Die jüngsten Siege gegen Topnationen wie Frankreich und die Niederlande haben die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beflügelt, die Stimmung rund um den DFB ist positiver denn je. Die Nationalelf ist für die bevorstehende Heim-EM gewappnet. Doch sind es die Fans auch?
Wenn die deutsche Nationalmannschaft kickt, bleibt es auf den Rängen deutscher Fußball-Stadien oft still. Keine Gesänge, keine Megaphone, keine Stimmung. Denn bisher war es die Aufgabe vom DFB-initiierten Fanklub "Fan Club Nationalmannschaft" für eine lebhafte Stimmung in den Stadien zu sorgen – vergebens.
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Ein Fußballfan will das Stimmungsproblem jetzt selbst in die Hand nehmen. Bengt Kunkel ist leidenschaftlicher Sportkommentator und unterhält sportbegeisterte Menschen hauptberuflich. Zuletzt stand er mit Mikrofon und schneller Brille auf dem Beachvolleyball-Feld. Seine Aufgabe: Fans zum Mitklatschen und Mitgrölen animieren.
Bei der Fußball-EM in Deutschland möchte er damit weiter machen – mit neu gedichteten Fangesängen die Nationalmannschaft zum Titel peitschen.
Zusammen mit seinem Bruder hat er den Fanklub "Adler im Herzen" gegründet – ein privat organisierter Fanklub der deutschen Nationalmannschaft. Bei einem Treffen tauschte sich Bengt mit Gleichgesinnten über Möglichkeiten aus, die Stimmung in deutschen Stadien wieder neu zu entfachen. Die Lösung: sechs neue Fangesänge, die zum Mitsingen einladen.
Der Startschuss für die Idee fiel jedoch weit vorher.
Das Ansehen der Nationalmannschaft erreichte nach dem Ausscheiden bei der WM in Katar 2022 seinen Tiefpunkt. Fehlende sportliche Erfolge, Diskussionen um die One-Love-Binde und der Boykott der Spiele erhöhten den Druck auf Menschen, die sich als Fan der Nationalelf bekennen. Hinzu kommt, dass das Tragen der Nationalfarben ohnehin verpönt ist.
"Es ist in Deutschland schwierig, sich zum Nationalstolz zu bekennen, ohne in die rechte Ecke gedrückt zu werden", sagt Bengt. Er könne sich vorstellen, dass das der Grund sei, warum sich viele Menschen nicht trauen, die Nationalmannschaft lautstark zu unterstützen.
Für ihn sei das jedoch kein Argument, die Nationalfarben nicht voller Stolz tragen zu können. Die Nationalmannschaft verkörpere für ihn Toleranz, Vielfalt und Offenheit. Werte, für die auch Bengt einsteht – zuletzt bei der Fußball-WM in Katar 2022. Dort schaute er, mit schwarz-rot-gold bemaltem Gesicht und einem Schweißband in Regenbogenfarben am Arm, die Spiele des DFB-Teams.
Bengt ist bekennender Fußballfan und Anhänger von Hannover 96. Jedes Wochenende verfolgt er den aktuellen Spieltag in der 1. und 2. Bundesliga. Am TV-Bildschirm blickt er auf aufwändig inszenierte Choreografien und lauscht einschlägigen Fangesängen – alles, was bei Spielen der Nationalmannschaft fehlt.
"Deutschland lebt davon, dass wir eine heftige Fankultur haben. Die schaffen wir jedoch nicht auf die Nationalmannschaft zu übertragen. Das ist schade", erklärt der 25-Jährige.
Das soll sich kurz vor der Heim-EM nun ändern. Bereits beim 2:0-Erfolg gegen Frankreich stimmte der gebürtige Münsteraner die neuen Fangesänge an: "Europameister! Ja, das wird Deutschland sein. Wir werden siegen, für unsere Mannschaft schrei'n. In unserer Hauptstadt hol'n wir uns den Pokal." Damals sang er mit sechs weiteren Fans im Chor.
Bei der EM-Generalprobe gegen die Ukraine in Nürnberg und gegen Griechenland in Mönchengladbach sollen es deutlich mehr Menschen werden. Dafür teilt Bengt die neu gedichteten Fangesänge auf Instagram und TikTok. Das Lied mit dem Titel "Adler auf der Brust" zählt bereits nach wenigen Stunden eine halbe Million Aufrufe, seine Anhänger:innen feiern die Aktion, manche fordern ihn auf, als Vorsänger, sogenannter Capo aufzutreten.
Für Bengt sind die noch nie dagewesenen Fangesänge jedoch mehr als nur stimmungsvolle Zeilen über ein Land mit drei Farben und dem EM-Pokal als Ziel. Bengt wünscht sich ein Sommermärchen 2.0.
Damals, bei der WM 2006, vor 18 Jahren, war Bengt sieben Jahre alt. Deutschland wird Dritter, wird aber gefeiert wie ein Weltmeister. Mit dieser Euphorie für die Nationalmannschaft ist Bengt aufgewachsen.
Bei der EM 2024 will er diese Euphorie wiederfinden – im Stadion und auch auf den Straßen der Republik.