Seit Hansi Flick den Cheftrainerposten übernommen hat, läuft es wieder beim FC Bayern.Bild: Peter Schatz / Pool / imago images
Fußball
Alles begann mit einem Anruf. Es war Sonntagabend, der 3. November vergangenen Jahres, als Hasan Salihamidzic Hansi Flick erreichte, während der mit seiner Frau gemütlich beim Abendessen saß: "Hansi, kannst du in einer Stunde im Büro sein?", soll der Sportdirektor des FC Bayern München gefragt haben.
Der FC Bayern hatte gerade Niko Kovac entlassen, weil der Klub unter dessen Führung drohte, die Champions-League-Qualifikation zu verpassen. Eintracht Frankfurt fertigte am Vortag desolate Bayern mit 1:5 ab. Die Münchner lagen danach auf Tabellenplatz vier – punktgleich mit Freiburg und Schalke auf den Rängen fünf und sechs. Zu wenig für die Rekordmeister-Ansprüche.
Am Dienstag darauf hielt Hansi Flick seine erste Pressekonferenz als Cheftrainer des FC Bayern München vor dem Champions-League-Spiel gegen Olympiakos Piräus. Da erzählte er auch die Anekdote vom Brazzo-Anruf am 3. November. Der Tag, an dem Flick, zunächst als Übergangslösung, übernahm, war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte.
Unter Kovac rutschten die Bayern auf Rang sieben ab
Wer hätte das gedacht? Flicks Vita wirkte bis dato eher so, als sei er jemand, der sich mit dem Platz in der zweiten Reihe eigentlich immer ganz wohlfühlte. Co-Trainer bei RB Salzburg und der deutschen Nationalelf, DFB-Sportdirektor, dann Geschäftsführer Sport der TSG Hoffenheim. Chefcoach war der Ex-Profi von 1996 bis 2000 beim Amateurklub FC Bammental, danach bis 2005 in Hoffenheim, die er von der Ober- in die Regionalliga führte. Mit der TSG scheiterte er in der Folge vier Mal daran, in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Im Profifußball hatte Flick bis zu seinem plötzlichen Bayern-Engagement seine Trainerhandschrift aber noch nirgends hinterlassen.
Hansi Flick im Jahr 2000, als er Trainer der TSG Hoffenheim war.bild: imago images/pressefoto baumann
Doch die hat er. Das bewies er in den darauffolgenden 29 Pflichtspielen, von denen der Rekordmeister nur drei nicht gewann. Flick machte die Bayern unverzüglich besser. Beziehungsweise holte er das heraus, was sie zu leisten imstande sind. Das, was unter Kovac nicht funktionierte. Sein Anliegen sei es, auch das sagte Flick in der Presserunde vor dem Piräus-Spiel, mit jedem Spieler zu sprechen, jedem zu sagen, was in ihm stecke und welche Verantwortung jeder für den FC Bayern hat. Das Potenzial, das die Mannschaft hatte und hat, spiegelte sich in den Performances unter Kovac nicht wider: "Nicht Bayern-like", befand Flick und analysierte: "Wir waren immer einen Ticken zu spät, hatten kein Vertrauen in die eigene Leistung."
Dann kam Hansi Flick und startete eine beeindruckende Serie
Das alles ist längst Vergangenheit. Die Rekordzahlen der Flick-Bayern sprechen eine eindeutige Sprache: 29 Spiele, 26 Siege, ein Unentschieden, zwei Niederlagen, 89:20 Tore, 2,72 Punkte im Schnitt. 86 Prozent seiner Bundesliga-Aufeinandertreffen entschied Flick für sich, das ist die beste Quote aller Cheftrainer der Ligageschichte, vor Pep Guardiola mit 80 Prozent. Den Rückstand von sieben Punkten auf Platz eins nach dem 14. Spieltag, den Bayern hatte, ist einem Vorsprung von aktuell zehn Punkten auf Platz zwei gewichen. In allen acht Bundesliga-Partien nach der Corona-Pause ging der FCB als Sieger vom Feld – als einziges Team.
Erste Spiel, erster Sieg: Beim Champions-League-Spiel gegen Piräus erschien Flick zum ersten Mal auf der Videowand in der Allianz Arena.Bild: imago images/Sven Simon/frank hoermann
Der Wechsel vom glücklosen Kovac zu dessen Assistenten Flick im November war der entscheidende Schritt zum achten Bundesliga-Titel in Serie. Den nahm Bayern München dann nach dem Sieg gegen Werder Bremen am 31. Spieltag wie gewohnt geschäftsmäßig zur Kenntnis. Manch einer beim Rekordmeister träumt schon vom Triple. "Es ist Bayern München, hier sind die Ziele immer hoch, das passt aber zu mir", sagte Flick.
Wie hat Flick die Bayern besser gemacht und was zeichnet ihn aus?
Das passt auch zum Vereinsmotto "Mia san mia": Der Münchner Leitspruch schien verloren gegangen zu sein. Die Bayern wirkten im Herbst 2019 noch anfällig wie selten. Doch Flick gelang es, der Mannschaft wieder dieses besondere Gefühl zu vermitteln. Die Münchner Dominanz war in den vergangenen Monaten teilweise erschreckend. Seit dem 1:2 gegen Gladbach am 7. Dezember holten die Bayern 52 von 54 möglichen Punkten.
Und irgendwie scheint es gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass die Flick-Serie auch nicht so schnell reißen wird. Flick schaffte es, mit seiner ruhigen, aber doch bestimmten Art und seinem taktischen Verständnis die Mannschaft hinter sich zu bringen und ihr eine klare Philosophie zu verpassen. Nicht umsonst lobten die Bayern-Bosse den 55-Jährigen nach seinem ersten Meistertitel in höchsten Tönen.
Hansi Flick mit Karl-Heinz Rummenigge (r.) und Co-Trainer Hermann Gerland (l.).Bild: imago images / Kirchner-Media
Nachdem Flick befördert wurde, "spielen wir wirklich attraktiven und erfolgreichen Fußball", sagte Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge glücklich nach dem Meisterstück gegen Bremen. Klub-Präsident Herbert Hainer meinte: "Was Hansi Flick in sechs Monaten aus der Mannschaft gemacht hat, ist schon klasse."
Ein ganz besonderes Lob kam auch von Bundestrainer Joachim Löw, der mit Flick an seiner Seite Deutschland 2014 zum Weltmeister machte. "Er hat dieser Mannschaft seinen Stempel aufgedrückt und eindrucksvoll gezeigt, dass er sowohl fachlich als auch menschlich ein großer Gewinn für den FC Bayern ist", sagte Löw.
Lob von Löw und Vergleiche mit Heynckes
Der einstige Weltmeister-Assistent hat ein Gespür für Fußball und Fußballer. Mit seiner Empathie gelingt es ihm, ein Team inklusive Betreuerstab zur Höchstleistung zu führen. "Man hat nie alleine Erfolg. Erfolge kannst du nur im Team haben", sagte Flick in Bremen typisch bescheiden.
Ex-Nationalspieler Per Mertesacker, der mit Flick und Löw die Weltmeisterschaft feierte, lobte den Bayern-Coach in den höchsten Tönen: "Sein Beitrag zum WM-Gewinn wird sehr unterschätzt. Hansi versteht es, die Leute einzufangen, er führt die Spieler zusammen, diese Fähigkeit hat er in einem Maße, wie ich es nie mehr erlebt habe", sagte er dem "Kicker". Für Mertesacker stehe Flick für "wenig Ego, sehr viel Mannschaftsgeist".
Viele erinnert Flicks Stil gar an den großen Jupp Heynckes, der Bayern 2013 mit dem Triple-Sieg zum Maß aller Fußballdinge geformt hatte. Auch der war eher durch leises, diplomatisches Auftreten aufgefallen, und nicht durch polarisierende Wutreden oder das An-den-Pranger-Stellen einzelner Spieler, wie es Kovac teils praktizierte. Zum Beispiel, als er Thomas Müller als "Notnagel" bezeichnete.
Bayern München 1987 mit u.a. Lothar Matthäus, Michael Rummenigge, Hansi Flick und Andreas Brehme (vordere Reihe v.l.).bild: imago sportfotodienst/fred joch
Heynckes vereinte Persönlichkeit, Kommunikation und Kooperation, Sympathie, Erfolg sowie Fußballfachwissen – wie sie auch Flick jetzt vereint. Diese Parallelen kommen nicht von ungefähr. Denn Flick ist ein ehemaliger Schüler von Don Jupp. Wie sehr ihn Heynckes prägte, verriet Flick auf der Pressekonferenz vor dem Hinrundenspiel gegen Bayer Leverkusen. Auch auf dieser PK gab er eine Anekdote zum Besten. Diesmal eine über den Trainer, unter dem er in dessen erster Bayern-Amtszeit (1987 bis 1991) trainierte, Flick war zwischen 1985 und 1990 Profi in München.
"Er war mein Trainer, mein bester Trainer. Die Art und Weise, wie er damals schon mit den Spielern umgegangen ist, das war einfach gut. Eine Aktion, an die ich mich ewig erinnern werde: Ich war junger Spieler, auch Stammspieler zu der Zeit. Heynckes kam vorm Training zu mir und hat gesagt: 'Heut bleibst du drin, du wirst behandelt." Flick habe als junger, unbändiger Spieler natürlich trotzdem trainieren wollen. Doch Heynckes erwiderte: "Nein, ich bin mit dir zufrieden, morgen wieder."
Flick nennt Heynckes ein "Vorbild"
Das sei "ein entscheidender Punkt" für Flick gewesen: "Boah, der ist mit mir zufrieden, was für eine Wertschätzung. Ich weiß noch, was das in mir ausgelöst hat. Das war sensationell." Flick nennt Heynckes ein "Vorbild": "Diese Empathie, die Menschlichkeit, Heynckes ist einer, der sich nicht so wichtig nimmt."
Die Beförderung Flicks zum Cheftrainer bezeichnete Heynckes selbst als eine "Zeitenwende für den Verein". In seiner Kolumne im "Kicker" schrieb der 75-Jährige: "Dieser Trainer trat nach außen sehr ruhig und fachkompetent auf. Intern traf er den richtigen Ton, den es braucht, um eine Gruppe mit so vielen starken Persönlichkeiten zu führen." Flick habe der Mannschaft vermittelt, dass der Mannschaftsgeist über allem stehe.
Weiter lobte Heynckes: "Am meisten imponieren mir die Homogenität der Elf auf dem Platz und die Harmonie der Spieler außerhalb. Ich sehe darin das Werk Hansi Flicks und seines Trainerteams. Die Spielweise des FC Bayern begeistert mich." Der Triple-Trainer von 2013 schrieb außerdem, dass ihn das "Wohlbefinden der Spieler" sehr an die Mannschaft aus dem Triple-Jahr erinnere.
Deutscher Meister 1989: Unser Lieblingsbild von Hansi Flick (r.) und Jupp Heynckes. Links versteckt sich Hansi Dorfner hinter seinem Getränk.Bild: imago images/Fred Joch
Er lese das gerne, sagte Flick zuletzt über entsprechende Heynckes-Vergleiche. Und seine Chefs glauben, in dem 55-Jährigen wieder den entscheidenden Identitätsstifter und Menschenfänger gefunden zu haben, um es in der Champions League mit dem FC Liverpool, Real Madrid oder dem FC Barcelona aufnehmen zu können.
Flicks Ideen gingen bislang auf. Er stellte die Mannschaft auf einen offensiveren Spielstil um. Er machte David Alaba zum Abwehrchef, Joshua Kimmich dauerhaft zum Sechser. Der in Bremen vom Platz gestellte Alphonso Davies entwickelte sich zum Senkrechtstarter, der neuerdings muskelbepackte Leon Goretzka zum Sinnbild der fulminanten Siegesserie nach der zweimonatigen Corona-Pause. Und seine alten Weltmeister-Recken Thomas Müller und Jérôme Boateng machte Flick auch wieder flott und wichtig. Zusammen mit Kapitän Manuel Neuer, ebenfalls Weltmeister, bilden sie eine wichtige Achse im Bayern-Team, das vor Spielfreude sprüht.
Während es in den ersten Wochen unter Flick oft noch hieß, dass die Wunschlösung der Bayern-Bosse ein prominenter Trainer wie Mauricio Pochettino oder Erik ten Hag sei, hat Flick längst bewiesen, dass er die beste Lösung ist. Entsprechend wurde er auch mit einem Cheftrainer-Vertrag bis 2023 für seine Erfolge belohnt.
Flicks Stil kostet aber auch viel Kraft – der Bayern-Kader muss breiter werden
Damit die Bayern unter Flick aber auch in Zukunft Erfolge feiern können, muss der Kader noch in der Breite verbessert werden. Das sagt Flick sogar selbst. Denn das organisierte, hohe und damit äußerst erfolgreiche Pressing der Münchener sowie das temporeiche, riskante Spiel ist auch sehr anstrengend für die Profis. Der Flick-Stil kostet Kraft.
Die Bayern agieren unter ihm "mit der letzten Kette an der Mittellinie", wie der Trainer auf der Pressekonferenz vor dem Bremen-Spiel erklärte. Der Fokus sei, den Gegner unter Druck zu setzen und eine hohe Intensität zu haben. Aber: "Das kann man keine ganze Saison so spielen. Dafür braucht man eine gute Breite. Die ist im Moment aufgrund der Verletzungen nicht immer gegeben. Aber die Mannschaft macht das einfach klasse."
Dass die Bayern es klasse machen, ist aufgrund der Erfolgsserie nicht von der Hand zu weisen. In den vergangenen Spielen in der Bundesliga hat man allerdings auch schon sehen können, was Flick damit meint, dass man das keine ganze Saison so spielen könne. Bei den teilweise müden Auftritten gegen Eintracht Frankfurt im Pokal-Halbfinale sowie in den Bundesliga-Partien gegen Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen wurde deutlich, dass die Bayern am Ende der Saison auf dem Zahnfleisch gehen.
Flick setzt auf Talente wie Joshua Zirkzee und Mickael Cuisance. Doch die Topstars eins zu eins vertreten können sie noch nicht.Bild: imago images/peter schatz
Alle drei Spiele hat der Rekordmeister nur knapp gewonnen, auf der Bank saßen größtenteils Talente aus der Reservemannschaft, die Flick zwar einbauen will, die aber noch nicht die Klasse haben, im Notfall einen Superstar wie Müller oder Lewandowski zu ersetzen. Als beide gegen Gladbach gesperrt fehlten, machten ihre Vertreter Mickael Cuisance und Joshua Zirkzee ihre Sache zwar ordentlich, aber natürlich längst nicht so überzeugend wie die beiden aktuellen Topscorer der Bayern.
Der Rekordmeister wird auch im kommenden Jahr die Dreifachbelastung aus Liga, Pokal und Champions League haben. Dafür sollten die Verantwortlichen noch zwei oder drei Spieler dazu holen, die auch die Klasse haben, einen Star im Notfall adäquater ersetzen zu können als ein Talent das kann. Kurzum: Der Bayern-Kader muss noch etwas homogener werden, die Lücke zwischen der ersten Elf und den vielen Talenten aus der Reservemannschaft ist noch zu groß.
Aber, auch das betonte Flick bereits auf seiner ersten Pressekonferenz Anfang November, die Vergangenheit und die Zukunft interessiere ihn nicht so sehr. "Ich lebe in der Gegenwart", sagte Flick damals.
Ziel Nummer zwei nach der Meisterschaft ist jetzt erstmal das Double, im Pokalfinale am 4. Juli in Berlin gegen Bayer Leverkusen. Klar, auch Flick träumt längst intensiv vom Triple, selbst wenn dieses noch weit entfernt ist. Erst im August soll der Henkelpott in einem Blitzturnier in Lissabon vergeben werden. Flick: "Die Champions League kann man nicht planen. Es wird immer nur ein Spiel sein. Da müssen wir auf den Punkt topfit sein."
(as)