99 Tage, nachdem der FC Bayern bekannt gegeben hat, sich in diesem Sommer von Thomas Tuchel zu trennen, haben die Münchener am Mittwoch einen neuen Trainer gefunden. Vincent Kompany kommt vom FC Burnley und soll die Bayern nach einer titellosen Saison zurück zum Erfolg führen.
Es ist eine Lösung, die in Anbetracht der jüngsten Berichterstattung keineswegs überraschend kommt. Der Belgier hatte sich in den Vortagen zum Topfavoriten auf das Tuchel-Erbe entwickelt, Karl-Heinz Rummenigge hatte die bevorstehende Anstellung schon am Dienstag bestätigt.
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Einen gewissen Überraschungsfaktor bringt die Verpflichtung von Kompany aber doch mit sich. Seit Februar wurden in München schließlich Namen wie Xabi Alonso, Zinédine Zidane, Julian Nagelsmann, Ralf Rangnick oder Hansi Flick gehandelt, selbst der Name Pep Guardiola ist gefallen.
Alle Trainer vereint, dass sie bereits große Erfolge feiern konnten, teilweise seit Jahren im Geschäft sind. Auf Kompany trifft weder das eine noch das andere so wirklich zu. 2019 sammelte er zunächst als Spielertrainer erste Erfahrungen in Anderlecht, ein Jahr später konzentrierte er sich nur noch auf die Trainertätigkeit.
2022 zog er zum damals zweitklassigen FC Burnley weiter, führte diesen mit 101 Punkten aus 46 Spielen souverän zum Aufstieg in die Premier League. Dort konnte er mit seinem Team in der abgelaufenen Saison aber nicht an das grandiose Vorjahr anknüpfen, mit 24 Punkten aus 38 Partien stiegen sie gemeinsam wieder ab.
Der FC Bayern holt also einen Absteiger. Einen Mann, dessen bis dato einziger Titel als Trainer die englische Zweitligameisterschaft ist. Dabei kommen die Bayern doch selbst aus einer titellosen Saison. Eine, die mehrere Baustellen offenbart hat. So kann und darf es eigentlich nicht weitergehen.
Kein Wunder also, dass es in dieser Gesamtkonstellation kritische Stimmen, mindestens Fragezeichen hinter der Eignung Kompanys gibt. Dabei offenbart ein genauerer Blick, dass der Belgier gerade vorm Hintergrund der drei großen Baustellen, die der FCB besitzt, genau der richtige Mann sein kann.
Tuchel hatte bereits im Vorjahr immer wieder darauf hingewiesen, dass Veränderungen im Kader notwendig seien. Allzu viel Gehör schenkten ihm die Bayern-Bosse dabei zunächst nicht, stattdessen setzte es Kritik an seinem öffentlichen Vorpreschen.
Im Laufe der Saison reifte in München aber zunehmend die Erkenntnis, dass der Übungsleiter recht hatte. Die Anstellungen von Christoph Freund als Sportdirektor sowie Max Eberl als Sportvorstand befeuerten dies. So scheint sich die sportliche Führung mittlerweile im Klaren darüber zu sein, dass es diesen Sommer einen Umbruch braucht.
Die "Sport Bild" berichtete kürzlich, dass dafür fünf bis sieben neue Spieler kommen sollen. Allein aus finanzieller Notwendigkeit heraus bedeutet dies, dass im Umkehrschluss der eine oder andere Star den Verein verlassen muss. Gehandelt wurden dabei bereits große Namen wie Alphonso Davies, Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Serge Gnabry.
Über Jahre haben sie eine erfolgreiche Achse gebildet, etwa 2019/20, als das Team sämtliche Titel einheimste. Dass Hansi Flick damals Trainer der Münchener war, soll nun ein Grund gewesen sein, warum sich Eberl für Kompany anstatt für eine Rückkehr Flicks entschieden hat.
Es habe laut "Sport Bild" Zweifel gegeben, ob mit dem 59-Jährigen ein echter Umbruch möglich gewesen wäre. Kompany hingegen hat bisher keine persönlichen Bindungen zu den FCB-Stars, sowohl Spieler als auch Trainer gehen gänzlich unvoreingenommen an die Aufgabe. Für einen echten Neuanfang, wie ihn die Bayern brauchen, scheint der Belgier daher eine geeignete Lösung zu sein.
Satte 94 Tore erzielte der FCB in der abgelaufenen Bundesliga-Saison, feierte dabei mehrere Schützenfeste. Und doch wurde im Laufe der Saison immer wieder deutlich, wie ideenlos die Bayern auf dem Weg nach vorne wirken. Zu abhängig waren sie zu oft von den schnellen Bewegungen eines Jamal Musialas auf engstem Raum, den raumgreifenden Sprints von Leroy Sané sowie der Kaltschnäuzigkeit von Harry Kane.
Zu statisch und ausrechenbar wirkte auf der anderen Seite oftmals der Spielaufbau. Der spielerischen Entwicklung, wie sie etwa in Leverkusen oder Stuttgart zu sehen ist, hinkten die Bayern damit zuletzt hinterher.
Mit Kompany holen sie nun einen Trainer, der selbst für einen modernen Ansatz steht. Der Belgier setzt auf Flexibilität, im Aufbau etwa mal mit drei, mal mit vier Spielern. Sein Spiel umfasst aber auch klassische Ballbesitzelemente, wie er sie als aktiver Profi unter Pep Guardiola kennengelernt hat.
"Ich habe eine hohe Meinung von ihm", schwärmte der Trainer von Manchester City kürzlich auf einer Pressekonferenz: "Ich schätze seine Arbeit, seine Persönlichkeit und sein Wissen über das Spiel."
Dies zeigt sich auf dem Platz in Form von fluiden Formationen. 4-4-2, 4-2-3-1, 4-3-3 – es gehört alles zum Repertoire des 38-jährigen Belgiers.
Es zeigt sich auch in Form von hohen Ballbesitzanteilen, ins Mittelfeldzentrum einrückenden Außenverteidigern sowie Lösungen gegen hoch pressende, aber auch tief im Block verteidigende Gegner. So war es zumindest in der zweitklassigen Championship, wo der FC Burnley auf nominell gleichstarke Gegner getroffen ist.
"Es ist ein perfekter Fit für die Bayern", fasst Taktikexperte Benny Grund in einem Youtube-Video auf dem Kanal "At Broski – Die Sport Show" zusammen: "Es müssen nur noch Nuancen im Kader angepasst werden, damit es funktioniert."
So seien etwa Joshua Kimmich und Raphaël Guerreiro als einrückende Außenverteidiger ideal, Ballverteiler Aleksandar Pavlović wiederum passt perfekt zu den Anforderungen auf der Sechs. Laut Grund müsse sich der FCB nun vor allem nach einem dynamischen Nebenmann für den DFB-Neuling umschauen.
Probleme haben die Bayern in der jüngeren Vergangenheit nicht nur in Ballbesitz offenbart, sondern auch in der Arbeit gegen den Ball. 45 Gegentore kassierten sie in der abgelaufenen Bundesliga-Saison, es ist der Höchstwert unter den ersten fünf der Liga.
Die Defensive, obwohl mit teuren Stars wie Dayot Upamecano, Min-jae Kim, oder Matthijs de Ligt gespickt, erlaubte sich immer wieder individuelle Aussetzer. Hier könnte Kompany, der aufgrund seiner erfolgreichen Laufbahn als aktiver Spieler ohnehin eine gewisse Autorität besitzen dürfte, besonders positiv einwirken.
Der Belgier gehörte als Innenverteidiger über gut ein Jahrzehnt zu den Besten seines Fachs, rief bei Manchester City jahrelang konstant Leistungen auf höchstem Niveau ab. Gerade im Austausch mit den hin und wieder wackligen Abwehrspielern dürfte er folglich den einen oder anderen nützlichen Tipp haben.
Unter dem Strich liest sich die Verpflichtung Kompanys damit wesentlich besser, als sie von Kritiker:innen ursprünglich gemacht wurde. Sie sollte in München viel eher Anlass zur Hoffnung als zum Zweifeln geben. Womöglich bewahrheitet sich bei Bayerns 99-tägiger Trainersuche damit letztlich eine alte Redensart: Gut Ding will Weile haben.