Die WM in Katar hat uns gezeigt, dass der deutsche Fußball mit seiner internationalen Sportpolitik überfordert gewesen ist. Der Streit um die "One-Love"-Kapitänsbinde war halbherzig und erinnert an die Maßnahmen einer arroganten Moralpolizei. Es gibt weder eine Vision zur Zukunft des Weltfußballs, noch gab es eine Strategie in Hinblick auf den Umgang mit dem WM-Gastgeber Katar.
Die Vision hat ein anderer. Deshalb ändert sich in der Fifa gar nichts und Gianni Infantino wird am 16. März kommenden Jahres beim 73. Fifa Kongress in Kigali, Ruanda, in seine dritte Amtszeit gewählt. Möglicherweise sogar einstimmig und definitiv ohne Gegenkandidaten, denn die Frist für eine weitere Nominierung hat der DFB ungenutzt verstreichen lassen. Sehr zum Ärger der Fans in Deutschland, denn in unserer Studie haben wir herausgefunden, dass sich 60,5 Prozent der befragten Fans genau das vom DFB gewünscht hätten.
Aus Sicht der Fans wären Reformen und neue Ideen im Weltfußball dringend erforderlich. So haben beispielsweise in unserer Katar-Studie 71,1 Prozent der befragten Fans der These zugestimmt, dass die Fifa ihre Monopolstellung im Fußball missbraucht. Die Suche nach Alternativen ist schwer, denn aus der Sicht der Fans unterscheidet sich die Uefa kaum von der Fifa. Hinsichtlich des Themas gesellschaftliche Verantwortung sieht die Mehrheit der Fans (35,9 Prozent) den europäischen Verband auf dem gleichem, kritikwürdigen Niveau wie die Fifa.
Es fehlen Alternativen und authentische Visionen. Da sogar der moralisierende, aber für echten Protest unfähige DFB in vielen Werten noch schlechter bewertet wird als der Fußballweltverband, konnte auch diese WM für die Fifa ein voller Erfolg werden. Während das Gastgeberland Katar vollends auf seine Kosten gekommen ist, hat der DFB eine peinliche sportpolitische Bruchlandung hingelegt. In der internationalen Sportdiplomatie stehen wir nun im Abseits und mit Blick auf die Basis in Fußballdeutschland hat der halbherzige Schlingerkurs des DFB weiteres Vertrauen und Glaubwürdigkeit zerstört.
Nach dem misslungenen Auftritt in Katar wird es für den SPD-Politiker und DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf schwer werden, im Kreis der politisch Mächtigen des Weltfußballs für Ernst genommen zu werden. Statt weitere DFB-Kampagnen zu starten, wäre es deshalb klüger, sich einzureihen. Vielleicht entwickeln ja die kleinen Verbände Norwegens, Dänemarks oder Australiens eine Strategie zur Reform des Fußballs. Da sollte man sich dann einfach anhängen. Mehr geht jetzt nicht mehr. Dafür ist der Imageverlust, der in der Vorrunde dieser WM entstanden ist, viel zu groß.
Da der DFB erst auf der Zielgeraden zur Eröffnung des Turniers auf die Idee gekommen war, sich kritisch zu geben, war schlichtweg keine Zeit, sich in der gegebenen Eile etwas Besseres auszudenken. Die "One-Love"- und "Mund-zu"-Aktionen waren eilig zusammengestrickte und wenig durchdachte Kampagnen. Harmlose Drohgebärden eines Fußballverbandes, der zwar weltweit die meisten Mitglieder hat, aber nicht in der Lage ist, die an der Basis vorhandenen Wertvorstellungen bis in seine Spitze und Führung durchdringen zu lassen.
Dort handelt man zuallererst nach den im Fußball geläufigen Mechanismen der Macht. Gegenüber der Fifa wird gekuscht und bei der Lösung der verbandsinternen Probleme läuft alles über die Interessen der mächtigsten Männer der Bundesliga.
Dieser Eindruck wird durch den Auftritt des DFB-Präsidenten auf der Pressekonferenz am 13. Dezember 2022 in Frankfurt unterstrichen. In Hinblick auf die Einschätzung der Stimmung an der Basis des Deutschen Fußballs gibt sich Bernd Neuendorf regelrecht naiv, wenn er über die Begeisterung der Fans nachdenkt: