Es gab eine Zeit, da galt Thomas Müller als unentbehrlicher Talisman des FC Bayern. Mit dem Offensivmann lief es über Jahre deutlich besser als ohne ihn. Seine Laufwege, seine Kommunikation, sein Pressingverhalten, sein Riecher: Der Rio-Weltmeister gab der Mannschaft stets etwas, das kein anderer Profi in dieser Form einbringen konnte.
Im Jahr 2023 gestaltet sich das etwas anders, der Zahn der Zeit hat auch an Müller genagt. Die ganz große Intensität ist nicht mehr drin, mit Jamal Musiala haben die Bayern zudem bereits den legitimen Nachfolger in ihren Reihen. Dem Urgestein bleibt da nur noch die Rolle des Ersatzspielers, erst sechsmal stand er diese Saison in der Startelf.
Am Mittwochabend durfte Müller mal wieder von Beginn an ran – und erst zum zweiten Mal durfte er dabei sogar durchspielen. Der reine Blick auf die Zahlen unterstreicht, wie sehr das FCB-Urgestein seinen Status als Glücksbringer verloren hat. Nach 17 siegreichen Champions-League-Gruppenspielen in Folge kamen die Münchener vor heimischer Kulisse gegen Kopenhagen nicht über ein 0:0 hinaus.
Noch schlechter lief indes die erste Partie, die Müller in dieser Saison über 90 Minuten bestreiten durfte: Gegen Saarbrücken flog der Rekordmeister mit einer 1:2-Niederlage sogar aus dem DFB-Pokal.
"Wir sind nicht zufrieden mit dem Spiel, vor allem ich als Offensiver ärgere mich, dass wir heute ohne Tor rausgehen. Wir haben zu wenig riskiert", zeigte sich der 34-Jährige nach dem Schlusspfiff selbstkritisch. Noch mehr als über die eigene Leistung ärgerte er sich über eine ganz bestimmte Szene.
In der Nachspielzeit flankte Frans Krätzig Gegenspieler Peter Ankersen die Kugel an die Seite, dem Kopenhagen-Profi sprang der Ball dabei auch leicht an den Unterarm. Dass Schiedsrichterin Stéphanie Frappart auf den Punkt zeigte, sorgte bei den meisten Zusehenden für großes Unverständnis. Der VAR schaltete sich in der Folge aber ein, die Unparteiische sah sich die Szene noch einmal an und nahm den Strafstoß richtigerweise zurück.
"Den Handelfmeter hätte ich auch nicht gegeben", sagte Müller nach der Partie, meinte dann allerdings: "Ich glaube, die Regeln geben ihn her, wenn man sich den von gestern anschaut." Dabei dachte der Nationalspieler an einen Strafstoß, den PSG am Dienstag zugesprochen bekommen hatte. Schon bei diesem waren Fans und Experten einer Meinung: klare Fehlentscheidung.
"Ich bin kein Freund der Regel. Aber wenn es sie gibt, dann ist es schon komisch, dass er gestern erst nicht gegeben wurde und dann doch und heute wird er gepfiffen und dann sogar zurückgenommen. Das passt halt nicht", führte Müller seine Kritik aus. In der Folge wurde er ganz grundsätzlich und gab in einem Monolog eine Empfehlung ab, wie die Handspielregel verbessert werden kann.
Wichtig sei ihm dabei, dass die "Schiedsrichter subjektiv anhand von ein paar Kriterien entscheiden" – und zwar die Unparteiischen auf dem Feld: "Gebt den Schiedsrichtern die Macht. Sonst kommen wir durch die Videobilder dahin, wo wir heute sind."
Dabei brachte Müller abschließend zum Ausdruck, was momentan jeder über die Handspielregel denkt. "Ich glaube, im Moment ist keiner zufrieden. Ich weiß nicht, ob die Jungs und Mädels bei der FIFA in ihrem Raum sitzen und sagen: 'Boah, die Handregel ist aktuell echt super.'"
Die Handszene war allerdings nicht der einzige Aufreger des Abends. So echauffierte sich Ersatztorhüter Sven Ulreich an der Seitenlinie lautstark und gestenreich, als den Bayern ein Eckball verwehrt wurde. Der Vierte Offizielle holte Frappart, die eilte nicht zum Diskutieren heran.
Mehrfach forderte sie Ulreich, der in der Zwischenzeit wieder auf der Bank Platz genommen hatte, zum Aufstehen auf. Als sich der Keeper nach anfänglichem Weigern erhob, sah er Gelb. Die Szene sorgte in ihrer Gänze für Unverständnis, Ulreich winkte ab und schüttelte den Kopf.
"Ich weiß nicht, warum sie unbedingt wollte, dass ich zu ihr herlaufen sollte. Ich mache mich ja nicht zum Affen vor ihr! Sie kann mir ja die Gelbe Karte geben – das ist ja schön und gut. Aber ich mache mich nicht zum Affen und laufe auch noch vor sie hin und bedanke mich für die Karte. Also das mache ich nicht", schimpfte der Schlussmann nach der Partie.
Ulreich nutzte die Gelegenheit, um den Unparteiischen generell noch ein paar Worte mit auf den Weg zu geben: "Es war eine sehr, sehr durchwachsene Leistung vom Schiedsrichter-Team – ich sage extra Team, weil es auch um den Vierten Offiziellen geht."
Fraglich ist trotz der offensichtlichen Aufregung indes, ob Frappart und ihre Kollegen den Schlussmann während des Spiels überhaupt verstanden haben. Grinsend beantwortete Ulreich nach der Partie die Frage, in welcher Sprache er in der Champions League schimpft: "Auf Schwäbisch."