Drei WM-Qualifikationsspiele, dreimal protestierte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen die Missachtung von Menschenrechten im WM-Gastgeberland Katar. Und obwohl eine wirklich gute und sinnvolle Absicht hinter den Protesten steckt, schaffte es der Deutsche-Fußball-Bund (DFB), für seine Aktionen einen Shitstorm sowie reichlich Häme und Kritik zu ernten.
Der renommierte Marken-Experte Peter Pirck, der als Geschäftsführer der Brandmeyer Markenberatung bereits mit Bitburger, der Sparkasse oder Peek & Cloppenburg zusammenarbeitete, spricht im watson-Interview über die schwierige Rolle, die vor allem die Stars des FC Bayern in diesen Aktionen einnehmen, die Fehler des DFB und warum Toni Kroos' Statement in seinem Podcast "Einfach mal Luppen" so wichtig für den Verband war.
watson: Herr Pirck, mit Joshua Kimmich, Leroy Sané und Leon Goretzka gab es einige prominente deutsche Nationalspieler, die sich für die Protestaktionen des DFB-Teams für die Achtung der Menschenrechte in Katar stark machten. Gleichzeitig waren Kimmich und Sané vor einem Monat Teil eines Werbefilms ihres Vereins Bayern München und Qatar Airways. Wie passt das zusammen?
Peter Pirck: Es ist auf der einen Seite natürlich problematisch. Auf der anderen Seite sind das die Verpflichtungen, die die Spieler haben. Es gibt Sponsorenverträge, die nicht Kimmich und Sané, sondern der Verein abgeschlossen hat. Und es gibt Verträge, die genau regeln, was die Spieler an Aktivitäten leisten müssen. Das ist einfach das Geschäft Fußball.
Trotz der Katar-Werbung für den FC Bayern wird die deutsche Nationalmannschaft mit den Spielern des FC Bayern immer politischer.
Das ist eine Entwicklung, die wir in den letzten Jahren sehen. Über Jahrzehnte war die Nationalmannschaft unpolitisch. Sie hat immer ein Wir-Gefühl geschaffen und nie polarisiert. Jetzt gab es vor vielen Jahren zunächst die Positionierung gegen Rassismus und nun gegen Katar. Wenn man an die Marke Nationalmannschaft denkt, ist das neu, aber keineswegs falsch. Wenn man jedoch an diesen Making-of-Film von vergangener Woche denkt, war das ein gigantisches Eigentor.
Der Film, der die Spieler beim Bemalen der T-Shirts zeigt?
Genau. Das ist schade, das ist unnötig und geht total nach hinten los. Er stellt die ganze Aktion als reines Marketing dar. Spieler wirken eher wie Statisten und Marionetten. Dieser Film ist aus PR- und Markensicht falsch, obwohl die Aktion grundsätzlich richtig ist. Durch diesen Film wird den Spielern auch das Interesse und das Engagement abgesprochen. Auch wenn ich das Spielern wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka natürlich total abnehme, dass sie sich dafür interessieren.
Also ein guter Wille, der ganz schlecht umgesetzt wurde.
Die Aktion hat dadurch definitiv Schaden genommen. Die Marke "Nationalmannschaft" leidet nicht unter diesen Aktionen, aber diese Inszenierung raubt den Eindruck der Ernsthaftigkeit.
Inwiefern ist das auch schädlich für die Marke, dass einfach jegliche Kritik von Bundestrainer Löw und Kimmich an dem Film abgeschmettert wird? Kimmich sagte: "Das spricht für unsere Kameraleute" und Löw erklärte, keiner lasse sich vor einen Karren spannen.
Diese Reaktion ist natürlich schlecht. Ich denke, dass es nach den medialen Reaktionen glasklar gewesen ist, dass der Making-of-Film ein Fehler war. Da muss man zugeben, dass es ein Fehler ist und anders darauf reagieren. Das haben aktuell andere Menschen in Deutschland eindrucksvoll vorgemacht.
Seit Jahren wird der DFB und die kommerzielle Ausschlachtung der "Mannschaft" kritisiert. Lernt der DFB einfach nicht dazu?
Die Führung einer Marke wie der Nationalmannschaft ist sehr schwierig. Es ist eine hochemotionale Marke, die viel mehr Menschen bewegt als jede andere. Aber das ändert nichts daran, dass es Fehler gibt.
Welche meinen Sie?
Ich glaube, ein Kardinalfehler ist, dass der DFB in der Markenführung einiges zu sehr aufsetzen will. Das beginnt mit "Die Mannschaft". Ein Versuch, einen Begriff zu etablieren, der nicht richtig in der Bevölkerung angekommen ist.
Anders als bei der "Selecao" in Brasilien, der "Seleccion" in Spanien oder der "Nati" in der Schweiz.
Genau. Die Menschen sprechen hier aber nicht von "Die Mannschaft". Der DFB versucht durch Marketing so einiges zu bestimmen und das funktioniert nicht. Man kann den Menschen nicht vorgeben, was sie denken oder wie sie eine Mannschaft nennen sollen. Man muss die gewünschten positiven Vorstellungen durch Handlungen erzeugen und nicht durch Hochglanz. Das führt eher zu Entfremdung statt zu Identifikation.
Robin Gosens hatte vor dem Spiel gegen Nordmazedonien am Mittwoch einen Protest angekündigt, "der nicht mit den Verantwortlichen abgesprochen war". Die Spieler zeigten ein Spruchband "Wir für 30" und ernteten erneut Spott.
Niemand ist so naiv zu glauben, dass es elf Freunde sind, die spontan auf die Idee kamen, ein Trikot anzumalen oder ein Spruchband zu machen. Da hängen auch einfach Bußgelder und sportjuristische Themen dran, die abgeklärt sein müssen.
Toni Kroos wäre bei diesen Aktionen auch auf dem Feld gewesen, doch er musste frühzeitig verletzt abreisen. Kann der DFB sich glücklich schätzen, dass Kroos als erster Spieler selbstständig eine klare Meinung in seinem Podcast "Einfach mal Luppen" zu Katar geäußert hat?
Das war gut und richtig. Toni Kroos war mit seiner Art, seiner Sprache und seinem Auftritt sehr glaubwürdig. Es ist auch durchaus mutig, da er dort auch nächstes Jahr auflaufen wird. Sein Monolog im Podcast wirkte echt und ungekünstelt.
Wie wichtig war es auch für ihn selbst, um sein Markenprofil zu schärfen?
Das unterstellen wir ihm jetzt automatisch, weil es diese Inszenierungen gibt, ansonsten würden wir gar nicht auf die Idee kommen. Denn er ist ein vernünftiger Mensch, also warum soll er nicht darüber nachdenken? Er ist seit Jahren Stammspieler bei Real Madrid und in der Nationalmannschaft – er muss sein Profil nicht schärfen.
Auch Joshua Kimmich hatte sich schon geäußert und sagte: "Ein Boykott kommt zehn Jahre zu spät". Amnesty spricht sich bei watson ebenfalls dagegen aus. Würde ein Boykott des DFB-Teams aber die Marke "Die Mannschaft" wieder stärken?
Wenn sie sich positionieren würde, ist eher die Frage, ob es nicht wieder als Marketing wahrgenommen werden würde. Das Ganze ist eh so durchkommerzialisiert, dass es keinen Boykott geben wird.