Seit dem vorletzten Spieltag ist es offiziell: In der kommenden Saison wird der HSV nicht in der Bundesliga spielen. Durch eine katastrophale Rückrunde hat es der Ex-Dino nicht auf einen der ersten drei Tabellenplätze in der zweiten Bundesliga geschafft und muss mindestens noch ein Jahr nachsitzen. Zudem trennte sich der Club von Trainer Hannes Wolf.
Die Fragen, die jetzt gestellt werden, kommen uns bekannt vor: Welcher Trainer kann helfen? Wer hat Schuld? Wie soll es weitergehen? Tobias Escher kennt diese Fragen – und auch einige Antworten.
Escher ist einer der bekanntesten Taktikblogger Deutschlands und HSV-Experte. Der Mitbegründer des Taktikblogs "Spielverlagerung.de" und Analyse-Fuchs der YouTube-Show "Bohndesliga" auf Rocket Beans TV veröffentlichte vergangenen Sommer das HSV-Buch "Der Abstieg: Wie Funktionäre einen Verein ruinieren". In dem Buch über den ehemals so stolzen Dino zeichnen Escher und Co-Autor Daniel Jovanov den langen Abstieg des Hamburger SV nach. In zahlreichen Gesprächen mit Spielern, Trainern und Verantwortlichen sezieren Escher und Jovanov, dass der Verein jahrelang auf den Abstieg hingearbeitet hat.
Tobias Escher erklärt im Gespräch mit watson, warum sein Buch aktueller denn je ist, und warum nicht die Trainer-Position das größte Problem des HSV ist.
watson: Lang gab es die These: "Ein Abstieg würde dem HSV gut tun". Kann man diese These nach einer Saison zweite Liga und dem Nichtaufstieg endgültig als widerlegt sehen?
Tobias Escher: Die These ist in dieser Reinform Quatsch. Natürlich kann man bei einem Abstieg viele Probleme nicht mehr übersehen und Strukturen müssen überdacht werden, aber dass sich etwas beim HSV ändern muss, war in den Jahren zuvor schon sichtbar. Dennoch sind auch nach dem Abstieg viele Probleme geblieben und es hat sich vieles nicht verändert.
Euer Buch geht eben genau darauf ein, dass der Abstieg des "Dinos" nicht über Nacht kam, sondern der Verein jahrelang darauf hingearbeitet hat. Was sind die Hauptpunkte, die der HSV versäumt hat?
Der HSV hat sich jahrelang größer gefühlt, als er ist. Seit dem Europa-League-Halbfinale 2009 – wo man gegen Werder Bremen verlor – wurden viele Fehler gemacht. Finanziell hat sich der Verein an Klaus-Michael Kühne gekettet und sich sehr abhängig gemacht bei Transfers. Man hat immer wieder Leute aus der "guten alten Zeit" geholt, weil man dachte, mit ihnen kommt die gute alte Zeit wieder zurück. Dietmar Beiersdorfer und Rafael van der Vaart wurden etwa zurückgeholt. Es kam immer der Ruf nach "Leuten, die die Raute im Herzen tragen." Der HSV hat lange Zeit nicht einsehen wollen, in was für einer Lage man sich befindet – weder finanziell noch sportlich.
Beim HSV hat also offenbar niemand euer Buch gelesen? Doch, das haben bestimmt ein paar Leute gelesen. (lacht) Aber so leicht ist das alles ja nicht umzusetzen. Viele Aspekte kommen ja auch aus dem Umfeld des Vereins.
Das Buch ist also jetzt eine Saison nach dem Erscheinen aktueller denn je?
Ja natürlich. (lacht) Aber vor allem, weil beim HSV ein sehr langer Prozess zur derzeitigen Lage geführt hat. Der HSV hat vor zehn Jahren noch zu den zwanzig umsatzstärksten Clubs in Europa gehört, heute ist er dabei sich in der zweiten Liga zu etablieren. Und das beschreiben wir. Manche Dinge sind zudem immer noch gleich: Der HSV hat etwa wieder zwei Trainer in einer Saison verschlissen. Sie sind also wieder genau da, wo sie eigentlich nicht wieder hinwollten.
Hast du noch ein konkretes Beispiel, was sich auch nach einer Saison noch immer nicht geändert hat?
Transfers wurden vor der Saison für den damaligen Trainer Christian Titz getätigt, der schon da im Vorstand umstritten war. Mit ihm ist man jedoch in die Saison gestartet und hat ihm Transferwünsche erfüllt, obwohl man sich nicht sicher war. Als er dann entlassen wurde, ist dem Vorstand das dann auf die Füße gefallen.
Da kommen wir zu deinem Lieblingsthema: die Taktikanalyse. Warum wurde nach dem Trainerwechsel nicht alles besser?
Unter Christian Titz ist der HSV sehr stark in die Richtung des modernen Ballbesitzspiels gegangen: Unter ihm hat das Team geguckt, dass es den Ball besitzt und ihn laufen lässt. Mit der Konterabsicherung hatte man immer Probleme, aber nach vorne hat das gut funktioniert. In der ersten Saisonhälfte haben sie noch relativ regelmäßig getroffen. Unter Hannes Wolf hat sich zwar die Konterabsicherung verbessert, doch das Ballbesitzspiel wurde nicht weiterentwickelt. In den vergangenen Monaten war völlig unklar, wie dieser Club eigentlich Tore schießen will. Und so kannst du eben auch trotz eines starken Kaders nicht aufsteigen.
Hättest du mit dem Ausgang in dieser Saison trotz alledem gerechnet?
Nein, auf keinen Fall. Dafür waren der Kader zu gut und die Leistungen in der Hinrunde auch. Der HSV ist ja sogar als Hinrundenerster vor den Kölnern rausgegangen. Mit dem Nichtaufstieg hätte ich im Leben nicht gerechnet.
Lass uns nach vorne schauen: Der HSV kann wohl nicht in einem Sommer gerettet werden. Was können die Verantwortlichen dennoch in diesem Sommer tun, um kommende Saison die Mission Wiederaufstieg zu packen? Was sich ändern wird, ist der Kader. Der war geprägt von sehr viel Altlasten. Im Kader sind sehr viele Spieler, die von verschiedenen Trainern und Managern geholt worden. Das ist ein wildes Potpourri, das laut den Berichten aus dem "Hamburger Abendblatt" ja auch menschlich nicht harmoniert hat. Jetzt ist die große Chance einen Cut zu machen. Wood kommt zurück, aber Spieler wie Lasogga oder Holtby werden gehen und dann kann man auch einen neuen Kader bauen. Das sehe ich als Chance.
Eine Trainerdiskussion gibt es natürlich auch schon wieder. Hast du als Experte noch einen Tipp für die sportliche Führung, wen man sich da angeln könnte?
Nee, so etwas steht mir nicht zu. Aber: Das Wichtigste sind die Positionen über dem Trainer, also der Vorstandsvorsitzende und der Sportvorstand. Die müssen ein langfristiges Konzept erarbeiten und einen Trainer dafür verpflichten. Jetzt ist ja wieder die Debatte, ob man einen erfahrenen Trainer holt oder einen Trainer entwickelt. Da sieht man wieder eine Konzeptlosigkeit. Es wäre besser, wenn sie sich einen Trainer holen, der für einen gewissen Fußball steht. Wenn sie sich jetzt keine Gedanken machen, welchen Fußball sie spielen wollen, dann holt wieder jeder Trainer seine eigene Spieler, die nicht zum Fußball seiner Nachfolger passen.
Reden wir in einem Jahr wieder über das Buch oder glaubst du, dass es der HSV jetzt verstanden hat?
Wir wollten ja nicht als Besserwisser mit dem Buch dastehen. Das Buch ist eher ein Geschichtsbuch, welches die zehn Jahre und den Prozess in der Zeit aufzeigen. Es wäre dem HSV zu wünschen, wenn das Buch bald nur einen historischen Wert hat und die Geschichte nicht weiter geht.