Die Amtszeit von Bundestrainer Joachim Löw endete mit dem Aus im EM-Achtelfinale gegen England. Bild: dpa / Christian Charisius
Analyse
30.06.2021, 14:1730.06.2021, 14:34
Manuel Neuers erster Blick galt dem Trainer. "Nach dem Abpfiff habe ich in Richtung Trainerbank geschaut. Es war schon ein sehr trauriges Gefühl, als ich Jogi gesehen habe", erzählt der DFB-Kapitän. Durch das 0:2 gegen England endete der Traum des DFB, Joachim Löw zum Ende seiner Amtszeit mit dem EM-Titel zu beschenken, bereits im Achtelfinale.
Löw selbst wirkte bei der Abschlusspressekonferenz am Mittwoch sehr geknickt und nachdenklich. "Das war natürlich nicht der Abschied, den wir uns vorgestellt haben", sagte der Bundestrainer, der sehr langsam und bedacht seine Worte wählte. "Ich übernehme die Verantwortung für dieses Ausscheiden, aber es braucht jetzt auch Zeit, diese Enttäuschung zu verarbeiten."
"In einigen Jahren wird es nicht mehr ganz so entscheidend sein, ob es einen Sieg mehr oder weniger gab."
Bundestrainer Jogi Löw über seine Amtszeit
Nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland endet die 15-jährige Amtszeit des Breisgauers nun mit einer weiteren Enttäuschung. Zum ersten Mal ist Löw mit seinem Team bei einer EM nicht mindestens ins Halbfinale gekommen. "Joachim Löw hat eine Ära geprägt. Dass es so endet für ihn, ist sehr traurig", befand Manuel Neuer. Doch was bleibt nun übrig von den 15 Jahren Amtszeit des DFB-Trainers?
Schlechtesten EM-Ergebnis seit 2004
In den kommenden Monaten und auch ein bis zwei Jahren wird die Ära Löw wohl vor allem wegen der zuletzt historisch schlechten Ergebnissen im Gedächtnis bleiben. Das Vorrundenaus bei der WM in Russland, Abstieg aus der eigentlich unbedeutenden Nations League, die historischen und blamablen Niederlagen gegen Spanien (0:6) und Nordmazedonien (1:2) und vor allem die Ausmusterung und anschließende Rückholaktion der 2014er-Weltmeister sind wohl die aktuell prägendsten Momente.
"Am Ende haben wir nur eins von vier Spielen gewonnen und fahren dann irgendwie auch verdient nach Hause", schrieb Mats Hummels am Tag nach der Niederlage bei Instagram – wie schon bei der WM 2018.
So erlebte Joachim Löw die letzten Minuten seiner Amtszeit als DFB-Trainerbild: picture alliance
Löw selbst guckt mit seiner Erfahrung schon weiter in die Zukunft: "In einiger Zeit wird sich alles das alles relativieren. In einigen Jahren wird es nicht mehr ganz so entscheidend sein, ob es einen Sieg mehr oder weniger gab. Was für mich persönlich bleiben wird und das allerbeste an der Zeit war, ist der Weg mit den Menschen, den ich gegangen bin", sagte Löw auf der Pressekonferenz.
Und so machte Löw sein Vermächtnis gar nicht an Titelgewinnen oder einem vorzeitigen Aus bei Turnieren fest. "Die Entwicklungsschritte bis 2016, das ist für mich eine unglaublich große Befriedigung. Die Mannschaft hat über viele Jahre hinweg in der absoluten Spitze agiert, wir waren Benchmark für viele.
"Normal, dass Menschen Fehler machen"
Kurz nach dem Aus wurde Löw in der ARD gefragt, ob er irgendwelche Entscheidungen als Trainer bereue. Seine ungewohnt bissige Antwort darauf war nur ein kurzes "WAS?" und dass es normal sei, dass Menschen und Trainer Fehler machen. Und Jogi Löw machte in letzter Zeit leider so einige.
Er beharrte das komplette Turnier über auf einer Dreierkette, die mit sieben Gegentoren in vier Spielen selten stabil wirkte. Fand nie die richtige Position für Thomas Müller, der immer noch auf sein erstes EM-Tor wartet und konnte seiner Mannschaft trotz starker Offensivspieler kein schlüssiges Angriffskonzept mit an die Hand geben.
Schweinsteiger und Podolski loben Löw seine Verdienste
Bei vielen Experten herrschte nach dem Aus und Löw Fehleinschätzungen die Meinung: "Gut, dass es endlich vorbei ist." Das sahen die Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski gar nicht.
Besonders Schweinsteiger richtete einige emotionale Worte an den DFB-Coach. "Wir sollten uns alle bei Joachim Löw bedanken. Wir haben so viele Erfolge mit ihm gefeiert und das ist etwas Einzigartiges. Auch wenn wir heute ausgeschieden sind, ist die Leistung von Jogi Löw als Bundestrainers sensationell. Hut ab!" Trotz des Ausscheidens 2018 und dem EM-Aus habe Löw "uns viel Spaß bereitet", sagte der 36-Jährige Ex-Kapitän in der ARD.
Podolski lobt Löw besonders
Auch Ex-Nationalspieler Lukas Podolski wollte im "Bild"-Podcast "EM-Insider", Löw keine Schuld am Ausscheiden geben. "Man kann einen Trainer nicht nur nach einem Spiel beurteilen", sagte er. Was Löw "für deutschen Fußball erreicht hat, wird wohl kein anderer nach ihm schaffen."
Bastian Schweinsteiger (l.) und Lukas Podolski (Mitte) arbeiteten jahrelang mit Jogi Löw beim DFB zusammen. Bild: dpa / Arne Dedert
Team fehlt seit Jahren richtiger Zusammenhalt
Doch Löw schaffte es nicht, für den gleichen Enthusiasmus und Zusammenhalt im Team zu sorgen, der die DFB-Teams sonst ausmachte. Im Camp in Herzogenaurach sollte eine ähnliche Atmosphäre wie im legendären Campo Bahia in Brasilien entstehen, als 2014 der Teamgeist ein großer Erfolgsfaktor für den WM-Titel war. Schon beim WM 2018 spaltete sich die Gruppe in mehrere Lager.
"Es hat nicht so ausgesehen, als würde da ein eingeschworener Haufen auf dem Platz steht", sagte U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz nach dem Spiel in der ARD. Und auch Podolski ging mit der Mannschaft hart ins Gericht. "Ihm habe 'dieser Ehrgeiz, dieser Wille, dieser Kampfgeist' gefehlt, "das wirkte alles so trostlos. Wenn man die Gesichter der Spieler sieht – da rührt sich nichts"
Bierhoff: "Habe das Gefühl, dass das etwas zusammenwächst"
Nationalmannschaftdirektor Oliver Bierhoff sah das jedoch gar nicht so. "Ich habe das Gefühl, dass da etwas zusammenwächst. Man spürt, dass das Team etwas erreichen will. Wir wollen im kommenden Winter mit hohen Ansprüchen zur WM nach Katar reisen." Auch Jogi Löw lobte den "Spirit auf und neben dem Platz".
Die Weltmeisterschaft spielte in den Gedanken und Ausführungen von Joachim Löw auf der Pressekonferenz gar keine Rolle. Dafür ging sein Blick bereits auf die kommende Europameisterschaft, die 2024 in Deutschland stattfinden wird.
Löw ist optimistisch für die Heim-EM 2024
"Ich glaube, dass sich einige Spieler entwickeln werden. Da kann man einiges erwarten", erklärte Löw. Bei der Niederlage gegen England habe einigen Spielern einfach noch die gewisse Reife bei großen Turnieren gefehlt. "Manchmal dauert es zwei bis drei Turniere, bis die Spieler ihren Höhepunkt erreichen und wissen, wie sie mit Stresssituationen umgehen müssen. Einige sind noch nicht an ihrem Leistungslimit."
Die U-21-Nationalmannschaft holte in diesem Sommer den EM-Titel. Bild: Sven Simon / Frank Hoermann/SVEN SIMON
Und eigentlich müsste der DFB in eine glorreiche Zukunft blicken. Schließlich gewann die U-21-Nationalmannschaft in diesem Sommer zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren die Europameisterschaft. Doch aus dem EM-Sieger-Team 2017 schaffte nur Serge Gnabry den endgültigen Sprung ins DFB-Team. Im Gegensatz dazu waren bei der Weltmeistermannschaft 2014 gleich acht Spieler vertreten, die 2009 mit der U21 Europameister wurden.
Zwar habe man bereits Maßnahmen ergriffen, aber diese würden laut Bierhoff, "nicht von heute auf morgen" Wirkung zeigen. "Wenn wir auf die EM 2024 schauen: Kai Havertz hat einen Schritt gemacht, mit Musiala und Wirtz kommen auch Talente nach. Aber wir schauen da schon besorgt darauf. Es ist eine Aufgabe des gesamten Fußballs, es geht nicht nur um ein paar junge Spieler bei einem Verein."
Hansi Flick mit Identifikation mit den Fans schaffen
Für Direktor OIiver Bierhoff und Neu-Nationaltrainer Flick geht es vor allem darum, dass die DFB-Elf nach den leistungsschwachen Jahren unter Löw das Vertrauen der Fans zurückgewinnen muss.
Kurzzeitig flammte nach dem 4:2-Erfolg über Portugal so etwas wie begeisternde Fußball-Stimmung in Deutschland auf. Doch diese wurde direkt mit dem glücklichen 2:2 gegen Ungarn im letzten Gruppenspiel wieder getrübt.
"Wir müssen durch sportlich gute Leistungen wieder die Bindung zu unseren Fans verbessern. Immer, wenn es einen positiven Erfolg gab, gab es den nächsten Dämpfer. Ich hoffe auf mehr Kontinuität." Die gab es in den vergangenen drei Jahren unter Jogi Löw nicht mehr.