Thomas Tuchel ist seit rund zwei Wochen Trainer beim FC Bayern München.Bild: dpa / Tom Weller
Fußball-Kolumne
In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
14.04.2023, 12:0014.04.2023, 12:12
Trainer sind die neuen Stars der Liga. Während sie früher im Schatten der teuer eingekauften Spieler standen und regelmäßig gefeuert wurden, zählen einige unserer Top-Trainer inzwischen europaweit zu den Spitzenverdienern im Fußball.
Herausragenden Persönlichkeiten wie Jürgen Klopp, Ralf Rangnick oder Pep Guardiola ist es gelungen, Innovationen in das Spiel zu bringen und ganzen Mannschaften ihre Handschrift aufzudrücken. Jeder der genannten hat einzigartige Stärken und wahrscheinlich nur ganz wenige Schwächen.
Fußballwissen, Erfahrung und Führungsqualitäten haben sie natürlich auch. Allerdings sind die Stars der Szene nicht nur Fußballlehrer, sondern vor allem auch begnadete Entertainer in einem überhitzten Business. Sie sind mutig, extrovertiert, setzen Sprüche, ecken an und verstehen es, einen Starkult zu entfalten, der sie von allen anderen – fachlich exzellenten – Kollegen unterscheidet und in der öffentlichen Wahrnehmung abhebt.
Wer einmal solch einen Status erreicht hat, muss auf hohem Niveau daran arbeiten, sein Image zu pflegen und weiterzuentwickeln. Mithilfe eines ausgeprägten Markenzeichens machen sie sich bei den Fans und Medienvertretern beliebt und festigen ihre Position.
Fanforscher und Kolumnist Harald LangeBild: Uni Würzburg
Über den Autor
Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg. Er leitet den Projektzusammenhang "Fan- und Fußballforschung" und gilt als einer der bekanntesten Sportforscher in Deutschland. Der 55-Jährige schreibt und spricht täglich über Fußball, auch in seinem Seminar "Welchen Fußball wollen wir?"
Bundesliga: Baumgart und Streich als Gegensatz zu Tuchel und Guardiola
Steffen Baumgart trägt eine Mütze mit Wiedererkennungswert und liefert für den 1. FC Köln zu jedem Spieltag mindestens ein Statement, das es in die Schlagzeilen schafft. Christian Streich ist aufgrund seiner bodenständigen und ehrlichen Pressekonferenzen nicht nur der Liebling aller Freiburg-Fans, sondern Sympathieträger der gesamten Bundesliga. Beide Trainer schaffen sich ihr eigenes Umfeld und gelten in ihren Klubs praktisch als unkündbar.
Steffen Baumgart (links) und Christian Streich gelten als Kult-Trainer in der Bundesliga. Bild: imago images / eibner-Pressefoto
Im Spitzenbereich des europäischen Fußballs gibt es eine Handvoll Trainer, die ähnliches vollbringen und in ihrer Imagepflege eine Fußballintelligenz kultivieren, die sie als Titelgaranten rüberkommen lässt. Philosophen des modernen und erfolgreichen Fußballs. Gegenwärtig stehen Pep Guardiola (Manchester City) und Thomas Tuchel (Bayern München) ganz vorn im öffentlichen Ranking dieser Kulttrainer.
Das Aufeinandertreffen der beiden in der aktuellen Runde der Champions League wurde deshalb in den deutschen Medien zu einem Gipfeltreffen der besonderen Art hochstilisiert. Ohne dass die Trainer selbst ausführlich zu Wort kamen, wurden Geschichten und Legenden kreiert, die geeignet waren und sind, das Aufeinandertreffen zweier Fußballmannschaften auf ein geniales Schachspiel zweier Trainerpersönlichkeiten zu reduzieren.
FC Bayern: Tuchel, Guardiola und die Salzstreuer
Nun ist gerade jetzt wieder der geeignete Zeitpunkt, damit der ehemalige Technische Direktor des FC Bayern, Michael Reschke vom genialen Abendessen der beiden Fußball-Philosophen erzählen kann.
Im Sommer 2015 trafen sich der damalige Bayern-Trainer Pep Guardiola und Thomas Tuchel im Restaurant "Schumanns" am Münchner Odeonsplatz und philosophierten über Fußballtaktik. In der Wahrnehmung Reschkes saßen damals zwei geniale Fußballtrainer an einem Tisch und sinnierten im Stile zweier Schach-Großmeister auf allerhöchstem Niveau über Fußball, Taktiken und Spielsysteme. Bedauerlicherweise existieren keine Fotos von diesem Aufeinandertreffen.
Aber es gibt sprachlich vermittelte Bilder von diesem Tisch: Dort waren weder Speisen noch Getränke, sondern Salz- und Pfefferstreuer, sowie Tassen, Gläser und andere Utensilien aufgestellt, um großartige Spielszenen der letzten Jahre zu modellieren. Die Stimmung knisterte und die beiden begnadeten Trainer philosophierten über den Kern des Spiels in einer Art und Weise, wie sie womöglich bis zu diesem Tag (und danach) einzigartig gewesen ist.
Pep Guardiola (r.) gewann das Hinspiel im Viertelfinale der Champions League gegen Thomas Tuchel und den FC Bayern mit 3:0.Bild: AP / Jon Super
Die Szene ist überfüllt von Leidenschaft, Genialität, Fußballverstand und Kreativität. Sie wirkt klischeehaft, romantisch verklärt und wunderbar. Mir ist vollends egal, ob das stimmt oder nicht. Mir gefällt diese Geschichte, denn sie ist unterhaltsam und nebenbei bestens geeignet, beiden Trainern dabei zu helfen, ihren Kultstatus in der Spitze des europäischen Fußballs zu festigen.
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Zum Glück saßen Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn an diesem Tag noch nicht mit am Tisch. Die beiden hätten das geniale "Momentum" sicherlich zerstört.
Und allen anderen Trainern, die Rückenwind in ihrer Imagepflege brauchen, sei geraten, solche Geschichten ins Leben zu rufen. Wir alle wissen: Fachliche Kompetenz allein genügt nicht, um oben anzukommen und dort zu bleiben. Die Bundesliga braucht Geschichten wie diese.
Am Ende wurde es dann doch noch einmal ungewollt spannend. "Heute haben wir es nach dem 2:1, wo wir schon wieder zurückgekommen sind, wieder ein wenig schleifen lassen", sagte Thomas Müller nach dem 4:2-Heimsieg gegen den FC Heidenheim.