"Dortmund gewinnt gegen Besiktas, Salah trifft für Liverpool und bei Real Madrid gegen Inter fallen weniger als 2,5 Tore" – einen so ähnlichen Dialog hat wohl jeder Fußballinteressierte schon einmal mit seinen Freunden und Freundinnen geführt.
Denn wenn man sich in dem Sport auskennt, liegt es häufig nahe, darauf zu wetten und nebenbei auf vermeintlich einfachem Wege ein bisschen Geld zu verdienen. Anbieter gibt es in Deutschland dazu ohne Ende. Nicht ohne Grund hat jeder Fußball-Bundesligist einen Wettanbieter als Werbepartner.
In Ausnahmefällen mag das mit dem zusätzlichen Geld verdienen auch klappen, doch langfristig gesehen wird man durch das Glücksspiel definitiv nicht reich. Dabei ist die Gefahr, nach ersten schnellen Erfolgen in eine Sucht abzurutschen, enorm hoch. Offizielle Zahlen gibt es nicht, doch allein in Deutschland soll es über eine Million Menschen geben, die süchtig nach Glücksspielen sind – besonders häufig betroffen: Fußballwetten.
Im Interview mit watson erklärt Sophie Schmid, Projektleiterin des Präventionsprojekts Glücksspiel in Berlin, warum besonders Fußballer sucht anfällig sind, wieso sie ein Werbeverbot für Glücksspiel fordert, aber kein generelles Wettverbot.
watson: Frau Schmid, was ist aus der Sicht einer Suchtberaterin eigentlich schlimmer: Dass es gefühlt an jeder Ecke ein Sportwettenbüro gib oder prominente Sportler wie Lothar Matthäus, Icke Häßler oder auch alle Fußball-Bundesligisten einen Wettanbieter als Sponsor haben?
Sophie Schmid: Man kann gar nicht genau sagen, was schlimmer ist. Beides kann Leute zum Glücksspielen verleiten. Sicherlich ist es ein großer Risikofaktor, wenn an jeder Ecke ein Wettbüro ist. Gerade, wenn ich einen problematischen Umgang mit Sportwetten habe und dann ständig daran vorbeilaufe, kann das Anreize schaffen.
Dabei nutzen doch viele Menschen das App-Angebot der zahlreichen Sportwettenanbieter.
Richtig. Daher ist das Wettbüro an der Ecke für viele gar nicht mehr unbedingt das Ziel. Vieles findet heutzutage einfach online und über das Handy statt. Wenn zusätzlich noch bekannte Gesichter dafür werben, hat das nochmal eine stärkere Wirkung.
Welche Auswirkungen hat es, wenn bekannte Gesichter für Sportwettenanbieter werben?
Das schafft eine andere Beziehung zu dem Angebot, wenn ich sehe, dass jemand mit Vorbildfunktion dieses Angebot unterstützt. Das Angebot wirkt als etwas Normales, das nicht mit vielen Risiken verbunden ist und schafft eine Enttabuisierung und auf jeden Fall eine Gefahr.
Würden Sie den ehemaligen Sportlern einen Vorwurf machen?
Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, haben gerade für Jugendliche und junge Erwachsene eine gesellschaftliche Verantwortung. Da ist es auch egal, ob es sich um Sportler oder Streamer handelt. Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortung in einem anderen Rahmen genutzt wird und sie für Risiken sensibilisieren oder direkt darauf verzichten, überhaupt für suchtfördernde Mittel zu werben. Immerhin ist es schon mal ein guter Schritt, dass zumindest aktive Sportler und Funktionäre nicht für Sportwetten werben dürfen.
Sind gerade dadurch jüngere Menschen gefährdeter, an einer Sportwettensucht zu erkranken?
So genau kann man das nicht pauschalisieren, sondern das zieht sich komplett durch alle Gesellschaftsschichten. Aber es gibt Studien, die schon zeigen, dass bei Sportwetten ein junges Alter, männliches Geschlecht und auch eine gewisse Sportaffinität eine große Rolle spielen. Mitglieder in Sportvereinen wetten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung deutlich häufiger und sind auch anfälliger, ein risikobehaftetes Verhalten zu entwickeln.
Warum ist gerade diese Personengruppe betroffen?
Das liegt daran, dass sie in einem Gruppensetting und besonders wettaffin sind. Sie denken, einen Einfluss auf die Wette zu haben. Da wird gesagt: Ich kenne mich aus. Ich weiß, wer der beste Stürmer ist. Ich weiß, wer gerade verletzt ist. Mit meinem Wissen kann ich doch gar nicht mehr verlieren. Dann hört man häufig, Sportwetten sind keine Glücksspiele, da man gefühlt Einfluss auf das Ergebnis nehmen kann.
Und das erhöht die Risikobereitschaft?
Genau. Dadurch entsteht der Gedanke, der Ausgang hängt nicht vom Zufall, sondern von meinen Kompetenzen ab, weil ich mich vorher informieren kann. Je stärker ich davon ausgehe, desto höher ist damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein riskantes Verhalten entwickele.
Wie äußert sich so ein riskantes Verhalten?
Gefühlt gewinnt man am Anfang immer und ist schnell bereit, mehr Geld einzusetzen. Dann macht man es vielleicht nicht nur in Gesellschaft, sondern allein und zieht sich zurück. Verliert man, ist das meist die Schuld von äußeren Faktoren, wohingegen Gewinne der eigenen Kompetenz zugeschrieben werden. Es kommt der Punkt, da kann ich ein Fußballspiel nicht mehr gucken, ohne gleichzeitig zu wetten. Und irgendwann mache ich es nicht, um Spaß zu haben, sondern um mich vom Stress oder einem Streit abzulenken. Das kann bis zu einem Kontrollverlust führen, dass ich mehr einsetzen muss, Gewinnen hinterherjage und das beispielsweise zu einer Verschuldung führt.
Aber gerade durch das digitale Angebot wurde der Zugang enorm erleichtert und ich habe als Außenstehender nicht immer einen Blick auf das Konto meines Gegenübers.
Der Online-Bereich ist generell ein großes Problem. Es ist immer und überall rund um die Uhr verfügbar. Man sieht auch nicht immer, was sein Gegenüber am Handy macht und Glücksspiel ist eine Sucht, die sich gut verstecken lässt. Es lässt sich als Außenstehender schwer einschätzen, aber es gibt ein paar Merkmale, an denen man das identifizieren kann.
Welche?
Äußerlich sieht man es jemandem nicht an, aber die Person ist dann eher unzuverlässig, kommt zu Treffen zu spät oder hat ohne ersichtlichen Grund plötzlich kein Geld mehr oder kann an einfachen sozialen Events wie Kino, Essen gehen oder auch einem Stadionbesuch nicht mehr teilnehmen.
Im Profi-Fußball wurde in den Stadien auch lange Zeit für Zigaretten und starken Alkohol geworben, doch das ist laut DFL-Statuen mittlerweile verboten. Könnten Wettanbieter davon bald auch betroffen sein?
Grundsätzlich sind wir für ein Werbeverbot von Glücksspielanbietern. Durch den neuen Glücksspielstaatsvertrag wird die Konkurrenzsituation nochmal verstärkt. Durch die Marktöffnung für Online-Glücksspiele, die nun umfassend legalisiert wurden, bekommen viele Anbieter eine Lizenz und müssen um ihre Spieler werben. Aus suchtpräventiver Sicht wäre es sinnvoll, Werbung für Sportwetten zu verbieten. Bei Tabak- und Alkoholprodukten hat man gesagt: "Okay, wir müssen die Werbung zurückfahren." Warum nicht hier auch? Die Werbeausgaben der Glücksspielbranche sind immens, und Glücksspielwerbung ist allgegenwärtig.
Kann es denn einen Fußball ohne Sportwetten überhaupt geben?
Wetten gehört für viele zum Sport dazu und macht diesen auch ein Stück weit spannender. Somit ist die Frage, ob es überhaupt sinnvoll wäre, Sportwetten zu verbieten.
Warum?
Ziel sollte es sicherlich sein, dass Risiko einer Suchtentwicklung weitestgehend zu minimieren und auch Wettmanipulation vorzubeugen. Beispielsweise darf nicht auf Spiele von Jugend- und Amateurmannschaften gewettet werden, außer sie sind von internationaler Bedeutung. Denn gerade diese Spiele waren sehr anfällig für Manipulationen. Wenn man aber darauf achtet, dass man die Integrität des Sports wahrt und einen umfassenden Spielerschutz implementiert, dann glaube ich, ist es auch in Ordnung, dass es legale Sportwetten gibt.
Worauf gilt es zu achten?
Wichtig ist immer, das eigene Verhalten zu reflektieren. Wie geht es mir, wenn ich gewinne? Wie geht es mir, wenn ich verliere? Was macht das mit mir? Halte ich mich an meine selbst gesetzten Geld- und Zeitlimits bei Sportwetten? Und dann im Notfall sich Hilfe zu suchen oder sich für eine gewisse Zeit sperren zu lassen. Diese Möglichkeit gibt es im Rahmen der bundesweiten, zentralen Sperrdatei OASIS.
Diese Sperranträge findet man unter anderem auf der Webseite des Regierungspräsidiums Darmstadt, die aktuell die Glücksspielbranche kontrollieren soll. Die Zentrale Aufsichtsbehörde kann ihre Arbeit in Halle/Saale aber erst ab dem 1. Januar 2023 aufnehmen.
Es ist sehr ärgerlich, dass bestimmte Schritte, beispielsweise die Liberalisierung des Online-Glücksspielmarktes bereits passiert sind, bevor die zentrale Aufsichtsbehörde ihre Arbeit richtig aufnehmen kann. Mit dem Glücksspielstaatsvertrag gibt es einige Ansätze in Hinblick auf den Spielerschutz. Es ist jedoch fatal, dass die Einhaltung dieser Regelungen aktuell nicht kontrolliert und bei Verstößen sanktioniert wird.