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Nach Nagelsmann-Abschied: Thomas Tuchel beim FC Bayern – Detail irritiert

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Der neue Trainer des FC Bayern München heißt Thomas Tuchel.Bild: imago / globallmagens
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Thomas Tuchel wird neuer Bayern-Trainer! Das ist verrückt – und ziemlich clever

26.03.2023, 10:07
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Thomas Tuchel ist neuer Trainer des FC Bayern München. Über die Art und Weise der Entlassung von Julian Nagelsmann kann man streiten. Doch mit dem Abstand von ein paar Stunden zwischen erster Meldung und offizieller Bestätigung bleibt vor allem ein Eindruck: Die Verantwortlichen des FC Bayern haben eine verdammt smarte Entscheidung getroffen.

Das liegt an Nagelsmann und Tuchel zu gleichen Teilen. Blicken wir zuerst auf den Ex-Coach: Julian Nagelsmann hat in 18 Monaten nicht unter Beweis stellen können, die menschliche Größe zu haben, eine komplizierte Mannschaft in einem interessanten Umfeld seriös führen zu können. Es ist dann eben doch eine andere Hausnummer, den FC Bayern zu trainieren. Und nicht die Plastikklubs aus Hoffenheim oder Leipzig.

Vielleicht liegt's an der mangelnden Erfahrung, vielleicht am jungen Alter, vielleicht auch einfach an seiner Persönlichkeit. Doch Nagelsmann war niemand, der sein eigenes Team wirklich hinter sich vereinen konnte. Das Ergebnis waren Leistungsschwankungen, die man sich beim deutschen Rekordmeister nicht erlauben darf.

Am offensichtlichsten waren Nagelsmanns Auftritte nach den Partien. Wenn gewonnen wurde, war Nagelsmann zufrieden mit seinem Matchplan. Wenn's schiefgegangen war, waren die Spieler schuld. Selbstkritik? Fehlanzeige!

Hinzu kommen weiche Faktoren, die man Nagelsmann vielleicht gar nicht vorwerfen kann.

Jedoch: Seine zuerst verheimlichte Beziehung zu einer Reporterin der "Bild", seine teilweise cringen Anflüge von gar nicht mal so lustigem Humor, sein besserwisserisches Auftreten – all diese vermeintlichen Kleinigkeiten sind Dinge, die für Getuschel und Lästereien in einer Kabine voller Fußballer sorgen. Ob man das nun nachvollziehen kann oder nicht.

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Wenn dann noch die große Spielidee nicht zu erkennen ist, wenn du die Meisterschaft zu verzocken drohst und gleich mehrerer Spieler eher schlechter als besser werden, dann darf es nicht verwundern, wenn dich die Verantwortlichen vor die Tür setzen.

Keine Frage: Die Art und Weise war eine Frechheit und eines Vereins dieser Größenordnung unwürdig. Es kann und darf nicht passieren, dass ein Trainer von seiner Entlassung von Journalist:innen erfährt. Doch davon abgesehen kann man die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt nachvollziehen. Der Move der Bayern mag verrückt wirken, doch er ist auch ziemlich clever. Und das wiederum liegt an Thomas Tuchel.

Der FC Bayern hatte die Chance, jetzt – und nur jetzt – einen deutschen Trainer von nachgewiesener Weltklasse zu verpflichten. Und davon gibt es im Moment nur zwei: Der eine heißt Jürgen Klopp und steht noch immer in Liverpool unter Vertrag. Der andere ist Thomas Tuchel und wäre in wenigen Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem anderen Verein gewechselt, hätte der FC Bayern nicht gehandelt.

Die spannendste Passage in den vielen, teils mit hohlen Phrasen gespickten Statements der Verantwortlichen des Rekordmeisters war ein Halbsatz: Oliver Kahn sprach aufgrund der aktuellen Tabellensituation in der Bundesliga davon, dass die Ziele des FC Bayern gefährdet seien. Und schob dann die entscheidenden Worte hinterher: "Aber auch über diese Saison hinaus."

Fakt ist: Der FC Bayern hat sich, ganz nüchtern betrachtet, auf der Trainerposition verstärkt. Schon klar, nun gibt es Unruhen, der Wechsel ist teuer und irgendwie auch peinlich, weil man vor 18 Monaten stolze 25 Millionen Ablöse für Nagelsmann nach Leipzig überwies. Doch will man den Verantwortlichen vorwerfen, die bestmögliche Lösung zu versuchen?

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Eine Szene aus dem Jahr 2017. Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel diskutieren an der Seitenlinie, damals noch Trainer von Hoffenheim und Borussia Dortmund.Bild: imago / jan hübner

Der mutige Schritt wirkt gleichzeitig auch wie ein Schuldeingeständnis von Oliver Kahn. Der ehemalige Weltklassekeeper galt immer als Skeptiker einer Nagelsmann-Verpflichtung, weil er dem Youngster die Erfahrung und die menschliche Größe nicht zugetraut haben soll, eine komplizierte Mannschaft wie die des FC Bayern zu führen.

Man kann heute sagen: Wenn er so gedacht haben sollte, hatte er recht.

Weshalb es nur folgerichtig ist, diesen Schritt zu gehen. Die Häme von Beobachter:innen und die Empörung einiger Fans, die sich nun gegenüber Medien äußerten, mag groß sein. Jedoch: Die mangelnde Geduld mag zwar der nun am häufigsten genannte Vorwurf an die FCB-Bosse sein. Doch eine Trainerdiskussion wäre im Falle einer Niederlage im Topspiel in einer Woche gegen Borussia Dortmund so oder so entbrannt.

Die getroffene Entscheidung ist eine der maximalen Prominenz. Denn natürlich hätten die Bayern auch nach der Saison zur Not noch den Trainer wechseln können. Die Kandidaten hätten dann vermutlich Urs Fischer oder Oliver Glasner geheißen. Doch ein solches Experiment scheint nach dem Reinfall mit Niko Kovač in München aktuell undenkbar.

Die Lösung heißt daher jetzt Thomas Tuchel. An dessen Klasse gibt es keine Zweifel, schiefgehen kann der Versuch allerdings trotzdem. In Dortmund, in Paris und in London ging Tuchel im Streit.

Ob's in München weniger Reibereien geben wird? Man kann das anzweifeln. Weshalb ein Randaspekt in diesem Fall nicht unwichtig ist: Tuchel hat einen Vertrag unterschrieben, der nur bis 2025 datiert ist. Das verwundert auf den ersten Blick. Aber vielleicht ist ein solcher Kontrakt auch ehrlicher, als einem Coach einen Fünfjahresvertrag auf den Tisch zu legen. Was der in Wahrheit wert ist, nämlich gar nichts, hat die Entlassung von Julian Nagelsmann einmal mehr bewiesen.

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