Auf "schockverliebt" folgt zunächst bittere Enttäuschung. Und dann die Trennung. Was im Liebesleben oft ein normaler Vorgang ist, ist mittlerweile auch (Trainer)-Alltag beim FC Bayern.
"Schockverliebt" hatte sich Thomas Tuchel im April 2023 in sein Team, trotz einer 0:3-Pleite gegen Manchester City. Doch aus einer erhofften Romanze ist seit einigen Wochen ein "Horrorfilm" geworden, in dem sich der FC Bayern laut Leon Goretzka aktuell befindet.
Wie der Verein am Dienstagmorgen mitteilte, werden sich die Wege des Vereins und des Trainers am Saisonende trennen. Mit einem neuen Coach soll im Sommer eine sportliche Neuausrichtung stattfinden.
Ob das gelingt? Zweifel sind zumindest angebracht. Denn das Problem beim FC Bayern sitzt nicht auf der Trainerbank, es liegt weitaus tiefer.
Aktuell ergibt sich beim Blick auf die vergangenen Trainer des FC Bayern eine illustre Runde. Hansi Flick, Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel.
Durchschnittliche Amtszeit beim Klub: eineinhalb Jahre. Der FC Bayern und die Trainer: Das ist seit einigen Jahren eine toxische Beziehung. Das allein dürfte für potenzielle Nachfolger, die in München "etwas aufbauen" wollen, Abschreckung genug sein.
Innerhalb von fünf Jahren hat es der Dauer-Meister geschafft, drei der besten deutschen Trainer in einer Art und Weise vom Hof zu jagen, die europaweit ihresgleichen sucht.
Jahrelang gab es Lob von allen Seiten, wie toll dieser Klub geführt sei. Doch seit dem Ausscheiden von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind die Münchener einer der chaotischsten Vereine Europas. Der Triple-Triumph 2020 samt Champions-League-Sieg mag darüber hinweggetäuscht haben, doch spätestens jetzt sind die Probleme nicht mehr zu übersehen.
Die Idee, den Verein mit den Vereinslegenden Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn in die Zukunft zu führen, scheiterte krachend. Salihamidžić zoffte sich mit Flick und sorgte so gewissermaßen für seinen Abgang zum DFB. Beide Ex-Bayern-Stars schafften es anschließend nicht, Julian Nagelsmann auch öffentlich den Rücken zu stärken und entließen ihn auf amateurhafte Art. Um wiederum selbst am letzten Spieltag der vergangenen Saison in ähnlicher Manier vor die Tür gesetzt zu werden.
Mit Tuchel als Trainer, Jan-Christian Dreesen als Vorstandsboss und Christoph Freund als Sportdirektor sollte ab Sommer alles besser werden.
Es wurde nur noch schlimmer.
Die "Transfer-Taskforce" konnte zwar Harry Kane nach München lotsen, doch ansonsten zeigt bisher kein Neuzugang wirklich Wirkung. Die Spieler-Wünsche von Tuchel wurden komplett ignoriert, seine Kritik am Mannschaftsgefüge einfach überhört. Und genau diese über Jahre eingezogene Struktur fällt nun dem Coach auf die Füße.
Tuchel versprach Uli Hoeneß noch bei seinem Amtsantritt, dass er gut auf seinen Klub aufpassen werde. Hoeneß wiederum polterte im Sommer Richtung Medien, dass die Zeit vorbei sei, in der interne Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.
Beide sollten falsch liegen.
Selten wurde in den vergangenen Monaten so viel rund um den Klub in die Öffentlichkeit getragen. Selbst über Tuchels Abgang berichteten zunächst "Sky" und "Bild", bevor der FC Bayern eine Mitteilung herausgab.
Klar, auch der 50-Jährige hat taktische Fehler begangen. Zum Beispiel in Leverkusen. Er hat personell fragwürdige Entscheidungen getroffen, genannt sei hier der Umgang mit Jungstar Mathys Tel. Und er hat mit seinen Aussagen über Joshua Kimmich und Leon Goretzka nicht unbedingt das Selbstverstrauen seiner Spieler gestärkt.
Aber vielleicht lässt sich auf diese Mannschaft und diesen Klub auch einfach nicht aufpassen.
Wenn nach dem Nagelsmann-Aus zum wiederholten Mal davon die Rede ist, dass sich bestimmte Spielergruppen gegen den Trainer zusammenschließen, dann sitzt das Problem der Münchener in der Kabine.
Mit dem von Dreesen angekündigten "sportlichen Umbruch" im Sommer darf die sportliche Leitung nicht vor etablierten Führungsspielern haltmachen. Und muss sich vor allem selbst hinterfragen. Denn immerhin sind sie dafür verantwortlich, den Kader zusammenzustellen.
Dass sich diese Mannschaft nun befreit fühlt, weil ihr Trainer in vier Monaten weg ist, ist zudem eine fragwürdige Annahme der Bayern-Bosse. Es wirkt, als hätte man kurzfristig keinen anderen Plan gehabt. Einziger Hoffnungsschimmer: Schlimmer als aktuell kann es nicht werden.
Im Sommer soll dann der Neustart her. Das Paradoxe ist: Thomas Tuchel wäre der perfekte Trainer gewesen, um diesen Umbruch anzuführen.