
Der BVB müsste sich im Titelkampf in den letzten Jahren klar hainter dem FC Bayern einordnen.Bild: imago images / Thomas Bielefeld
Bundesliga
Fast in jedem Jahr verlor der BVB zuletzt einen Star. Diesmal gelang es jedoch, den umworbenen Jadon Sancho zu halten. Mit deutlichen Worten beseitigte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke letzte Zweifel.
16.08.2020, 09:1416.08.2020, 09:14
Borussia Dortmund nimmt einen neuen Anlauf, die
lange Alleinherrschaft des FC Bayern im deutschen Fußball zu beenden.
Den Verbleib von Jadon Sancho deuten alle Beteiligten als positives
Signal. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke kommentiert in einem Interview
der Deutschen Presse-Agentur die anhaltenden Spekulationen um Sancho
und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass zu Saisonbeginn trotz
anderer Signale aus der Politik wieder Zuschauer in die Stadien
zurückkehren.
Gleich der erste Tag im Trainingslager von Bad Ragaz begann
mit einem Coup. Wie groß war ihre Genugtuung, als Sportdirektor
Michael Zorc den Verbleib von Jadon Sancho bekanntgab? Laut
Medienberichten stand der Engländer ja eigentlich kurz vor einem
Wechsel zu Manchester United.
Watzke: Zu den Hintergründen werden wir nichts sagen. Was ich aber
betonen kann: Wenn Michael Zorc, der wie ich Westfale ist, von einer
definitiven Entscheidung spricht, dann ist sie definitiv. Da gibt es
nullkommanull Interpretationsspielraum.
Dennoch halten die Spekulationen aus England an, wonach der
BVB nur den Preis nach oben treiben will und Sancho am Ende der
Wechselfrist doch noch in Manchester landet. Ist das wirklich völlig
abwegig?
Watzke: Das habe ich auch gelesen. Das behaupten Experten wie Paul
Scholes oder Owen Hargreaves. Das waren großartige Fußballer, und es
sind Fußball-Experten. Aber ich weiß nicht, ob sie auch
Transfer-Experten sind. Der Sancho-Verbleib beim BVB ist in Stein
gemeißelt.
"Wir erkennen an, dass Jadon sehr gut reagiert. Und er erkennt an, dass wir eine gute Mannschaft haben, in der man viel Freude hat, Fußball zu spielen."
Andere in der BVB-Vergangenheit wechselwillige Profis wie
Dembélé und Aubameyang haben ihren Abgang am Ende erzwungen. Wie
sicher sind Sie, dass Sancho nicht Ähnliches versucht?
Watzke: Diese Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Jadon hat beim
Testspiel in Altach – wie Sie wissen – selbst erklärt, wie "happy er
in diesem besonderen Haufen ist". Wir haben einen guten Austausch mit
seinen Beratern. Wir erkennen an, dass Jadon sehr gut reagiert. Und
er erkennt an, dass wir eine gute Mannschaft haben, in der man viel
Freude hat, Fußball zu spielen. Er zeigt diese Freude zurzeit jeden
Tag. Im Training. Im Spiel.
Uli Hoeneß hatte unlängst die Strategie des BVB als "unklug"
bezeichnet, Talente früh zu sichten, zu entwickeln und am Ende dann
teuer zu verkaufen. Man könnte meinen, diese Kritik hat Sie
inspiriert und darin bestärkt, Sancho nicht zu verkaufen.
Watzke: Was Uli Hoeneß aus der Ferne gesagt hat, hat mich nicht im
Ansatz interessiert. Ich habe mich mit dem Wortlaut überhaupt nicht
auseinandergesetzt. Deshalb kann ich seine Worte auch nicht bewerten.
Aber dem BVB fällt es schon schwerer, Stars zu halten als den
Bayern.
Watzke: Dass ab und an ein Spieler wechselt, ist für uns normal. Das
ist der Entwicklungsstufe eines Vereins geschuldet. Ich kann mich
noch gut daran erinnern, dass auch die Bayern einst immer wieder gute
Spieler abgeben mussten, weil sie noch nicht den entsprechenden
Entwicklungsstand erreicht hatten. Karl-Heinz Rummenigge ist damals
zu Inter Mailand gewechselt. Mittlerweile gehören die Münchner aber
zu den fünf erfolgreichsten und reichsten Vereinen der Welt –Chapeau. Dazu gehören wir nicht. Aber wir haben uns seit unserer
Fast-Pleite vor 15 Jahren großartig entwickelt. Wunder können wir
jedoch nicht vollbringen. Zaubern können wir auch nicht.
"Was Uli Hoeneß aus der Ferne gesagt hat, hat mich nicht im Ansatz interessiert. Ich habe mich mit dem Wortlaut überhaupt nicht auseinandergesetzt."
Sie haben als Verein – anders als im vergangenen Jahr – in
diesem Sommer kein offizielles Saisonziel ausgegeben. Das wird
vielerorts als Kapitulation vor der Übermacht der Bayern
interpretiert.
Watzke: Ich habe die Worte von St. Paulis Präsident Oke Göttlich
auch gelesen. Er wiederum hat in dem Text über meine Worte aber
offenbar leider nur die Titelzeile gelesen – ein Fehler, denn die
stammte nicht aus meiner Feder. Um es klar zu sagen: Wir kapitulieren
nicht! Wir bleiben maximal ambitioniert. Aber als Club haben wir
entschieden: Wir machen diese Medienspielchen nicht mehr mit.
Jahrelang hat man sich von uns gewünscht: Sagt doch mal, dass Ihr
Meister werden wollt. Im vergangenen Jahr haben wir dann gesagt: Wir
möchten es zumindest versuchen. Aber das hat schon nach ein paar
Tagen kaum noch jemand korrekt zitiert. Erst waren wir der selbst
ernannte Meisterschaftskandidat, dann am eigenen Ziel gescheitert,
schließlich hatten wir versagt. Ich verstehe, dass das Spielchen für
die Medien nett ist, aber für uns ist es das nicht. Alleine durch das
Proklamieren von Zielen kommt man diesen übrigens keinen Millimeter
näher.
Spieler wie Hummels oder Bürki haben die Ziele zuletzt
offensiver formuliert als die Verantwortlichen. Gibt es da einen
Dissens?
Watzke: Überhaupt nicht. Jeder Spieler darf sagen, was er will. Wer
von sich glaubt, er braucht für sich persönlich eine andere, eine
übergeordnete Motivation, der hat jederzeit alle Möglichkeiten. Es
ging einzig und allein darum, was der Club ganz offiziell
verlautbart. Und das habe ich Ihnen mitgeteilt. Wir möchten die
Menschen mit unserem Fußball begeistern.
Sancho ist gerade mal 20 Jahre alt, Spieler wie Haaland,
Reyna, Bellingham und vor allem der gerade einmal 15 Jahre alte
Moukoko sind noch jünger. Unlängst war sogar schon vom Jugendwahn zu
lesen. Übertreibt es der BVB mit der hohen Zahl an unerfahrenen
Talenten im Kader?
Watzke: Nein. Wir haben mit Thomas Meunier auch einen sehr
erfahrenen Spieler geholt. Ich glaube, bei uns herrscht mit
gestandenen Profis wie Mats Hummels, Lukasz Piszczek, Meunier, Emre
Can, Roman Bürki und Raphael Guerreiro eine gute Balance. Die
Mischung von erfahrenen und jungen Profis stimmt.
"Wir hatten ein extrem detailliertes und durchdachtes Hygienekonzept, das im Sport überall auf der Welt noch heute als Vorbild dient."
Sehen Sie noch Baustellen in der Kaderplanung? Sind alle
Positionen ausreichend besetzt?
Watzke: Du kannst immer weiter optimieren. Aber Fakt ist: Es ist
Stand jetzt kein Geld mehr für Ablösesummen da. Wenn man in jedem
Spiel ohne Zuschauer vier Millionen Euro verliert, und das tun wir,
dann muss man kein Prophet sein, um auszurechnen, in welche Richtung
das geht. Es sind definitiv keine großen Sprünge mehr drin.
Und nun müssen die Klubs möglicherweise weiter auf Zuschauer
verzichten und mit weiteren Verlusten rechnen. Sind Sie enttäuscht
über entsprechende Signale aus der Politik?
Watzke: Ich sehe diese Signale gar nicht so negativ. Markus Söder
hat in der vergangenen Woche etwas gesagt, was meiner Meinung nach
nicht richtig interpretiert wurde. Er hat gesagt, dass er sich
momentan Spiele vor 20.000 oder 25.000 Zuschauern nicht vorstellen
kann. Da gehe ich zu 100 Prozent mit. Ich kann mir vor dem
Hintergrund der aktuellen Corona-Situation auch keine solchen
Zuschauerzahlen vorstellen.
Das klingt zumindest so, als ob sie noch auf einen
Bundesliga-Start mit Zuschauern hoffen - wenn auch mit einer
geringeren Zahl.
Watzke: Das ist Stochern im Nebel und hängt wesentlich von der
Pandemie-Entwicklung ab. Die Politik wertschätzt es sehr wohl, wie
die Liga es bisher trotz all der vielen Zweifler gemanagt hat. Wir
hatten ein extrem detailliertes und durchdachtes Hygienekonzept, das
im Sport überall auf der Welt noch heute als Vorbild dient. Nicht ein
einziger Bundesliga-Profi hat sich in den vielen Spielen der
vergangenen Saison infiziert. Der Fußball hat sich als absolut
verlässlicher Partner der Politik erwiesen. Wir haben Wort gehalten
und eine Vertrauensbasis geschaffen.
Anders als am Ende der vorigen Saison wird es aber die strenge
häusliche Quarantäne der Spieler in der neuen Spielzeit nicht mehr
geben. Steigt damit nicht die Gefahr, dass es auch in der Bundesliga
einen Fall Dynamo Dresden mit infizierten Spielern geben und der
ohnehin enge Terminplan in Gefahr geraten könnte?
Watzke: Die Spieler sind weiterhin in der Dauertestung. Wenn es
einen Fall geben würde, könnte der entsprechende Spieler sofort
isoliert werden. Dass diese Situation so gut es denn geht
beherrschbar ist, haben wir gezeigt. Auch die Zusammenarbeit mit dem
Gesundheitsamt funktioniert. Klar ist aber: Jeder Mensch, der sich
ins Leben begibt, geht ein kleines Risiko ein.
"Gottlob sind die größten Clubs in Deutschland überwiegend finanziell gesund. Aber je länger die Geisterspiel-Situation anhält, desto schwieriger wird es auch für sie."
Würde der BVB überhaupt Geld verdienen, wenn beispielsweise
nur 5000 Zuschauer ins Stadion dürfen? Schließlich wäre der
organisatorische Aufwand kostspielig.
Watzke: Diesen Aufwand würden wir gern in Kauf nehmen, um 5000
Zuschauern die Möglichkeit zu geben, Spiele wieder live sehen zu
können. Immer Schritt für Schritt. 5000, oder auch 6000, 7000
Zuschauer wären in unserem Stadion – von den Abläufen her und unter
Hygiene- und Abstandsgesichtspunkten – kein Problem. Mir wären 5000
lieber als keiner. Man hat in unserem Testspiel in Altach am Mittwoch
schon bei nur 1250 Fans gemerkt, dass eine völlig andere Atmosphäre
herrscht als bei Geisterspielen.
Gibt es in den Verträgen des BVB mit neuen Spielern eigentlich
mittlerweile Pandemieklauseln – als Lehre aus der Corona-Krise?
Watzke: Das müsste man so exakt fassen, dass so ein Vertrag
vermutlich über 200 Seiten hätte. Wir haben mit unseren Spielern
erstklassige Erfahrungen gesammelt. Sie waren sofort und ohne jede
Diskussion bereit, auf Teile ihres Gehalts zu verzichten. Vor allem
auch dank Ihnen konnten wir als Arbeitgeber für die komplette
Belegschaft konsequent auf Kurzarbeit und damit auf eine
Vergesellschaftung unserer Kosten verzichten.
Sie haben für das abgeschlossene Geschäftsjahr einen Verlust
von über 40 Millionen Euro für den BVB prognostiziert. Wie schätzen
Sie die Gefahr auch für andere, kleinere Clubs ein, wenn diese Krise
anhält und noch mehr Geld verloren geht?
Watzke: Entgegen der landläufigen Meinung sind die größten Clubs
extrem stark betroffen. Sie haben die höchsten Einnahmeausfälle, aber
gleichzeitig die höchsten Kosten. Und diese Kosten verschwinden nicht
einfach so wie die Einnahmen. Gottlob sind die größten Clubs in
Deutschland überwiegend finanziell gesund. Aber je länger die
Geisterspiel-Situation anhält, desto schwieriger wird es auch für
sie.
Angesichts der Finanznöte einiger Clubs in der Corona-Krise
hat sich die Diskussion um Reformen im Fußball verschärft. Die einen
fordern eine Regulierung von Gehältern, andere die gerechte
Verteilung der TV-Gelder. Gibt es einen Königsweg?
Watzke: Der Königsweg wäre erreicht, wenn sich alle Beteiligten auf
einen vernünftigen Kurs einigen würden. Ein Kurs, der besagt, dass
die Liga solidarisch ist, aber Leistung auch belohnt wird. Von der
Idee, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man die Stärksten
schwächt, halte ich wenig. Es ist der falsche Ansatz, die großen
Clubs dafür bestrafen zu wollen, dass sie Außergewöhnliches geleistet
haben und den Karren ziehen – übrigens gerade auch international.
Diesen Ansatz zu verfolgen, haben wir als BVB übrigens nie versucht.
Warum auch? Der BVB gehört ja zu den Marktführern.
Watzke: Der BVB stand 2005 wirtschaftlich kurz vor dem Aus, ist 2011
zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder deutscher Meister geworden,
obwohl er vorher sieben Jahre keine Champions League gespielt hatte
und nicht über die entsprechenden Gelder verfügte. Dennoch haben wir
es geschafft, uns nach oben zu kämpfen. Der BVB ist der lebende
Beweis dafür, dass so etwas möglich ist. Man kann Geld nicht nur über
Umverteilung, sondern auch über sportliche Leistung generieren.
(vdv/dpa)