Eine kleine Stichelei gegenüber Fußball-Deutschland konnte sich Toni Kroos nicht verkneifen. "Die einen sind schneller, die anderen brauchen ein bisschen länger – aber am Ende verstehen es alle", sagte er vor dem EM-Viertelfinale gegen Spanien auf einer Pressekonferenz. Denn in Spanien wurde Kroos' Fußball schon immer mehr wertgeschätzt als in Deutschland – zumindest bis zum Juni 2024.
Doch jetzt, mit 34 Jahren, ist Toni Kroos nach seiner Rückkehr ins DFB-Team sofort wieder der Kopf der Mannschaft – Passrekorde wie beim Turnier-Auftakt gegen Schottland inklusive. Kroos ist der Spanier im DFB-Team. Er vereint die höchste Spielkunst und den lockeren Umgang in Drucksituationen perfekt.
Bei seinem letzten Turnier als aktiver Fußball-Profi führt er der deutschen Öffentlichkeit deutlich vor Augen, dass es um das Fußballwissen hierzulande nicht so gut bestellt ist.
Während Kroos die Herzen der Iberer vor zehn Jahren mit seiner Art des Fußballs im Sturmlauf eroberte, wurde in Deutschland noch lange über "Querpass-Toni" geschimpft.
"Du kriegst in Spanien Applaus, wenn du im Spiel elegant aufdrehst und wenn du dich gut vom Gegenspieler befreien kannst. Für diese kleinen Aktionen wird er von Fans und Gegenspielern sehr respektiert", erzählt Nils Kern, Chefredakteur des Online-Portals "Real Total", im watson-Podcast "Toni Kroos – The Underrated One". Und das Spiel des 34-Jährigen lebt nicht nur von diesen Aktionen. Mittlerweile hat sich Kroos zu einem (fast) perfekten Mittelfeldspieler entwickelt.
Kennst du schon den watson-Podcast "Toni Kroos – The Underrated One"? Hier hörst du Folge 1:
"Er geht in die Zweikämpfe mittlerweile mit einem kleinen Lächeln. Ich glaube, sein weißes Trikot war auch mit Schlusspfiff immer grün, weil er regelmäßig am Grätschen ist. Da hat er sich enorm weiterentwickelt, ohne, dass sein offensives Spiel darunter leidet", ordnet Kern ein.
Das würde laut Kern dazu führen, dass "nicht nur viele Touristen, sondern auch viele spanische Kinder mit einem Trikot mit der Nummer acht und dem Namen Kroos herumlaufen".
Doch trotz aller Liebe für Kroos' Art des Fußballs, wollen die Spanier ihm bei der EM 2024 keinen besonderen Abschied bereiten.
"Wir hoffen, dass wir ihn am Freitag in Rente schicken können", machte Spaniens Stürmer Joselu auf einer Pressekonferenz deutlich.
Als Toni Kroos zum ersten Mal in Fußball-Teilzeitrente ging und 2021 seinen Rücktritt aus dem DFB-Team erklärte, wurde das in Deutschland wenig bedauert. "Er wurde sehr viel kritisiert und in der Nationalmannschaft wurde immer nach Fehlern gesucht", erinnert sich sein Ex-Teamkollege Gonzalo Castro im watson-Gespräch.
Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. Das DFB-Trikot mit dem Namen Kroos ist während der EM das bestverkaufte des Verbands. Und das, obwohl der Weltmeister von 2014 seinen Spielstil nicht verändert hat.
Kein Spieler in der deutschen Fußballgeschichte verkörpert den "spanischen Ansatz", der geprägt ist von Ballbesitz und Passgenauigkeit, besser als er. Toni Kroos ist mehr Spanier, als so manch spanischer Fußballprofi. Und das passt nicht dazu, wie wir in Deutschland Fußball schauen.
Sportjournalist Max-Jacob Ost erklärt das anschaulich im Gespräch mit watson:
Wenn die deutsche Mannschaft am Freitagabend Druck aufbauen will, wird Toni Kroos seine Füße im Spiel haben. Nicht unbedingt durch eine direkte Torvorlage, sondern viel mehr durch einen schnellen Seitenwechsel oder eine durchdachte Verschärfung des Spieltempos.
"Das zeigt wahnsinnig gut, was die Masse deutscher Fußballfans sehen will. Und man muss leider sagen, es ist ein Armutszeugnis, dass da der deutschen Fußball-Öffentlichkeit ausgestellt wird. Der Umgang mit Toni Kroos ist das perfekte Beispiel dafür, dass wir in Summe nicht so wirklich viel Ahnung von Fußball haben", findet Sportjournalist Ost.
Will die DFB-Elf am Freitagabend ins Halbfinale einziehen, kommt es auf Toni Kroos' Qualitäten im zentralen Mittelfeld an. Und das weiß auch Toni Kroos.
"Solche Spiele werden in der Mitte entschieden. Wer da die Duelle gewinnt, hat immer die größere Chance, das Spiel zu gewinnen", sagte er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel. "Es wird entscheidend sein, wie man mit der Zeit umgeht, in der man nicht den Ball hat."
Denn die deutsche Mannschaft hat mittlerweile etwas, das man sonst nur aus Spanien und von seinem mittlerweile ehemaligen Arbeitgeber Real Madrid kennt. Den absoluten Glauben an den Erfolg – selbst, wenn es mal nicht läuft.
"Siegermentalität und den Glauben kannst du vorleben, aber es ist schwer, das in Gesprächen zu übermitteln. Du musst es gemeinsam erleben", sagt Kroos. Getreu dem Motto "Erfolg begründet Erfolg". Bisher hat es die Mannschaft geschafft, schwierige Phasen ohne Niederlage zu überstehen und "deswegen gehe ich nicht davon aus, dass es mein letztes Spiel sein wird".
Es wäre auch ein seltsames Ende, wenn der "Spanier" Kroos sein letztes Spiel als Profi ausgerechnet gegen Spanien macht.