In London läuft's einfach. Der FC Bayern München setzte in der Vergangenheit einige Europapokal-Ausrufezeichen in der englischen Hauptstadt. Am Dienstagabend folgte im Achtelfinale der Champions League das nächste:
Der Finalsieg vor sieben Jahren gegen den BVB war der fünfte und bislang letzte Erfolg für den FC Bayern in der Königsklasse. Und spätestens seit dem überzeugenden Sieg gegen den FC Chelsea spricht einiges dafür, dass die Münchner auch 2020 ein heißer Titelkandidat sind.
"Man muss mit uns rechnen", befand Thomas Müller nach dem Abpfiff. Chelsea-Coach Frank Lampard sprach von einer Lektion und sagte das, was sicher viele Teams in Europa denken: "Das Level von Bayern war fantastisch. Sie sind eine wirklich starke Mannschaft".
Bayern, das mit sechs Siegen aus sechs Gruppenspielen in die K.-o.-Runde gebrettert ist, muss sich vor keinem der Teams, die noch im Wettbewerb sind, verstecken. Das sieht auch Thomas Müller so, der nach dem Sieg gegen Chelsea in Richtung der Konkurrenten sagte: "Die können davon halten, was sie wollen. Der Respekt vor Bayern ist immer groß, auch wenn unser Ruf etwas gelitten hat."
Ja, es sind noch große Teams im Wettbewerb. Der amtierende Champions-League-Sieger FC Liverpool zum Beispiel. Oder die millionenschweren Star-Truppen von Paris St.-Germain und Manchester City. Auch Real Madrid, Juventus Turin und der FC Barcelona sind freilich keine zu unterschätzenden Gegner. Dennoch: All die großen Glitzerklubs quälen sich derzeit, spielen eher schlecht als recht: Liverpool, hauptsächlich mit dem Großprojekt Premier-League-Meisterschaft beschäftigt, tat sich im Hinspiel gegen Atlético Madrid schwer (0:1); Borussia Dortmund hielt PSG in Schach, die Topstürmer Neymar und Mbappé hatten kaum etwas zu melden; Barca kam in Neapel nicht über ein 1:1 hinaus, spielt in dieser Saison auch nicht den gefürchteten Fußball, den man von den Blaugrana kennt.
Für Überraschungsteam Atalanta Bergamo (4:1 gegen Valencia) sollte der FC Bayern in zwei Spielen ein wenig zu groß sein. Auch die Bundesligakonkurrenten RB Leipzig (1:0 gegen Tottenham) und Dortmund sind schlagbar, das hat der FCB bereits bewiesen. Tottenham wiederum ist ebenfalls kein Gegner, vor dem Bayern Angst haben müsste – 7:2! –, sollten sie sich im Rückspiel gegen Leipzig doch noch fürs Viertelfinale qualifizieren.
Wie sich Real, ManCity und Juventus Turin im Achtelfinale der Champions League schlagen werden, muss man noch abwarten: Die Madrilenen treffen auf die Citizens, Turin muss gegen Olympique Lyon ran. Doch auch diese vier Klubs kann der FC Bayern schlagen. Lyon ist kein europäisches Schwergewicht, Real und Juve laufen in der heimischen Liga der Tabellenführung hinterher, sind – im Gegensatz zu Bayern München, das sich eindrucksvoll an die Ligaspitze zurückkämpfte – aktuell nur Zweiter. Außerdem:
Thomas Müller spielt so gut wie schon lange nicht mehr. Der Ex-Nationalspieler blüht, seitdem Hansi Flick Trainer ist, auf, kann seine Qualitäten als Raumdeuter, Vorbereiter, Torschütze und Führungsspieler wieder voll ausspielen.
Alphonso Davies spielt auf der Linksverteidigerposition, als wäre er schon jahrelang Stammspieler. Nach hinten und nach vorne leistet er seit Wochen hervorragende Arbeit.
Der etatmäßige Linksverteidiger David Alaba rückte dafür in die Innenverteidigung – und macht seine Sache auf dieser Position sehr gut.
Serge Gnabry, der gegen Chelsea doppelt traf, ist kaum zu stoppen und spielt so gut wie noch nie in seiner Karriere. Robert Lewandowski mit seinen 39 Toren in 33 Pflichtspielen erst recht nicht. Zwar verletzte sich Bayerns Torjäger im Chelsea-Spiel, doch er wird voraussichtlich zum Viertelfinalhinspiel wieder auf dem Platz stehen.
Ein bereits abgeschriebener Jérôme Boateng hat sich wieder gefangen. Thiago ist wieder in Form, auch Manuel Neuer ist nach seiner Verletzung wieder ganz der Alte. So einen Fehler wie beim Gegentor gegen Paderborn leistet er sich eigentlich nur einmal in der Saison.
Die besagten Müller, Neuer, Boateng und Alaba waren bereits 2012 im Kader, als Bayern unglücklich gegen Chelsea das "Finale dahoam" verlor, obwohl man schon eine Hand am Henkelpott hatte. Bis auf Alaba (Gelbsperre) standen sie alle in der Startelf.
Im Jahr darauf, als Bayern gegen den BVB die Trophäe dann im zweiten Anlauf holte, waren die vier auch dabei, diesmal alle in der Startelf. Diese Achse aus erfahrenen, eingespielten CL-Finalisten und -Siegern, zu denen im Übrigen auch Javi Martínez gehört, kann ein entscheidender Faktor in diesem Jahr sein. Einzig Real Madrid und der FC Liverpool können von sich behaupten, ähnliche Achsen aus langjährigen Leistungsträgern an Bord zu haben.
Müller, Neuer und Boateng gewannen sogar schon den größten Titel im Weltfußball: Sie wurden 2014 Weltmeister. Lucas Hernández und Corentin Tolisso, aktuell nur Bankdrücker, gewannen 2018 mit Frankreich ebenfalls die WM.
Shootingstar Alphonso Davies (19), der aufstrebende Führungsspieler Joshua Kimmich und Wirbelwind Serge Gnabry (beide 25) sowie Weltmeister Benjamin Pavard und sein französischer Nationalelfkollege Kingsley Coman (beide 23) waren allesamt noch nicht in einem Champions-League-Finale. Die Kombination aus alten Hasen und Youngstern, die den europäischen Fußballhimmel anstreben, kann ein weiterer Erfolgsfaktor auf dem Weg zum Titel sein.
Mit Philippe Coutinho sitzt derzeit ein Spieler nur auf der Bank, dem ein ganz großer Titel noch fehlt: Der bereits 27-Jährige hofft auf eine Leistungsexplosion und einen ersten europäischen Pokal.
Nicht zuletzt will sicher auch der designierte Abwehrchef der Bayern und der Nationalelf Niklas Süle das Endspiel der Königsklasse erleben. Zurzeit laboriert der 24-Jährige noch an den Folgen einer Kreuzbandverletzung, doch er will noch vor der Europameisterschaft fit sein: "Mir ist wichtig, dass ich vor der EM meine Spiele bekomme. Das Ziel wäre es, im April zur Mannschaft zu stoßen", sagte der Innenverteidiger zu "Sport Bild". Das Finale findet am 30. Mai in Istanbul statt...
Trainer Hansi Flick hat die Siegermentalität, das "Mia san mia" und damit den Erfolg zurück nach München gebracht. Innerhalb kürzester Zeit hat es Flick geschafft, aus der Mannschaft, die Niko Kovac ihm übergab, eine funktionierende Einheit zu formen. Was Flick auszeichnet, ist, dass er es offenbar versteht, die Stimmung in der vielzitierten und berüchtigten Bayern-Kabine hochzuhalten. Er steht für wenig Ego und viel Teamgeist.
Seit Flick Cheftrainer ist, weht wieder ein Hauch von Jupp Heynckes durch die Säbener Straße. Der Trainer, der insgesamt viermal die Bayern trainierte. Der Trainer, der 2013 mit dem Klub das Triple gewann.
Heynckes betonte höchstpersönlich, dass Flick jedem seiner Profis vermittle, dass er wichtig ist. "Auch Superstars verlangen nach menschlicher Wärme, dazu braucht ein Trainer hohes Einfühlungsvermögen, das Flick ausströmt", sagte der Trainerrentner dem "Kicker".
Auch Per Mertesacker belegt, dass Flick ein Top-Trainer ist. Der Ex-Nationalspieler kennt den langjährigen Assistenten von Bundestrainer Jogi Löw noch aus der deutschen Nationalmannschaft, Flick und Mertesacker feierten im Jahr 2014 gemeinsam den WM-Titel. Mertesacker lobt Flick in den höchsten Tönen: "Sein Beitrag zum WM-Gewinn wird sehr unterschätzt. Hansi versteht es, die Leute einzufangen, er führt die Spieler zusammen, diese Fähigkeit hat er in einem Maße, wie ich es nie mehr erlebt habe", sagte Mertesacker dem "Kicker".
Und wer die WM gewinnen kann, der kann auch die Champions League gewinnen, – oder? Die Ü30-Spieler wie Neuer und Müller, die schon 2013 beim historischen Titel-Triple unter Heynckes dabei waren und mit Co-Trainer Flick in Brasilien Weltmeister wurden, spüren, dass sieben Jahre später unter Anleitung ihres neuen Trainers wieder etwas ganz Großes gelingen könnte. Man sei zum Champions-League-Triumph "absolut in der Lage", verkündete Müller selbstbewusst: "Da geht was!"