Normalerweise laufe ich zu dieser Zeit im Jahr mit Tausenden von Menschen, umgeben von einem Wald aus Transparenten und auf der Wange einen kleinen Regenbogen aufgemalt, durch die Straßen mit der Hoffnung, dass irgendwann alles gut wird. Der Juni, der "Pride Month", ist seit Jahren die Gelegenheit, auf die anhaltende Diskriminierung von "Anderssexuellen" hinzuweisen. Corona hat eine echte Demonstration nun das zweite Jahr in Folge verhindert. Aber hey, da gibt es ja noch die UEFA.
Ich hätte wirklich zuletzt damit gerechnet, dass ein Fußballverband während einer Fußball-Großveranstaltung den Kampf für Gleichstellung auf ein neues Level hebt. Und das sei ganz ohne Lob gesagt.
Denn die fragwürdige Entscheidung der UEFA, die Regenbogen-Beleuchtung an der Allianz Arena zu verbieten, ist nichts als scheinheilig. Bei jeder Gelegenheit gibt sich der Fußballverband sozial, setzt sich für wohltätige Zwecke ein und will die Menschen auf der Welt "verbinden". Könnte der Einsatz für unbestrittene Menschenrechte jedoch einen dickköpfigen, autoritär herrschenden Regierungschef verärgern, bekommen die Funktionäre kalte Füße.
Mit ihrer vermeintlichen Rücksichtnahme auf Orban hat die UEFA dem ungarischen Ministerpräsidenten aber einen Bärendienst erwiesen. Hätte das Münchner Stadion ganz ohne Widerstand die Regenbogenbeleuchtung anmachen dürfen, wäre das zwar ein Seitenhieb an Ungarn gewesen, wo ein menschenfeindliches Anti-Informationsgesetz für Homo- und Transsexualität verabschiedet wurde. Doch eine wirklich große Debatte um Homophobie hätte es womöglich nicht gegeben.
Zahlreiche Menschen bekannten Farbe, weil sie die UEFA kritisieren konnten. Firmen tunkten ihre Logos in Regenbogenfarbe, Stars posteten in ihren Social-Media-Kanälen Statements, Politikerinnen und Politiker aus unerwarteter Ecke machten klare Ansagen. Sogar der Vorsitzende der konservativen CSU, Markus Söder, hätte sich die Münchner Arena in Bunt gewünscht, wie er auf Instagram mitteilte. Natürlich, es ist Wahlkampf, es gilt, junge Menschen zu gewinnen. Natürlich, Unternehmen zeigen nach außen gern mal ihre soziale Ader und intern herrscht Asi-Stimmung. Pinkwashing hin oder her: Jetzt war es wichtig, ein großes Echo auf das Verbot der UEFA zu erzeugen. Und das aus einem guten Grund.
Für Minderheiten gibt es ein klares Zeichen: dass ihre Diskriminierung nicht länger geduldet wird, wenn Menschen, die diskriminieren, öffentlich dafür kritisiert werden. Den Effekt stellen wir beispielsweise seit ein paar Jahren viel deutlicher rund um das Rassismus-Problem fest. Wenn es nicht mehr unkommentiert möglich ist, Homosexuelle als "unnatürlich", "sündhaft", "gefährlich" oder sogar "krank" zu bezeichnen, dann nähern wir uns einer humanen Gesellschaft. Und dafür brauchen LGBTIQ*-Angehörige wohl oder übel die Power der "normalsexuellen" Mehrheit.
Rund um diese ganze Stadion-Diskussion hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass wir als Minderheit nicht mehr alleine für eine Verbesserung unserer Lage kämpfen. Es ging plötzlich nicht mehr darum, dass wir die ganz große Mehrheit, die das Sagen hat, von etwas überzeugen mussten. Auf einmal setzten sich (über meinen treuen Freundeskreis hinaus) ganz unterschiedliche und zahlreiche Menschen für mein Anliegen ein. Das i-Tüpfelchen war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die das ungarische Anti-Homo-Gesetz als "Schande" bezeichnete.
Natürlich müssen ich und alle Diskriminierten weiterhin jährlich auf die Straße. Auch nach dem Stadion-Gate leben wir nicht komplett sorgenfrei in einem Land unter dem Regenbogen. Ich weiß jetzt aber, dass mir viel mehr Menschen in meinen Anliegen den Rücken stärken als ich dachte. Dank der UEFA, der kein Dank gebührt.