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EM: Markenexperte erklärt, wie der DFB bei der EM an seinem Image arbeitet

Fußball: EM, Frankreich - Deutschland, Vorrunde, Gruppe F, 1. Spieltag in der EM-Arena München. Fans feiern auf der Tribüne mit deutschen Fahnen vor dem Spiel. Important: For editorial news reporting  ...
Die deutschen Fans zeigten sich beim ersten Gruppenspiel gegen Frankreich stimmungsvoll. Bild: dpa / Federico Gambarini
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"Identifikation kommt nicht über Nacht": Markenexperte erklärt, warum das DFB-Team bei der EM dennoch eine große Chance hat, sein Image zu verbessern

16.06.2021, 20:3117.06.2021, 07:14
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Als Bundestrainer Joachim Löw am Dienstagsabend nach der 0:1-Auftaktniederlage gegen Frankreich um kurz nach 23 Uhr zum Gespräch zum ZDF kam, hatten die meisten der 14.500 Fans die Münchner EM-Arena bereits verlassen. Ein paar deutsche Anhänger waren aber noch da und begrüßten den Bundestrainer mit Applaus und verabschiedeten ihn nach dem Gespräch auch wieder mit Beifall.

Eine bemerkenswerte Aktion, gerade weil Löw und das DFB-Team seit dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 nur selten die Herzen der deutschen Fans erobern konnte. Vielmehr entfremdete sich das Nationalteam mit schlechten Leistungen, fragwürdigen Marketing-Aktionen und zahlreichen Streits in der Verbandsspitze immer mehr von seinen Anhängern.

"Das zeigt, dass der Einsatzwille der Mannschaft gestern rübergekommen ist. Das war ein erster Schritt zu einer wieder engeren Verbindung zwischen Fans und Mannschaft. Und Leistungswille ist die Eintrittskarte für Identifikation", sagt Markenexperte Christopher Spall gegenüber watson.

Auch Bundestrainer Löw erklärte nach der Partie, dass es ein brutal intensives Spiel war, in dem seine Mannschaft bis zum Schluss gefightet hat. "Ich kann dem Team keinen Vorwurf machen", sagte er im ZDF.

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Markenexperte Christopher Spallbild: spall.macht.marke

Der Großteil der Fans unterstützte das DFB-Team dabei lautstark in der Münchner Arena. Obwohl das Stadion nur zu 20 Prozent ausgelastet war, herrschte eine Stimmung, die man so nur selten von Länderspielen der deutschen Mannschaft kennt. Laut dem Markenexperten hat das vor allem damit zu tun, dass die Europameisterschaft ein willkommenes Ventil ist, um in Zeiten der Corona-Pandemie durchzuschnaufen und sich auch mit Freunden wieder zusammenzusetzen.

DFB verzichtet auf große
Markenkampagnen

Außerdem hat der DFB im Vorfeld auf große Marketingkampagnen und einer riesigen Choreografie im Stadion verzichtet. "Sie haben die ganze Vermarktung im Vorfeld bewusst extrem gedämpft. Oliver Bierhoff flogen diese Maßnahmen nach dem WM-Aus 2018 um die Ohren und zudem haben sie gemerkt, dass viele Fans sich vom überkommerzialisierten Fußball emotional entfernen. Der DFB hat verstanden, dass die Verpackung nichts wert ist, wenn der Inhalt nicht stimmt sind."

Nach dem WM-Titel 2014 erhielt das Team den Spitznamen "Die Mannschaft" und der dazugehörige Hashtag wurde im Anschluss in alle Richtungen vermarktet. Vor der vergangenen Weltmeisterschaft lautete der Hashtag dann "ZSMMN" und sollte die Verbindung zwischen Mannschaft und Fans noch weiter stärken. Das Turnier endete mit dem Vorrunden-Aus in einem Desaster und die Marke Nationalmannschaft litt enorm.

"Er hat in den vergangenen Jahren enorm an Charisma gewonnen. Er kann die Mannschaft wieder in die Herzen der Deutschen führen."
Markenexperte Christopher Spall über Joshua Kimmich

"Bei starken Marken geht es immer um Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit und das war in den letzten Jahren beim DFB-Team nicht gegeben. Zu viele Spielerwechsel. Zu viele durchwachsene Leistungen", sagt der Marken-Experte. Natürlich auch bedingt durch die Führungskrise und den politischen Machtkampf an der Spitze des Verbandes.

Während des jetzigen Turniers heißt es auf den DFB-Accounts in den sozialen Medien unter jedem Post nur noch "#dieMannschaft".

Doch wofür "die Mannschaft" eigentlich steht, weiß bis heute niemand so wirklich. Und das ist laut Markenexperte Spall auch das aktuell größte Problem der deutschen Nationalmannschaft. Denn man kann eine starke Marke "nur durch Leistung, nicht durch Versprechen" aufbauen, erklärt Spall. "Es hilft nichts, wenn die Verpackung schön ist, aber der Inhalt nicht passt."

Der "Mannschaft" fehlt die Identität

Daher müsse man sich beim DFB immer noch die große Frage stellen, wofür diese Mannschaft überhaupt stehen will, denn erst dann könnten sich die Fans wieder mit ihr identifizieren.

Das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Frankreich war von einer guten Defensive und einem eher langsamen Offensivspiel geprägt. "Da wird dann auch kein Fan sagen: 'Die Spielweise ist cool. Damit identifiziere ich mich.'" Spall habe vielmehr das Gefühl, dass die eigentliche Identität der Mannschaft offensiver, schneller Angriffsfußball ist.

Die Unterstützung der Fans am Dienstagabend kam aber eher durch den unbedingten Einsatzwillen, den die Mannschaft sonst häufig vermissen ließ, statt aufgrund des ansehnlichen Spiels.

Doch dabei macht er auch deutlich, dass das auch nicht innerhalb einer Partie klappt. "Identifikation kommt nicht über Nacht und verschwindet auch nicht über Nacht. Das ist ein Prozess."

Die Mannschaft vor dem Teamfoto. GES/ Fussball/ Mannschaftsfoto des deutschen Nationalmannschaft vor der Euro 2020 in Herzogenaurach, 11.06.2021 Football / Soccer: Team photo of the German national te ...
Die deutsche Mannschaft bei der Vorbereitung des Teamfotos.Bild: GES-Sportfoto / Markus Gilliar

Kimmich kann für die Marke DFB enorm wichtig werden

Trotz der Rückkehr von Thomas Müller und Mats Hummels sei dabei aber Joshua Kimmich der Spieler, der diesen Prozess am ehesten beschleunigen kann. Denn er verkörpere sehr viele Werte, die sich die deutsche Gesellschaft wünscht.

Der 26-Jährige verbindet die typischen deutschen Fähigkeiten Zweikampfstärke, Laufbereitschaft und Leidenschaft mit einer enormen fußballerischen Klasse und einem authentischen Charakter. "Er hat in den vergangenen Jahren enorm an Charisma gewonnen. Er kann die Mannschaft wieder in die Herzen der Deutschen führen."

Fußball: EM, Frankreich - Deutschland, Vorrunde, Gruppe F, 1. Spieltag in der EM-Arena München. Deutschlands Joshua Kimmich spielt den Ball.
Joshua Kimmich kann auf und abseits des Platzes enorm wichtig für das DFB-Team werden. Bild: dpa / Federico Gambarini

Zumal der Bayern-Star auch abseits des Platzes als Leader auftritt. Besonders die Spendenaktion "WeKickCorona" für soziale Einrichtungen mit Teamkollege Leon Goretzka zeigte, dass er auch Verantwortung außerhalb des Platzes übernehme.

Spall könnte sich zudem vorstellen, dass Kimmich mit der Amtsübernahme von Hansi Flick auch der neue Kapitän der Mannschaft wird. "Ich glaube, wir sehen gerade den Aufstieg eines neuen Helden im DFB-Trikot", sagt der Experte.

Zwischen Misstrauen und
kleinem EM-Hype

Doch aktuell geht es nach der Auftaktniederlage zunächst darum, das Spiel gegen Portugal zu gewinnen, um weiterhin eine Chance auf das Achtelfinale zu haben und zumindest als einer der besten Gruppendritten ins Achtelfinale einzuziehen.

Dass die Stimmung aktuell zwischen einer gewissen Skepsis und einem kleinen Hype liegt, kann für das deutsche Team auch eine Chance sein, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.

"Das Team hat eine wunderbare Plattform, um zu zeigen, dass es sich für sein Land einsetzt und auf dem Platz alles gibt. Und wenn sie trotz des verpatzten Starts das Achtelfinale erreichen, ist alles möglich."

"Bei starken Marken geht es immer um Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit und das war in den letzten Jahren beim DFB-Team nicht gegeben."
Marken-Experte Christopher Spall

Dass zahlreiche Fans weiterhin Jogi Löw und seiner Arbeit vertrauen, liegt vor allem daran, dass ihm die Fans wieder mehr vertrauen. "Seine Rücktrittsankündigung wirkt er wie befreit. Er ist sehr fokussiert und klar im Auftreten."

Und Löw vertraut den Fähigkeiten seines Teams. Gegen Portugal muss bereits ein Sieg her, um zumindest als eine der besten Gruppendritten ins Achtelfinale einzuziehen. "Der Blick geht jetzt nach vorn. Wir haben verloren und alle sind enttäuscht, aber es ist nichts passiert. Wir haben noch zwei Spiele und können das geradebiegen." Und vielleicht applaudieren ihm dann am kommenden Mittwoch nach dem Spiel gegen Ungarn alle 14.000 Fans in der Münchner Arena.

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