In der Serie Unvergessen blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein großes Ereignis der Sportgeschichte zurück. Diesmal: der 22. August 2004. Zlatan Ibrahimovic ist Spieler des AFC Ajax Amsterdam und liebäugelt mit einem Wechsel nach Italien. Doch bevor er die Niederlande verlässt, will "Ibra" sich noch selbst ein Denkmal setzen. Im Spiel gegen NEC Breda setzt er zum unwiderstehlichsten Sololauf seit Diego Maradona an.
Die Fans pfeifen ihn aus – die eigenen Fans wohlgemerkt. Dabei hat Zlatan Ibrahimovic heute bereits zwei Mal getroffen, sein Club, der AFC Ajax Amsterdam, führt in der heimischen Arena locker mit 4:1 gegen NAC Breda. Doch die Anhänger auf den Rängen lassen ihr schwedisches Sturmjuwel weiter spüren, dass er sich ins Abseits geschossen hat – und zwar mit einem Foul an seinem Mannschaftskapitän, Ur-Ajaciden Rafael van der Vaart.
Vier Tage vor dem Eredivisie-Kick gegen NEC Breda traf Schweden in einem Freundschaftsspiel auf die Niederlande. Ibrahimovic brauchte vier Minuten, um sich erstmals aussichtsreich an der Strafraumkante zu positionieren. Er umkurvte mit einer Drehung um die eigene Achse den ersten niederländischen Verteidiger, als van der Vaart "Ibra" von hinten zu attackieren versucht. Just in dem Moment rutscht Ibrahimovic, nach einem Kontakt mit einem weiteren Niederländer, kurz weg, fährt sein rechtes Bein aus und tritt dabei van der Vaarts Sprunggeleck kaputt.
Van der Vaart wird schwer verletzt vom Platz getragen und wirft Ibrahimovic am nächsten Tag vor, ihn mit voller Absicht verletzt zu haben. Die Ajax-Fans verbrüdern sich mit ihrem jungen, charismatischen Kapitän gegen den als arrogant und großmäulig geltenden Treter Ibrahimovic. Nur haben sie dabei vergessen: Ihre neu auserkorene "persona non grata" ist nicht irgendein ungefestigter Jungprofi, sondern Zlatan Ibrahimovic.
Zlatan Ibrahimovic, der in zerrüttetenden Familienverhältnissen, im Ghetto Malmös aufgewachsene Migratensohn. Zlatan Ibrahimovic, der früher Fahrräder knackte, um es pünktlich zum Fußballtraining zu schaffen. Zlatan Ibrahimovic, der in Amsterdams unansehnlichen Vorort Diemen vor Einsamkeit weinte und den Entschluss fasste, der größte Stürmer der Welt zu werden.
Es läuft die 76. Minute in der Partie gegen NEC. Ibrahimovic steht in einer Distanz von gut 25 Metern mit dem Rücken zum Tor, als einen Flachpass annimmt. Ein Breda-Spieler versucht ihn abzuschirmen. "Ibra" schüttelt ihn ab, macht einen Satz nach vorne, spitzelt den Ball an einem weiteren Kicker im gelben Trikot vorbei und ergreift die Flucht nach vorne.
"Dann sah ich das Tor", erinnerte er sich Jahre später.
"Ich lief weiter in Richtung Tor, dribbelte an den Gegenspielern vorbei. 'Bam, Bam, Bam', während ich nach dem Moment zum Abschließen suchte. Er kam einfach nicht, also ließ ich weitere Gegner hinter mir zurück. Plötzlich kam der Torwart heraus." ("FourFourTwo")
Der Moment, den sich der Schwede zehn Sekunden lang mit seinem Tanz durch NECs Abwehrreihen erarbeitet hatte, war da. Und so einfach er sein Dribbling über 20 Meter wirken ließ, so trocken schloss Zlatan Ibrahimovic die Situation zum 5:1 für Ajax ab: mit dem Innenrist präzise ins linke, lange Eck.
Ibrahimovic drehte zum Jubel ab, seine Mitspieler warfen sich im Freundentaumel auf ihn. "Maradona, Zidane – und nun auch Ibrahimovic", jauchzte der niederländische TV-Kommentator. Die Welt hatte soeben der Wandlung Zlatan Ibrahimovic, dem Talent, zu Ibrakadabra, dem Zauberer, beigewohnt.
Die AmsterdamArena tobte. Nur einer saß mit versteinerter Miene auf der Ehrentribüne: Rafael van der Vaart.
"Seine Reaktion war sein Problem", sagt Ibra, "denn mich hat sie nicht gejuckt. Am nächsten Tag unterschrieb ich nämlich bei Juve." ("FourFourTwo")