Strahlend stand Joshua Kimmich auf einer Münchner Dachterrasse, eingerahmt von Bayerns Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn zu seiner Rechten und Sportvorstand Hasan Salihamidžić zu seiner Linken. Der Anlass war für alle drei ein freudiger: Die Bayern gaben vergangenen Montag die Vertragsverlängerung ihres Leistungsträgers bis 2025 bekannt.
Eine Besonderheit in den Vertragsverhandlungen mit dem 26-jährigen Kimmich: Er schaltete keinen Berater ein und ließ auch keine Familienmitglieder für sich die neuen Bedingungen aushandeln, sondern trat selbst für sich und seine Interessen ein. Üblich ist das nicht – aber der Poker um die Verträge hat viele Gesichter, wie Simon Rolfes, Sportdirektor von Bayer Leverkusen, gegenüber watson bestätigt.
Wenn sich heute um 18 Uhr in Deutschland und um 0 Uhr in den anderen europäischen Top-Ligen das Transferfenster schließt, wird es zuvor zähe Verhandlungen um Grundgehälter, Bonuszahlungen und Ausstiegsklauseln gegeben haben. Die Verhandlungen mit den Vereinsbossen übernehmen in der Regel ihre Berater oder auch enge Familienangehörige.
Was bedeutet es für einen Entscheider im Verein, ob ihm ein Berater, ein Familienmitglied oder der Spieler selbst bei Verhandlungen gegenübersitzt?
In einem Bericht des englischen Magazins "The Athletic" erklärt ein nicht genannter Boss eines Premier-League-Klubs, dass er es bevorzugt, wenn Eltern oder Verwandte die Verhandlungen für einen Spieler übernehmen. Sie seien nicht so qualifiziert wie professionelle Berater und würden Lücken und Klauseln in Verträgen oft nicht in Gänze durchschauen.
Dem steht die Erfahrung von Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes gegenüber. Er erklärt gegenüber watson: "Für mich macht es keinen Unterschied. Wir haben unsere Vorstellungen und Budgets. Ob uns ein Berater oder ein Familienmitglied gegenübersitzt, ist erstmal zweitrangig."
Ein weitverbreitetes Klischee im Fußball-Geschäft besagt dabei, dass Berater nur auf das Geld der Spieler aus seien und oft die Entwicklung und Interessen der Spieler aus den Augen verlören. Zwischen den Zeilen lässt sich das auch bei Kimmich erkennen, der mit den Verhandlungen von 2018, als er zuletzt seinen Vertrag verlängerte, offenbar nicht zufrieden war.
Der Mittelfeldspieler sagte: "Man hat in der Vergangenheit gemerkt, dass das ein oder andere nach außen getragen und viel gesprochen wird. Mir war es wichtig, dass ich selbst mit dem Verein spreche und weiß, was in den Gesprächen passiert und dass mir niemand Versprechungen macht, bei denen ich im Nachhinein nicht weiß, ob darüber wirklich gesprochen wurde."
Das passt mit den Recherchen von "The Athletic" zusammen. Die englische Webseite berichtete von einem weiteren Premier-League-Boss, der anonym bleiben möchte und von Spielern direkt gefragt wurde, ob er sie wirklich – wie von deren Beratern behauptet – verpflichten wolle. Als er verneinte, entließen die besagten Spieler folgerichtig ihren Berater. Um solche Missverständnisse zu vermeiden, sucht Sportdirektor Rolfes beispielsweise auch den direkten Kontakt zu den Spielern.
Der ehemalige Nationalspieler erklärt gegenüber watson: "Wir wollen immer mit dem Spieler sprechen und ihn ins Boot holen. Bei einer Vertragsverlängerung zum Beispiel gehen wir direkt auf ihn zu und sagen ihm, dass wir verlängern möchten."
Gleichzeitig will Rolfes das generelle Bild vom Berater als schlechte und habgierige Person nicht stehen lassen: "Grundsätzlich kommt es immer auf die Eigenheiten der beratenden Personen an", sagt er. "Auch Berater können ein gutes Gespür für die persönliche Entwicklung des Spielers haben – das ist ja auch ihre vordringliche Aufgabe aus meiner Sicht. Genauso können Familienangehörige diese Komponente aus den Augen verlieren."
Und wie häufig verhandeln Spieler ihre Verträge selbst? Neben Kimmich drängte im Frühjahr auch Kevin De Bruyne mit eigens verhandeltem Vertrag in die Öffentlichkeit. Der Belgier verlängerte in Eigenregie bis 2025 bei Manchester City. Damals erklärte er: "Ich möchte bei diesem Verein bleiben, also ist es einfach. Wenn ich nicht bleiben wollen würde, würde es jemanden brauchen, der vermittelt. Aber wenn man bleiben will, ist es nicht so kompliziert."
Ähnlich sieht das auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann. Im Rahmen der Kimmich-Verlängerung sagte er: "Es ist ein Unterschied, ob du den Vertrag verlängerst oder zu einem neuen Klub gehst. Dann kann es schwieriger werden."
Das deckt sich mit den Informationen von watson, wonach größtenteils Spieler die Verhandlungen übernehmen, wenn es einerseits um eine Vertragsverlängerung geht und sie andererseits auch schon länger für den Klub spielen und daher ein Grund-Vertrauen zwischen den Vereins-Verantwortlichen und dem Profi besteht.
Bei solchen Szenarien sollen die Spieler meistens auch ihre Position und Situation in den Verhandlungen gut einschätzen können. Rolfes erzählt: "Wenn Spieler älter und schon länger dabei sind, wissen sie, was sie verdient haben und können die Situation gut einschätzen. Das ist dann zumeist auch bei den Eltern oder Familienangehörigen der Fall."
Anders soll es aussehen, wenn die Spieler jung sind oder die Eltern den ersten Profi-Vertrag verhandeln. Erneut eine Anekdote aus England: Dort hat ein Premier-League-Boss "The Athletic" erklärt, dass ein Elternteil ganz offen zu den Verhandlungen gekommen sei und gesagt habe: "Jetzt ist mein Moment gekommen und ich bekomme meine Auszahlung."
Dass Eltern grundsätzlich zu Beginn der Karriere ihrer Kinder auch von der Begabung und dem ersten Profi-Vertrag profitieren könnten, findet Rolfes nicht verwerflich.
Rolfes erinnert auch daran, dass nicht alle Fußballer aus finanziell gesichertem Umfeld stammen. "Man darf nicht vergessen, dass auch Fußballer-Kinder teilweise aus einfachen Verhältnissen kommen und die Eltern alles zusammengekratzt haben, um dem Sohn den Traum vom Profi-Fußball zu ermöglichen," erzählt er und wirbt dadurch auch für Verständnis gegenüber den Eltern von jungen Profis, für die Verhandlungen oft Neuland sind.