Vor knapp einem halben Jahr wurde Julian Nagelsmann noch relativ unwirsch von seinem Posten als Cheftrainer des FC Bayern München entlassen. Nun übernimmt er die deutsche Nationalmannschaft – zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Das DFB-Team ist so erfolglos wie lange nicht, in weniger als einem Jahr beginnt die Europameisterschaft im eigenen Land. Ein Fünkchen an Euphorie ist nach dem jüngsten Sieg gegen Frankreich aber wieder entfacht worden.
Interimsweise saß dort der etatmäßige DFB-Sportdirektor Rudi Völler auf der Bank. In einem Interview hat er nun über die Entscheidung für Julian Nagelsmann als Bundestrainer gesprochen. Gewissermaßen war es Liebe auf den ersten Blick.
Im Interview mit dem "Kicker" sagte Völler über das erste Gespräch: "Eigentlich hat es gleich klick gemacht – auf beiden Seiten. Ich habe gespürt, dass er nicht groß überlegen musste und es unbedingt machen möchte. Und für mich war eh klar, dass er der Richtige ist."
Dass Nagelsmann zu dem Zeitpunkt überhaupt zur Verfügung stand, bezeichnete Völler als "Glücksfall", etwas "ganz besonderes". Weil es auf dem Markt oftmals nicht den Trainer gebe, den man gerne hätte: "Ich weiß definitiv, dass er schon vor ein paar Wochen und Monaten unglaublich gute Anfragen von europäischen Klubs hatte und diese in Kürze auch wieder hätte haben können."
Nagelsmann sei, so Völler, allein aufgrund seiner Vita der Aufgabe gewachsen. Die Diskussionen über seinen vermeintlichen Mangel an Erfahrung könne er daher überhaupt nicht nachvollziehen.
Nagelsmann galt lange als eines der größten Trainertalente im deutschen Fußball. Durch seine Entlassung beim FC Bayern hat dieser Ruf etwas gelitten, seine bisherigen Stationen sind nichtsdestotrotz beachtlich.
In Hoffenheim war Nagelsmann bereits mit 25 Jahren Trainerassistent und ebenda später mit 28 Jahren der bisher jüngste hauptamtliche Trainer der Bundesliga überhaupt. Später übernahm er noch das Traineramt bei RB Leipzig. Was Nagelsmann bei diesen Stationen geleistet habe, sagte Völler, sei sensationell:
"Seine Art, die Leute mitreißen zu können, gepaart mit seiner Fußball-Kompetenz und seiner Fähigkeit, Spiele zu lesen, machen ihn zu einem außergewöhnlichen Trainer und zu einem Glücksfall für uns." Als Verbandstrainer werde es zwar anders sein und die genaue Justierung werde erst in der EM-Vorbereitung im Sommer erfolgen, sagte Völler: "Aber er weiß, wie es funktioniert. Das ist wichtig."