Lars Windhorst hat seinen Ruf weg. Der bekannte Berliner Investor wird von Kritikern – in unkreativer Anlehnung an seinen Nachnamen – schon gerne mal als "windiger" Geschäftsmann verspottet. Sicherlich hat Windhorst seit seinem Aufstieg als (vermeintliches) Wunderkind der deutschen Unternehmenswelt Fehler begangen. Allein die Insolvenzen, die sich in seiner Biografie finden, sind auf ihre Weise ein Beleg dafür. Aber: Der 44-Jährige ist gewiss keiner, der einfach grundlos Geld verbrennen möchte.
Doch beim Bundesliga-Klub Hertha BSC könnte genau dies passieren. Windhorst stieg im Sommer 2019 über Peil Investment B.V. dort ein und hat seitdem in mehreren Runden Kommanditanteile erworben. Am Ende des Ganzen soll das Gesamtinvestment 374 Millionen Euro betragen. Das bereits investierte Geld liegt nun in den Händen von Herthas Management, das in den vergangenen zwei Jahren mal so eben ein Transferminus von 110 Millionen Euro zusammengetragen hat. Und auch in diesem Winter für Ex-Weltmeister Sami Khedira das Scheckbuch zückte, um seine sportlichen Probleme zu lösen.
Das wäre zunächst nicht schlimm, denn im Fußball machen viele Clubs Verluste auf dem Transfermarkt, aber sie erkaufen sich dafür im Optimalfall eine bessere Mannschaft und Erfolge. Hertha jedoch hat bis dato keinen nennenswerten Nutzen aus den Millionen ziehen können. Der Tabellenplatz 15, punktgleich mit Aufsteiger Arminia Bielefeld auf Relegationsrang 16, spricht eine deutliche Sprache.
Als Windhorst einst bei Hertha mit großem Brimborium einstieg, war er um keine selbstbewusste Ankündigung verlegen. Vollmundig nannte er Hertha den „Big City Club“, das dem Verein nun als Spottwort auf lange Zeit anhängen wird, und sagte voraus, man werde sich nicht nur in der Bundesliga-Spitze, sondern auch in Europa etablieren. Davon ist man aber noch weit entfernt.
Von Windhorst ist derweil immer weniger zu hören. Öffentliche Auftritte hatte er vor allem, als das Desaster rund um Jürgen Klinsmann, den Windhorst als seinen fußballerischen Berater angeheuert hatte, über die Bühne ging. Ist der Einstieg bei Hertha vielleicht einfach nur ein massiver Fehlgriff des gewieften Investors?
Spricht man mit Insidern, die sich bei Hertha auskennen, so fällt häufig der Name Ingo Schiller. Er ist der für die Finanzen verantwortliche Geschäftsführer im Verein und ein "guter Storyteller". Demnach muss der rhetorisch versierte Schiller bei den Annäherungen mit Windhorst vor ein paar Jahren Hertha sehr gut verkauft haben. Als den schlafenden Riesen, der nur darauf wartet, es endlich mit den Großen im Fußball aufzunehmen.
Wer sich ein wenig im Kapitalmarkt auskennt, weiß, dass Storytelling die halbe Miete ist. Es geht darum, eine Geschichte zu verkaufen und Käufer oder Investoren zu überzeugen. Es geht eben nicht nur um harte Fakten und Zahlen, sondern auch um Potenziale, die sich nur schwerlich greifen lassen. Aus Erwartungen entstehen nicht selten Investitionen.
Die Tennor Holding B.V. ist Windhorsts Investmentfirma, die über die erwähnte Peil Investment B.V. mittelbar an Hertha BSC beteiligt ist. Windhorst und seine Mitstreiter bei Tennor investieren natürlich nicht ihr eigenes Geld. Sie finden Investitionsanlagen und gehen mit ihren Ideen zu möglichen Anlegern, die gerne das eigene Vermögen vermehren möchten und an die Ideen von Tennor glauben. Windhorst ist so gesehen auch ein Verkäufer.
Zugleich operiert seine Holding in ganz anderen Sphären als das vergleichsweise mickrige Hertha-Investment. Zudem kann ein Verlustgeschäft zusammen mit anderen Investitionsanlagen als Paket geschnürt werden und schon fällt das alles gar nicht mehr so auf. In 2019 sprach Windhorst davon, dass seine Holding mit rund 3,5 Milliarden Euro wirtschafte.
Es besteht ohnehin die Frage, was sich Tennor bei dem Einstieg gedacht hat. Es heißt für gewöhnlich, dass Fußballvereine stets so operieren, dass sie den maximalen Erfolg erzielen wollen, ohne dabei in die Insolvenz gehen zu müssen. Vereine sind nicht darauf aus, große Gewinne anzuhäufen und nichts damit zu machen. Es geht um Erfolg und der soll eben nicht erst in drei, fünf oder zehn Jahren einsetzen. Somit springen für die Eigentümer von Vereinen am Ende meist auch keine nennenswerten Gewinne heraus. Selbst wenn bei Hertha mal Gewinn abfallen würde, würde das Windhorst noch lange nicht spüren.
Tennor hat schließlich nur die Kommanditanteile der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA erworben. Aufgrund der 50+1-Regel wäre es gar nicht möglich, dass er die Mehrheit der GmbH übernehmen könnte. Im Aufsichtsrat besetzt er nur eine Minderheit der Sitze und ins operative Geschäft kann er eigentlich nicht eingreifen. Manche mögen die Vermutung anstellen, dass Windhorst trotzdem auf informellem Wege seinen Einfluss geltend macht, aber Hertha-Insider berichten davon, dass er sich auffallend zurückhält.
Vielleicht möchte er die Anteile nur zu einem höheren Preis wieder verkaufen. Immerhin stieg der Aktienwert in den vergangenen Jahren. Auch Windhorst hat dadurch für die einzelnen Anteilspakete, die er seit Mitte 2019 erworben hat, verhältnismäßig mehr bezahlen müssen. Doch darauf zu spekulieren, dass der Wert einfach weiter steigt, ist sehr risikobehaftet.
"Es gibt zweierlei Investoren im Fußballgeschäft", sagt Sportökonom Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln gegenüber watson. "Es gibt Investoren, die eine finanzielle Rendite anvisieren. Dabei handelt es sich aber meist um größere Unternehmen aus dem Entertainment-Bereich, die schon Arenen besitzen oder ihre Medienkanäle bespielen wollen. Das gibt es im amerikanischen Raum. Aber das dominante Investorenmodell im europäischen Fußball zielt gar nicht auf eine wirtschaftliche Rendite ab, sondern auf eine sogenannte soziale Rendite."
Man investiere, um sein gesellschaftliches Ansehen zu erhöhen. Das werde bei Geldgebern wie dem Russen Roman Abramovich (FC Chelsea) oder auch den Kataris rund um Nasser Al-Khelaifi (Manchester City) deutlich. Diese hätten genug Geld, um sich ganze Straßenzüge in London oder Paris zu kaufen, doch investieren das Geld lieber in Fußballvereine. "Dann habe ich Zugang zur Stadtgesellschaft und kann gesellschaftliches Ansehen als Rendite einfahren", so Breuer. Doch darum geht es Windhorst wohl gar nicht so sehr.
Ende des Jahres sorgte er zusammen mit Tennor für positive Schlagzeilen im hohen Norden. Die Investmentgesellschaft hatte einige Monate zuvor die neue Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) ins Leben gerufen, nachdem die "alte" FSG, die Windhorst 2019 übernommen hatte, Insolvenz anmelden musste. Die Werft konnte somit schuldenfrei am Neubeginn arbeiten, die Auftragsbücher waren aber trotzdem leer. Den deutschen Werften sind durch die Pandemie 80 Prozent ihres Auftragseingangs verloren gegangen.
Doch FSG durfte neue Hoffnung schöpfen, weil es von der IVP Ship Invest mit dem Bau einer RoRo-Fähre, bei der Lkw und Pkw auf der einen Seite hinein- und auf der anderen wieder herausfahren, beauftragt wurde. Jene IVP Ship Invest gehört auch Windhorst, der quasi bei sich selbst ein Schiff in Auftrag gab. Ungewöhnlich für den Bau eines solchen Spezialschiffes ist jedoch, dass noch völlig offen ist, wo und für welche Reederei die Frachtfähre künftig fahren wird.
Auch in Hannover kam 2019 dank Windhorst bessere Stimmung auf. Das Ihme-Zentrum wurde damals von der Civitas Property Group S.A., einer Tochter von Tennor Holding, die damals noch Sapinda hieß, erworben. Windhorst vermittelte eine Vision, wie er das ruinöse Gewerbeareal innerhalb weniger Jahre zu einem Gewinngeschäft machen möchte. Die Planungen waren von Beginn an ambitioniert, allerdings ist aus Hannover zu vernehmen, dass seitdem nicht so viel passiert sei, wie sich einige erhofft hatten.
Windhorst selbst gab damals bei einer Fragestunde im Hannoveraner Stadtrat im März 2019 auch ehrliche Einblicke in seinen eigenen Alltag. Das Projekt sei derart klein, dass er sich damit eigentlich nicht weiter beschäftigen wollte. Nur weil er gemerkt habe, dass das Thema für Hannover so wichtig sei, sei er persönlich erschienen.
Bei Hertha war zuletzt auch nichts mehr von Windhorst zu hören, wobei das Investment dort mit insgesamt 374 Millionen Euro natürlich um einiges größer ist als etwa in Hannover. An sich sind Windhorst und Tennor niemandem außer den eigenen Anlegern Rechenschaft schuldig, aber fehlende Kommunikation nach außen heizt Spekulationen an.
Bei der für Juli verkündeten Zahlung von 50 Millionen Euro handelt es sich zum Beispiel in Wirklichkeit um eine Wandelanleihe. Windhorst besitzt also nun lediglich eine Anleihe, die er während einer bestimmten Frist in ein vorher festgelegtes Verhältnis in Aktien eintauschen kann. Andernfalls wird am Ende der Frist eine Rückzahlung fällig.
Das bedeutet: Hertha hat sich beim Anleihen-Inhaber verschuldet und nun mehr Fremdkapital zu verzeichnen, während die zuvor getätigten Zahlungen eben direkt ins Eigenkapital übergegangen sind. "Eigentlich würde man sagen, das Unternehmen Hertha BSC steht gesünder da, je höher das Verhältnis Eigenkapital zu Fremdkapital ist. Aus einer Finanzierungssicht ist es interessanter, einen höheren Eigenkapitalanteil zu haben", erklärt Breuer. Weil die Details nicht bekannt sind, kann vieles dahinterstecken, aber Zuversicht wird dadurch in jedem Fall nicht vermittelt.
Nun kommt noch die sportliche Krise hinzu, wodurch hochgestochene Ziele wie etwa eine Teilnahme am Europapokal in weite Ferne rücken. Als Windhorst 2019 bei der Hertha in Erscheinung trat, wurde gerade Pál Dárdai als Cheftrainer verabschiedet. Es schien so, als würde eine neue Zeitrechnung beginnen, aber nun steht der Ungar doch wieder in Verantwortung und Hertha ist keinen Schritt vorangekommen, obwohl viele Millionen in Spieler investiert wurden.
Es würde niemanden mehr verwundern, wenn nicht schon bald mehr Kapital benötigt wird, um einen erneuten Anlauf zu unternehmen.