In der Serie Unvergessen blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein großes Ereignis der Sportgeschichte zurück. Diesmal: Der 13. September 1985. Gabet Chapuisat hat sich bis zum Herbst seiner Karriere den Namen als Raubein regelrecht ertreten. Doch was er gegen Lucien Favre zeigt, schockt alle.
Unterschiedlicher könnten die beiden kaum sein. Auf der einen Seite Pierre-Alain "Gabet" Chapuisat: überharter Abwehrchef, ein Klopfer, ein Raubein, das enfant terrible im Schweizer Fußball. Auf der anderen Seite Lucien Favre: eleganter Regisseur, gesegnet mit einem linken Zauberfuß, eine Augenweide.
Während Chapuisat – der Vater des späteren BVB-Stürmer Stéphane – mit 37 Jahren im Spätherbst seiner Karriere steht und nach 34 Länderspieleinsätzen (letztes Spiel 1979) bei Vevey die Hintermannschaft organisiert, erlebt Favre nach seiner Rückkehr von Toulouse zu Servette noch immer die Blüte seiner Fußballzeit, ist Nationalspieler (erstes Spiel 1981) und als 28-Jähriger eine der großen Figuren im Schweizer Fußball.
Die Saison ist noch jung, da kommt es in der 8. Runde im Stade de Charmilles (Vorgänger des Stade de Gèneve) zum Romand-Derby zwischen Servette und Vevey. Es ist ein Freitag, der 13. im Spätsommerabend.
Chapuisat verursacht bald einen Elfmeter, der zur Führung der Gastgeber führt. Dann läuft die 42. Minute. Favre tanzt mit dem Ball Richtung Strafraum, als Chapuisat plötzlich wie von der Tarantel gestochen losstürmt und dem Angreifer mit gestrecktem Bein und dem Stollen voraus ins Knie springt, den Ball verfehlt er dabei deutlich.
Favre wälzt sich am Boden, doch Schiedsrichter Bruno Galler lässt weiterspielen. "Ich habe das Foul einfach nicht gesehen, weil mir ausgerechnet bei dieser Situation ein Spieler die Sicht auf den Tatort nahm", erinnert er sich Jahre später im "Tages-Anzeiger".
Der TV-Kommentator hatte die bessere Sicht: "...ein Foul, das nicht einmal mehr mit dem Namen Chapuisat zu erklären ist", berichtet er. Die Kreuzbänder seien mindestens gedehnt. Das stellt sich wenig später als leicht untertrieben heraus. Favres Außenbänder, Kreuzbänder und der Meniskus sind kaputt. Mit anderen Worten: Totalschaden. Acht Monate fällt der Mittelfeldspieler aus, der zur Situation sagt: "Das war Krieg auf dem Platz."
Auch Galler sieht die Bilder am nächsten Tag in der Sportschau: "Das sah natürlich grauenhaft aus", gibt er zu. Der Unparteiische gerät arg in die Kritik. Selbst eigene Kollegen und die Schiedsrichterkommission attackierten ihn heftig: "Es kam mir vor, als hätte ich Favre das Knie kaputtgeschlagen."
Galler vergleicht das Foul später mit dem Angriff von Toni Schumacher auf Patrick Battiston bei der WM 1982: "Damals stand ich an der Linie."
Favre lässt die Attacke nicht auf sich sitzen und klagt wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor einem Zivilgericht. Erstmals in der Geschichte des Fußballs ist dies der Fall. Das Genfer Polizeigericht verhandelt sechs Stunden lang und beschließt dann: 5000 Franken Buße für Chapuisat. Von seinem Verein Vevey wurde der Libero schon nach dem Foul fristlos entlassen. Die Karriere beendet Chapuisat beim FC Renens.
Später werden Chapuisat und Favre Trainer. 2010 will es der Zufall, dass Favre mit dem FC Zürich auf Sion trifft, das 17 Tage zuvor Chapuisat engagierte. Das Schweizer Fernsehen interviewt beide Trainer vor dem Duell. Die Wunden sind noch immer nicht verheilt. Favre sagt: "Dazu möchte ich mich nicht äußern."
Auch Chapuisat ist es sichtlich unwohl. "Dieses Bild kommt leider immer wieder zurück. Die Leute, die mich gut kennen wissen, dass ich nicht so bin. Ich bin ein ruhiger Typ." Von Absicht will er nichts wissen: "Das war ein Unfall, es geht so schnell."