verletzungspause ins Tor der Münchner zurückkehren wird.
Neuer und sein Comeback ist seit Wochen eines der bestimmenden Themen an der Säbener Straße. Ungewollt baute Thomas Tuchel auch etwas Druck auf den Schlussmann auf: "Ich nehme im Training ein komplett neues Level an Torwartspiel wahr."
Die Erwartungen an seine Rückkehr sind groß. Nicht nur von außerhalb, auch durch Neuer selbst. "Ich glaube, dass es eine große Rolle in seinem Denken spielt, dass er es allen nochmal zeigen will", berichtet Tuchel.
Den Zeitpunkt des Comebacks hält Torwartexperte Sascha Felter für mehr als passend. Gegen Aufsteiger Darmstadt vor heimischem Publikum und gegen Drittligist Saarbrücken im DFB-Pokal am Mittwoch kann Neuer wichtige Spielpraxis sammeln.
Dennoch gibt es so einige Faktoren, die passen müssen, damit alles wieder so wird wie vor seiner Verletzung. Felter, der in seinem Podcast "Keeperanalyse" wöchentlich die Leistungen der Bundesliga-Schlussmänner analysiert, ist in Sachen Neuer sehr zwiespältig.
Eigentlich wurde schon über ein Neuer-Comeback in der vergangenen Woche gegen Mainz spekuliert. Dort erklärt Trainer Thomas Tuchel noch, dass der Torhüter seine Vorderleute noch besser kennenlernen wollen würde.
Schließlich sind die Umstände mittlerweile ganz andere als bei seinem letzten Spiel für den FC Bayern im November 2022. Nicht nur, dass der Trainer mittlerweile Thomas Tuchel und nicht mehr Julian Nagelsmann heißt, auch in der Abwehrreihe hat sich einiges geändert. Lediglich mit dem aktuell aber verletzten Dayot Upamecano stand Neuer schon über einen längeren Zeitraum auf dem Platz. Mit Matthijs de Ligt absolviert er bisher lediglich elf Spiele, mit Sommerneuzugang Min-Jae Kim noch kein einziges.
"Es braucht Vertrauen zu seinen Abwehrspielern und er muss wissen, ob sie beispielsweise nach einer abgefangenen Flanke sofort anspielbar sind und das Spiel schnell machen wollen. Zudem geht es darum, wie er selbst von den Verteidigern angespielt wird: spielen sie die Bälle neben das Tor oder vielleicht auch zentral", erklärt Felter.
"Es wird am Anfang ein bisschen Zeit brauchen, aber mehr als die zwei Spiele sollte es eigentlich nicht dauern", fügt er hinzu. Ein Szenario, das sich wohl auch die Bayern-Verantwortlichen wünschen, denn am nächsten Samstag geht es für die Münchner im Top-Spiel gegen Borussia Dortmund.
Zwar hat Ersatzmann Sven Ulreich ihn bisher herausragend vertreten, doch selbst ein Neuer in normaler Form würde die bisher anfällige Hintermannschaft des FC Bayern auf ein anderes Level heben.
Einerseits sei er bei hohen Flanken in den Strafraum "viel raumgreifender" als Ulreich. Zudem sei er deutlich besser, was das Abfangen von hohen Bällen hinter die Abwehrreihe angeht, sagt Torwartexperte Felter. Dort zeigten Ulreich und die gesamte Hintermannschaft in den vergangenen Monaten einige Schwächen. Hinzu kommt Neuers Stärke mit dem Ball am Fuß, wodurch die Mannschaft ganz andere Optionen im Spielaufbau hat.
Deutschlandweit gibt es jedoch auch große Zweifel, ob Neuer noch einmal zu seinem alten Niveau zurückfinden kann. Zwar ist er nach seinen drei Mittelfußbrüchen auch immer wieder in Top-Verfassung auf den Platz zurückgekehrt, doch mittlerweile ist er eben auch im fortgeschrittenen Fußballalter von 37 Jahren.
"Dadurch kann es für ihn schwieriger werden, wieder an dieses absolute Top-Level heranzukommen, da sein Spiel einfach von seiner Athletik und seiner Koordination lebt", sagt Felter.
Denn wenn es strikt nach dem Torwart-Lehrbuch geht, war Neuers Technik laut Felter nie die Beste. Stattdessen habe er seinen eigenen Stil gefunden, der ihn zu einem der besten Schlussmänner aller Zeiten habe werden lassen.
Während seiner Verletzung kam es zudem zur geräuschvollen Entlassung seines Torwarttrainers und engen Vertrauten Toni Tapalovic, dafür holten die Bayern Michael Rechner aus Hoffenheim. "Es ist immer gut, wenn du in deiner Karriere nochmal etwas Neues kennenlernst: sei es eine neue Trainingsmethode oder sogar ein Detail, auf das nun mehr Wert gelegt wird", sieht Felter darin keinen Nachteil.
Während des Aufbautrainings veröffentlichte der FC Bayern immer wieder Videos von Neuer auf dem Trainingsplatz. Dabei fiel Felter genau so ein Detail ins Auge. So schwingt Neuer seine Arme vor Schüssen immer nach hinten: Das könne bei perfektem Timing ein Vorteil sein, um den Ball besser wegzuleiten. Fehlen dort jedoch nur ein paar Prozentpunkte beim Timing, landet der Ball im Tor statt in den Armen.
Zudem baut Neuer häufig einen kleinen Auftaktsprung nach hinten ein, ehe er dann zum eigentlichen Sprung ansetzt, um den Ball abzuwehren. "Dadurch hast du aber weniger Balance und auch weniger Gleichgewicht, um dich gut abzudrücken", sagt Felter.
Hier stellte der neue Torwarttrainer eine zusätzliche Person mit einem Gymnastikball hinter Neuer nach, damit er gar keine Möglichkeit hat, um die Arme nach hinten zu schwingen oder gar einen Sprung nach hinten zu machen.
Persönlich gilt es für den Kapitän der Bayern, mindestens seine alte Form zu bestätigen und eigentlich sogar noch besser zu performen, als man es bisher von ihm kannte. So bilanziert Felter beim Duell Neuer gegen ter Stegen bei der Nationalmannschaft:
Eine Frage, über die sich Thomas Tuchel gar keine Gedanken macht. Bleibe Neuer bis zur EM verletzungsfrei, stelle sich die Frage gar nicht. "Dann werden sich die Dinge von selbst regeln."