Der FC Bayern München hat gut Lachen: Der Rekordmeister geht als Titelverteidiger in drei Wettbewerben in die neue Saison. Er hat ein junges und aufstrebendes Team um die Nationalspieler Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Leon Goretzka, dazu erfahrene Größen wie Manuel Neuer, Thomas Müller oder Robert Lewandowski. Demnächst kommt auch noch Leroy Sané dazu. Einen Erfolgstrainer hat der FCB mit Hansi Flick auch. Kurzum: Die Bayern-Zukunft scheint gesichert und ziemlich rosig, der Klub ist gut aufgestellt und kann die kommenden Jahre prägen, auch international.
Karl-Heinz Rummenigge führte im Interview mit der "Welt am Sonntag" selbstbewusst aus: "Wir sind jetzt die Benchmark in Europa. Dadurch haben wir eine große Verantwortung uns selbst gegenüber, aber auch gegenüber dem deutschen Fußball. Jetzt bewundert uns ganz Europa, vorher war es der FC Liverpool, davor Real Madrid."
"Die Mannschaft befindet sich auf absolutem Top-Niveau", das weiß auch Vorstandsmitglied und Rummenigges designierter Nachfolger Oliver Kahn. Dennoch gilt auch vor der nächsten Saison sein Leitsatz, dass man "die Zusammensetzung eines Kaders nie als abgeschlossen betrachten" kann. Der 51-jährige Ex-Kapitän des FC Bayern betont dabei, dass es bei einem Triple-Champion nicht einfach sei, "von Verbesserungspotenzial" zu reden.
Trotzdem wird es für die Münchener wichtig sein, noch auf einigen Positionen nachzulegen, um den Kader für alle künftigen Aufgaben zu rüsten. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sieht erstens nach dem Triple ein schwieriges Jahr auf den Klub zukommen. "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es eine sehr anspruchsvolle Saison wird", sagte er der "Welt am Sonntag": "Die Mannschaft wird fast die ganze Saison im Dreitagesrhythmus spielen, der Kalender ist dicht gedrängt."
Zweitens wird sich das Gesicht der Mannschaft in der kommenden Saison verändern. Bis zu neun Profis könnten den FC Bayern am Ende des Transferfensters am 5. Oktober verlassen haben:
Hansi Flick beschäftigt sich längst damit, dass fast eine komplette Elf den Verein verlassen wird. Er scheint aufgrund der vielen potenziellen Abgänge sogar etwas Bauchschmerzen zu haben: "Wir werden einige Spieler verlieren, die enorme Qualitäten haben. Das müssen wir auffangen. Wenn ich mit diesem Kader weiterarbeiten könnte, das wäre schön. Aber das ist nun mal nicht der Fall", erklärte er erst vor kurzem in einem großen Interview in der "Zeit".
Einfach wird es nicht, die Abgänge zu kompensieren. Drei Neuzugänge sind zwar schon da: Torwart Alexander Nübel, das französische Abwehrtalent Tanguy Nianzou Kouassi und Königstransfer Leroy Sané. Außerdem kehrt Mittelfeldspieler Adrian Fein nach einer Leihe vom Hamburger SV zurück.
Doch ein Satz von Hasan Salihamidzic lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen: "Wir sind wirtschaftlich am Anschlag", erklärte der für Transfers verantwortliche Sportvorstand im "Kicker"-Sonderheft zur Saison 2020/21. Das klingt fast so, als steckte man ein wenig in der Transferklemme.
Der Champions-League-Sieg wird dem deutschen Triple-Sieger zwar bis zu 135 Millionen in die Kassen spülen. Trotzdem: Corona habe Spuren hinterlassen, erklärte Salihamidzic.
Mit Blick auf Neuzugänge für die kommende Saison werde der FC Bayern trotz der zusätzlichen Champions-League-Einnahmen vorsichtig sein. Es gehe darum, erfolgreich zu sein, ohne neue Schulden zu machen. Salihamidzic sieht es als sein Ziel an, "dem Trainer auch für die neue Saison eine Mannschaft zu stellen, mit der er Titel gewinnen kann, aber keine Transfers zu machen, die unsere wirtschaftliche Gesundheit gefährden." Eine Investition à la Sané, dessen Transfer von Manchester City nach München rund 50 Millionen Euro gekostet haben soll, ist für den FCB nicht drin.
Zumal Rummenigge in der Bayern-AG angesichts der durch die Corona-Pandemie geringeren Einnahmen für die Saison 2019/2020 "finanzielle Mindereinnahmen von circa 50 Millionen Euro" erwartet. Dennoch habe man "die Hoffnung, eine schwarze Null zu schreiben. Da die Endphase der aktuellen Champions League zeitlich in die nächste Saison fallen wird, werden hier mögliche Einnahmen natürlich auch erst im nächsten Geschäftsjahr zum Tragen kommen", sagte Rummenigge.
Vor diesem Hintergrund scheint vor allem ein Verkauf von Thiago unumgänglich. Da Thiagos Vertrag 2021 ausläuft, besteht Handlungsbedarf. Er soll keinesfalls in einem Jahr ablösefrei München verlassen. Der FC Liverpool gilt als heißer Kandidat auf die Verpflichtung des Spaniers, die Ablösesumme soll 30 Millionen Euro betragen. Rummenigge rechnet "in diesen Tagen" mit einem Angebot für Thiago. Bei dem 29-Jährigen sehe "es so aus, dass er uns verlassen möchte", sagte der Bayern-Boss in der "Welt am Sonntag". Und weiter: "Wenn es so kommt, ist es ein Abgang, der schon etwas schmerzt."
Tatsächlich ist Thiago einer der besten Fußballer beim FC Bayern. Einen Spieler mit seiner Ballsicherheit, seiner Vielseitigkeit in der Mittelfeld-Zentrale und seiner Erfahrung nimmt wahrscheinlich jeder Trainer dieser Welt mit Handkuss. Doch im Flick-System ist die offensive Mittelfeldposition für Thomas Müller reserviert, und dahinter setzt der Bayern-Trainer auf das Nationalelftandem Kimmich-Goretzka. Für die zweite Rekordmeisterreihe ist Thiago, auch angesichts des Corona-Sparplans, aber zu gut. Auch wenn er in den vergangenen Champions-League-Spielen wieder seine Wichtigkeit bewiesen hat, als er für Kimmich, der den verletzten Benjamin Pavard rechts in der Viererkette vertrat, ins Mittelfeld rückte.
Und dort, auf Pavards Stammposition rechts hinten, drückt der Schuh beim FC Bayern mehr als im Mittelfeld, wo Flick auch noch auf Corentin Tolisso, Mickaël Cuisance, Rückkehrer Adrian Fein und Neuzugang Nianzou Kouassi zurückgreifen kann. Auch der vom Linksverteidiger zum Abwehrboss aufgestiegene David Alaba kann grundsätzlich auf der Goretzka- oder Kimmich-Position spielen. Der Österreicher, der im Nationalteam im Mittelfeld spielt, träumt sogar seit Jahren davon, eine zentralere Rolle bei den Bayern zu übernehmen.
Auch Alabas derzeitiger Vertrag läuft im nächsten Jahr aus. Rummenigge betonte, dass das Eigengewächs auf jeden Fall gehalten werden solle. "Es wäre sehr schade, wenn wir zu keiner Einigung kommen würden. David ist zwölf Jahre bei uns und passt wie die Faust aufs Auge zum FC Bayern."
Vielleicht ist ein Gedankenspiel beim FC Bayern sogar, dass Alaba bei einem Thiago-Abgang mit Aussicht auf mehr Spielzeit im Mittelfeld gehalten werden kann. Denn man hat ja immerhin auch noch Lucas Hernández, für den man sicher nicht umsonst 80 Millionen Euro ausgegeben hat, und den nach einer Kreuzbandverletzung wieder genesenen Nationalspieler Niklas Süle für die Abwehrzentrale im Kader. Süle und Hernández, beide haben den Anspruch Stammspieler zu sein.
Und was will Flick? Der 55-Jährige würde gerne den erfahrenen Kroaten Ivan Perisic neben Sané, Coman und Gnabry als vierten Flügelstürmer behalten. Verpflichtet werden soll in diesem Sommer außerdem noch ein Rechtsverteidiger, der Weltmeister Pavard vertreten kann, "das ist der Wunsch des Trainers", sagte Rummenigge dazu im "Welt am Sonntag"-Interview. Doch für den Trainer gelte auch: "'Wünsch dir was' können wir uns in Zeiten von Corona finanziell nicht leisten."
Wenn allerdings Thiago verkauft wird, dann darf sich Flick Ivan Perisic und einen zweiten Rechtsverteidiger wünschen. 30 Millionen Euro für Thiago hören sich zwar in Fußballtransferdimensionen fast schon lächerlich wenig an. Aber den nicht mehr ganz so jungen Perisic und einen Backup-Rechtsverteidiger kann man sich mit diesem Budget durchaus leisten, zumal die Transfersummen Corona-bedingt ohnehin gerade etwas moderater sind als üblich.
Wenn der Rekordmeister mit dem Anspruch in die neue Saison geht, alle drei Titel verteidigen zu wollen und weiterhin gut lachen haben will, muss er aber auf jeden Fall auf den beiden von Flick geforderten Positionen qualitativ nachlegen. Bis zum Ende der Wechselfrist am 5. Oktober bleibt den Verantwortlichen beim FC Bayern aber noch genügend Zeit. Die Verhandlungsposition ist nach dem Triple jedenfalls nicht so schlecht – immerhin ist man ja jetzt "die Benchmark in Europa".
(as/mit Material von sid und dpa)