Überraschungsmomente machen aus dem Fußball ganz großen Sport und allerbeste Unterhaltung. Auch jenseits des Spielfeldes: Die Präsidentenwahl beim Bundesligisten Hertha BSC Berlin garantiert seit Tagen für Schlagzeilen und Gesprächsstoff.
Dabei interessiert uns nur am Rande, dass der neue Präsident (Kay Bernstein) eine Vergangenheit als Ultra hat, dass ihm angeblich sogar schon mal ein Stadionverbot verpasst wurde oder Antworten auf die Frage, ob er überhaupt für so ein exponiertes Amt geeignet ist. Nein. Das wirklich spannende an diesem Wahlergebnis ist das, was wir von jeder Wahl erwarten: Die Vereinsmitglieder werden mobilisiert und wählen denjenigen, den sie als Präsidenten haben wollen.
So banal diese Einsicht auf den ersten Blick erscheinen mag, so seltsam ist es, dass wir seit vielen Jahren den Eindruck haben, dass gerade der professionelle Fußball in Sachen Demokratie erheblichen Nachhol- und Reformbedarf hat.
Zu oft werden Ämter in Hinterzimmern vergeben und Entscheidungen getroffen, die an den Interessen der Fan- und Mitgliederbasis vorbeigehen. In diesem Sinne ist beispielsweise auch die Kernbotschaft der großen DFB Basis Studie zu verstehen: Die Fußballerinnen und Fußballer an der Basis fordern mehr Demokratie, Mitbestimmung und Wahlmöglichkeiten für sich ein!
Die Praxis läuft allerdings nach wie vor ganz anders: Je mehr Geld in den Fußball fließt, desto hartnäckiger werden neben dem eigentlichen Spiel ausgedehnte Machtspiele um "noch mehr Geld", Posten, Honorare, Einfluss und Deutungshoheit gespielt. Nicht von jedem, aber immer von denjenigen, die auf Kosten des Fußballs Profite machen und ihre Macht ausdehnen.
In diesen Machtspielen sind funktionierende Netzwerke an den Schnittstellen zur Wirtschaft, zur Politik und dem Fußball-Establishment unverzichtbar. Nur so gewinnt man Posten und Einfluss auf Entscheidungen. Deshalb wundert es nicht, dass auch im Vorfeld der Präsidentenwahl in Berlin engagiert und offen genetzwerkt wurde.
Das Fußballmagazin "Kicker" stellte dem unterlegenen Kandidaten Frank Steffel hierfür noch vor einer Woche eine exponierte Bühne bereit. Der CDU-Politiker und Kandidat des Fußball-Establishments gab bei dieser Gelegenheit auch unumwunden zu, dass er nicht nur den einstigen Mitbewerber Ingmar Pering flugs zum Vizeamt in seinem Team bewogen hat und ähnliches auch mit dem noch verbliebenen Präsidentschaftskandidaten Kay Bernstein vorhatte, um seine präsidiale Macht sicherzustellen.
Ich sage hierzu: Empört Euch!
Das Ausweiten solcher Netzwerke bis hin in das Lager der Gegenspieler scheint im Fußball derart selbstverständlich, sodass sich auch niemand mehr wundern braucht, dass in diesem Feld lediglich um Posten, aber nicht um Ideen und Visionen gestritten wird. Letzteres braucht der Fußball dringender denn je und wir wissen auch aus anderen Feldern, dass die innovativen Geistesblitze, visionären Zukunftsthemen und engagierten Projekte nicht einfach so aus den Wolken des Netzwerks auf die Fußballplätze der Republik fallen.
Durch die Berliner Wahl haben wir nun mit Kay Bernstein einen Präsidenten in der Bundesliga, der eine neue Sicht auf den Fußball in die Ebene der Entscheider einbringen wird. Dieses Faktum ist enorm viel wert. Auch unabhängig davon, ob er erfolgreich sein wird, ob seine Ideen gut oder schlecht sind. Ob er gegen die gewachsenen Netzwerke bestehen wird, usw.
Für mich hat er durch die Entscheidung, sich im Vorfeld nicht vom gewieften Frank Steffel einfangen zu lassen, Rückgrat bewiesen. Das genügt vorerst.
Für alles Weitere bleiben wir zuversichtlich, denn er hat mindestens so viel Ahnung vom Fußball wie die Erfahrenen unter den Vertretern des Fußball-Establishments.