Trotz zweier 1:1-Unentschieden in den vergangenen beiden Bundesliga-Spielen herrscht bei Julian Nagelsmann vor dem Champions-League-Auftakt am Mittwoch gegen Inter Mailand gute Laune.
"Wir versuchen einen guten Start zu erwischen", gab der Trainer des FC Bayern vor und fügte hinzu: "Wir sind gut drauf." Wohl auch in der Hoffnung, dass sein Team wieder mit mehr Intensität spielt als vergangenen Samstag gegen Union Berlin.
Doch mit dem Auftakt der Champions League kommen harte Wochen auf die Münchner zu. Noch 17 Pflichtspiele stehen bis zur WM-Pause im November auf dem Programm. Der Sportmediziner Dr. Simeon Geronikolakis warnt deshalb im Gespräch mit watson: "Diese hohen Belastungen und die nicht ausreichende Regeneration führen auf jeden Fall zu einem erhöhten Verletzungsrisiko."
Der von der Fifa ausgezeichnete Mediziner war unter anderem für den VfB Stuttgart und betreut mehrere DFB-Jugend-Nationalteams.
Die Spieler würden durch mangelnde Erholung aber nicht nur verletzungsanfälliger, sondern "auch geistig weniger aufnahmefähig, was auch die Leistungsfähigkeit und den Trainingserfolg mindert", erklärt er.
Die Hauptursache dafür seien jedoch nicht nur die vielen Partien, sondern auch die weiten Reisen, die zur Gesamtbelastung beitragen. Dadurch würden den Spielern "angemessene körperliche und mentale Erholungsphasen fehlen."
Um dem in gewisser Weise schon jetzt entgegenzuwirken, griff der FC Bayern in Mailand zu einem ersten Trick. Statt wie üblich das Abschlusstraining im Stadion des Gegners zu absolvieren, trainierten die Münchner am Dienstagvormittag noch an der Säbener Straße und reisten erst am frühen Abend nach Italien.
"Zu Hause auszuschlafen und jede Stunde zu nutzen, ist für uns ein Vorteil", sagte Bayern-Kapitän Manuel Neuer auf der Pressekonferenz und verwies auf die Termine bei den Physiotherapeuten nach dem Abendessen.
Auf watson-Nachfrage fügt der Bayern-Kapitän hinzu, dass er mit dem straffen Programm, zu dem Ende September noch zwei Länderspiele dazukommen, aber kein Problem habe.
"Es ist wichtig, dass man wirklich auf seinen Körper achtet. Man sollte gut schlafen, sich gesund ernähren und zur medizinischen Abteilung gehen." Es gehe in den kommenden Wochen und Monaten vor allem darum, "sich auf seinen Körper und Geist zu konzentrieren."
Das ist auch ein Punkt, den Sportmediziner Geronikolakis bei solch hohen Belastungen als enorm wertvoll einschätzt. Denn nur, wenn Verein und Spieler einer gemeinsamen Philosophie strukturiert, organisiert und sicher folgen, ist eine optimale Belastungssteuerung möglich.
Aktuell läuft es für die Münchner noch problemlos. Denn Trainer Nagelsmann kann nach der Rückkehr von Leon Goretzka (nach Knie-OP) und Mathys Tel (Kapselverletzung) aus dem Vollen schöpfen und allen Spielen die nötigen Pausen geben.
"Wir haben die Voraussetzung geschaffen, dass wir alle Spieler auf einem ähnlichen Niveau haben. Wir können während oder zwischen den Spielen wechseln, ohne einen großen Leistungsabfall zu haben. Das kam durch gute Trainingsleistungen und eine ganz gute Rhythmusvergabe bis jetzt."
Doch das kann sich auch relativ schnell ändern. So berichtet Geronikolakis aus seiner eigenen Erfahrung, dass sich mit zunehmender Belastung und abnehmendem Fitnesszustand vor allem die akuten Muskelverletzungen häufen würden. Außerdem fügt er hinzu:
Bereits vor Wochen erklärte Bayern-Trainer Nagelsmann, dass sie versuchen, die Spieler daran zu gewöhnen, dass sie selbst nach guten Leistungen nicht dauerhaft im Einsatz sind. "Das muss in den kommenden Monaten Normalität werden."
Dass die Belastungen mit der anschließenden Weltmeisterschaft in Katar für die Spieler enorm hoch sind, ist kein Geheimnis. In seiner Kolumne im "kicker" sieht Ex-Bayern- und DFB-Sportchef Matthias Sammer jedoch kein Problem in der Vielzahl der Spiele.
"Leistung ist organisierbar. Deshalb kann ich Klagen über diese Termindichte nicht nachvollziehen, selbst wenn die vielen Spiele sicher extrem sind. Aber auf diese Belastung kann jeder Spieler vorbereitet werden, hinterher können wir zusätzlich darauf reagieren."
Die Champions-League-Gruppenphase wird in diesem Jahr erstmal bereits Anfang November beendet sein. Es folgt anschließend noch ein Bundesliga-Spieltag, ehe am 20. November die Endrunde in Katar beginnt. Im vergangenen Jahr endete die Gruppenphase der Champions League erst Anfang Dezember.
"Durch Verbesserung ihres Fitness-Levels und ihrer mentalen Leistungsfähigkeit können nicht nur die Nationalspieler, sondern auch alle anderen Spieler auf die hohen Belastungen vorbereitet werden", stimmt auch der Sportmediziner Sammer zu.
Gleichzeitig schränkt er aber auch ein, dass nicht alle Klubs die gleichen Voraussetzungen in Sachen Verletzungsprophylaxe und Behandlung haben. Aufgrund der besseren finanziellen Mittel fällt es somit Champions-League-Teilnehmern deutlich leichter, die perfekte medizinische Versorgung ihrer Spieler zu organisieren und zu gewährleisten.
An den finanziellen Gegebenheiten sollte es beim FC Liverpool und Jürgen Klopp nicht scheitern, doch in der englischen Premier League zeigt sich das Problem des dichten Terminkalenders noch einmal ganz besonders.
Während in der Bundesliga nach dem Ende der WM erstmal eine einmonatige Winterpause ansteht, müssen Klopp und sein Team am zweiten Weihnachtsfeiertag im Heimspiel gegen den FC Southampton antreten – acht Tage nach dem WM-Endspiel.
Für den deutschen Trainer, der seit einiger Zeit immer wieder auf den zu dichten Terminkalender aufmerksam macht, sei die aktuelle Situation "ein Wahnsinn". Er sei sich bewusst, "dass ich von der ganzen Geschichte extrem gut lebe. Ich habe genug Urlaub. Die Spieler haben es nicht. Das müssen wir irgendwann ändern."
Der Sportmediziner nimmt in dieser Hinsicht aber auch die medizinischen Abteilungen der Klubs in die Pflicht. "Aus meiner Sicht kann jeder Verein durch eine auf jedem Gebiet gute Organisation, eine entsprechende Verletzungsprophylaxe und eine optimale Belastungssteuerung viel für die Gesundheit der Spieler tun und dabei sogar auch ihre Leistungsfähigkeit erhöhen."