Nils Petersen is back. Ein Jahr nach dem Ende seiner Profi-Karriere kommt die Freiburg-Legende wieder in der Europa League zum Einsatz. Dieses Mal allerdings nicht auf dem Rasen, sondern am Mikrofon von RTL.
Mit Moderatorin Anna Kraft präsentiert Petersen im Wechsel mit den anderen Experten Patrick Helmes und Felix Kroos die Spieltagsshow "Matchday" bei RTL+. Außerdem ist der 35-jährige frühere Bundesliga-Stürmer als Co-Kommentator im Einsatz.
Mit watson sprach Petersen über den vollen Spielplan und die Belastung der Spieler. Außerdem kürte der Fanliebling seinen "legitimen Nachfolger" und erklärte, warum sich viele Spieler schwertun, vor der Kamera authentisch zu sein.
watson: 189 Spiele Champions League, 189 Spiele Europa League, 34 Bundesliga-Spieltage, dazwischen noch Nations League: Es werden immer mehr Spiele und auch mehr Wettbewerbe. Kannst du dem noch folgen oder hast du auch mal genug von Fußball?
Nils Petersen: Ich persönlich habe nie genug von Fußball. Vor allem, weil ja jeder die freie Wahl hat: Schaue ich mir dieses Spiel, diesen Wettbewerb an oder konzentriere ich mich auf die für mich interessanteren Begegnungen? Zum Glück ist nach wie vor alles freiwillig, niemand muss sich etwas anschauen. Aber ich verstehe natürlich die Sorgen und den Unmut vieler Fans, nicht zuletzt finanziell. Bei der aktuellen und fast schon unübersichtlichen Streuung auf verschiedenen Plattformen und Sendern ist es für Otto Normalverbraucher kaum mehr möglich, alles zu konsumieren. Das ist für viele eine uncoole Entwicklung.
Liverpools Alisson sagt, die Spieler haben die vielen Spiele satt, Man Citys Akanji denkt aufgrund der hohen Belastung sogar an ein Karriereende mit 30. Wie weit lässt sich das Rad noch drehen?
Das Phänomen ist nicht neu: Zwar sind die Spieler Hauptdarsteller, auf Top-Niveau inzwischen Stars und auch so honoriert. Mitspracherecht haben sie aber nicht. Da ist der Fußball übrigens kein Sonderfall, die Flut von neuen Formaten und Wettbewerben mit dem Ziel besserer Vermarktung, größerer Erlöse und noch mehr medialer Aufmerksamkeit ist sportartenübergreifend sichtbar. Am Ende verliert das einzelne Spiel ohne K.o.-Modus an Bedeutung. Der Kalender ist zu voll, aber kein Verband wird freiwillig Spiele, ergo Geld, abschenken wollen, solange "Freaks" wie ich weiterhin jedes Spiel schauen und dafür bezahlen werden.
Als Profi warst du immer wieder für deine ehrliche Art bekannt. Fällt es dir trotzdem schwer, deine Ex-Kollegen in der Rolle als Experte zu kritisieren?
Kritik fand ich als Profi natürlich nie geil, aber total okay, wenn es um die Sache ging und konstruktiv war. Es darf nie persönlich werden, beispielsweise zugunsten einer Überschrift in der Zeitung des Folgetages. Die Jungs wissen in aller Regel selbst am besten, ob die Performance gut oder Mist war. Dazu brauchen sie keine Experten, das sagt ihnen im Normalfall auch der Trainer in der nächsten Sitzung. Aber natürlich lobt man als ehemaliger Kollege lieber als zu kritisieren. Bisher hat sich jedenfalls niemand beschwert über Kommentare unter der Gürtellinie.
Inwiefern hast du dich in deiner Rolle als RTL-Experte und Co-Kommentator schon eingelebt?
Ich durfte bei Amazon Prime in der vergangenen Saison an der Seite von Matthias Sammer Erfahrungen in der Champions League sammeln, bei RTL habe ich das Rückspiel zwischen West Ham und Freiburg live am Mikro miterlebt. Das 0:5 schönzureden, war durch mein Fan-Dasein brutal schwer. (lacht) Abgesehen von dem Geschehen auf dem Rasen ist es immer schön, so hautnah dabei sein zu dürfen. Es macht Spaß mit den Leuten bei RTL, ich komme immer gern nach Köln und genieße die Atmosphäre im Studio.
Was ist leichter: die Fragen nach dem Spiel zu beantworten oder zu stellen?
Ganz eindeutig: Fragen zu stellen ist schwieriger. Als Interview-Gast muss man reagieren, als Experte agieren. Ich war lange genug selbst auf der anderen Seite und weiß, dass das Interview nach den 90 Minuten neben einem brauchbaren Inhalt auch unterhaltend sein sollte und man schon sehr auf den Gegenüber angewiesen ist. Und wir "Experten" wissen alle: nicht jeder hat stets Bock auf uns Besserwisser nach einem unschönen Spiel.
Viele fanden, Nils Petersen sei der authentischste Spieler der Bundesliga gewesen – gibt es legitime Nachfolger?
Das Paradebeispiel ist zweifellos Thomas Müller. Seine reflektierten, aber zum Schmunzeln ansteckenden Analysen schreien förmlich danach, dass er nach Karriereende in die Trainerrolle schlüpft – oder TV-Experte wird.
Warum tun sich Fußball-Profis aber immer noch so schwer, authentisch zu sein?
Das kann ich so nicht bestätigen und habe darauf auch keine schlüssige Antwort. Vermutlich liegt das Geheimnis der Glaubwürdigkeit darin, einfach die Dinge aus dem Bauch heraus anzusprechen und nicht immer nur auf den Verstand zu hören.
Muss man das jetzt einfach als Teil des modernen Fußballs hinnehmen – viele Spiele und viele inhaltsleere Aussagen?
Nein, ganz bestimmt nicht. Aber inzwischen sind die Klubs auch im Bereich Medienschulung bestens aufgestellt und wissen, wo die Fettnäpfchen lauern. Die Jungs sind darauf professionell vorbereitet worden, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Manch einer mag das schade finden, ich nehme es als Selbstschutz wahr. Du willst ja als Spieler mit Leistung auffallen, nicht durch Überschriften. Das kann in der Kabine Sympathien kosten.
Um bei ehrlichen Worten zu bleiben: Für wie gut hältst du die Europa League? Wird der Wettbewerb durch den neuen Modus aufgewertet?
Das wird sich zeigen. Aber acht verschiedene Gegner sind natürlich spannend. Freiburg musste die letzten zwei Jahre viermal gegen Piräus und West Ham ran. Das will auch niemand.
Die Europa League wurde von vielen Fußball-Fans häufig belächelt und nicht ganz ernst genommen – und am Ende hat eh immer der FC Sevilla gewonnen.
Schon möglich. In den vergangenen beiden Jahren sah das aus deutscher Sicht aber doch deutlich anders aus, mit zwei Finalisten in Folge. Man muss auch als Fan zugeben: Die Eintracht aus Frankfurt hat dem Wettbewerb in Deutschland durch ihren Sieg 2022 eine neue Bedeutung gegeben.
Ist es für die internationale Attraktivität der Bundesliga besser, dass wir mittlerweile fünf CL-Teams und nur noch zwei EL-Teams plus Heidenheim in der Conference League haben?
Auch das muss man abwarten. Gewinnt oder verliert die Champions League mit dem neuen Modus an Strahlkraft, wie schlagen sich die deutschen Teams in den anderen Wettbewerben? Die Faszination resultiert zumeist aus den K.o.-Spielen. Sobald diese erreicht werden von den Bundesliga-Vertretern, wird die Aufmerksamkeit zwangsläufig groß sein und der mediale Hype damit einhergehen. Dann drückt man nicht nur regional, sondern bundesweit die Daumen.
Ist ein erneuter EL-Sieg einer deutschen Mannschaft wie Frankfurt 2022 aktuell überhaupt denkbar?
Absolut! Jede deutsche Mannschaft, die sich mühsam über ein ganzes Jahr hinweg für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert, hat das Zeug dazu, an guten Tagen die allermeisten Gegner zu schlagen. Umgekehrt gilt das allerdings auch. Und der FC Sevilla kann diesmal nicht reingrätschen. (Lacht.)