Esther Sedlaczek hat sich in den vergangenen Jahren zum Gesicht der Fußballberichterstattung in der ARD entwickelt. Auch zur EM 2024 wird die Berlinerin durch die Live-Übertragungen des öffentlich-rechtlichen Senders führen.
Im Gespräch mit watson blickt sie auf die Heim-EM, spricht dabei ausführlich über ihren Kollegen Bastian Schweinsteiger und erklärt, was sich die beiden vom Duo Günter Netzer und Gerhard Delling abschauen können.
watson: Esther, für Spieler:innen, Trainer:innen und Fans ist ein großes Turnier im eigenen Land etwas Besonderes. Für dich als Sportmoderatorin auch?
Esther Sedlaczek: Ja, auf jeden Fall. Ich bin seit 14 Jahren beim Sportfernsehen, Heimturniere finden nicht in großer Häufigkeit statt. Ich bin sehr dankbar, dass ein solches Turnier nun in meine Dienstzeit fällt. Die WM 2006 habe ich als Fan erlebt. Jetzt so nah dran zu sein, ist ein wahr gewordener Kindheitstraum.
Hast du dich bei Kolleg:innen umgehört, die 2006 bereits tätig waren?
Nein, ich habe bisher mit niemandem darüber gesprochen, wie es 2006 war. Ich kann mich an die WM in Katar erinnern, das war mein erstes Fußball-Großereignis. Vorher habe ich viel darüber nachgedacht, wie es sein könnte. Im Nachhinein war ich total geflasht, weil die Atmosphäre während eines Turniers besonders und anders ist. Das hätte ich mir vorher nie so vorgestellt.
Du arbeitest seit einigen Jahren mit Bastian Schweinsteiger zusammen. Er hat in seiner Anfangszeit als Experte viel Kritik einstecken müssen. Hat er sich in seinem Auftreten verändert?
Jeder macht einen Prozess durch, wenn er in eine neue Funktion kommt. Ich stelle es mir nicht einfach vor, wenn man vom aktiven Profi in die Expertenrolle übergeht.
Welche Prozesse waren es bei ihm?
Als ehemaliger Profi musst du auch mal einen ehemaligen Mitspieler kritisieren. Da muss man einen Weg finden: Wie fühlt man sich damit am wohlsten? Wie macht man es am besten? Man muss sich hineinarbeiten. Ich habe vor 14 Jahren auch nicht so moderiert, wie ich es heute mache. Ich habe jetzt einen anderen Stil. Das braucht Zeit.
Schon gehört? Es gibt einen neuen watson-Podcast: "Toni Kroos – The Underrated One". Hier hörst du den Trailer:
Was zeichnet ihn jetzt aus?
Bastian ist seinen Weg gegangen und hat seine Art gefunden. Ich finde es besonders schön, dass die Zuschauer Bastian so erleben, wie ich ihn auch kennengelernt habe: als grundsympathischen Menschen, der sehr positiv ist und mit dem man eine Menge Spaß haben kann.
Und inhaltlich?
Inhaltlich ist er hervorragend, er versteht so viel von Fußball. In Katar hat er mir Dinge erklärt, bei denen ich mich gefragt habe, wie er die gesehen hat. Durch ihn habe ich nochmal so viel gelernt. Es ist toll, mit so einem Fußballexperten zusammenzuarbeiten. Das macht einfach Spaß.
Hat er andersherum auch von dir gelernt, dich auch mal um deinen Rat gebeten?
Wir sind ein Team und arbeiten zusammen. Ich hole mir Tipps von ihm, er holt sich Tipps von mir. Wir profitieren voneinander.
Das Duo Günter Netzer und Gerhard Delling gilt als ikonisch in der Sportmoderation. Wie viel von diesem Gespann steckt bei Schweinsteiger und dir drin?
Ich finde es interessant, dass der Vergleich irgendwann aufgekommen ist.
Wieso?
Wir sind weit entfernt von Günter Netzer und Gerhard Delling. Jede Generation hat ihr eigenes Duo. Wenn Bastian und ich das für viele sind, wenn wir so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, freut mich das sehr. Aber wie ist denn die Wahrnehmung von uns?
Viele sehen ein modernes Duo, das einen guten Mix aus Unterhaltung und Expertise hinbekommt.
Das ist schön zu hören. Ich mache mir wenig Gedanken darüber, wie wir herüberkommen. Wir sind einfach, wie wir sind. Netzer und Delling hatten ihre ganz eigene Dynamik, das ist ein unschlagbares Duo, was es in dieser Form wohl nie wieder geben wird. Ich finde es schwierig, jemandem nachzueifern. Man sollte lieber seinen eigenen Stil finden und damit Spuren hinterlassen.
Könnt ihr euch von Netzer und Delling dennoch etwas abschauen?
Wenn jemand qualitativ gute Arbeit leistet, kann man sich immer etwas abschauen. Die Art, wie Netzer spricht, liebe ich. Es ist ein Traum, ihn reden zu hören. Der Humor, den Gerhard Delling und Günter Netzer vor der Kamera hatten, finde ich klasse.
Der Blick ins Ausland zeigt auch eine etwas andere Gestaltung bei der Fußballberichterstattung. Das Programm von CBS Sports rund um Kate Abdo, Thierry Henry und weitere Ex-Stars findet große Beachtung. Ist eine solche Berichterstattung zwischen analytisch-nüchtern und Stand-up-Comedy auch in Deutschland möglich?
Es ist sehr unterhaltsam. Kate Abdo macht das klasse, ich kenne sie noch von früher. Wie sie die Jungs im Griff hat – super! Die Zuschauer sollen Spaß haben. Wenn man immer nur trockene Analysen macht, keinerlei Unterhaltungsfaktor vorhanden ist, dann ist das, wie ich finde, eine vergebene Chance. Hier und da darf ein flotter Spruch rein, zieht man sich mal auf. Das ist hier sicherlich auch möglich, vielleicht nur etwas anders.
Dann könnte Bastian Schweinsteiger es demnächst wie Jamie Carragher machen und ein EM-Spiel in der Gelben Wand verfolgen.
Das fände ich super. Für eine solche Rolle wäre auch Thomas Müller perfekt, wenn er irgendwann nicht mehr spielt.
Wie weit kommen Thomas Müller und das deutsche Team beim Turnier?
Das Achtelfinale überstehen sie definitiv, alles andere danach ist ein Add-on. Ich freue mich natürlich, wenn sie den Titel holen – gerade, da wir bei der ARD das Finale haben. (Lacht.) Aber man darf die Messlatte nach den letzten Turnieren auch nicht zu hoch hängen.