Fußball ist der wichtigste Anlass für Gespräche im Alltag und deshalb ein geniales Medien- und Unterhaltungsthema. Das liegt an seiner Schlichtheit, die in vielen Weisheiten großer Fußballer auf den Punkt gebracht wurde. Ich meine, die Stimmung vor dem letzten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft lässt sich mit einer vor 32 Jahren formulierten Botschaft des damaligen Teamchefs Franz Beckenbauer auf den Punkt bringen: "Geht's raus und spielt's Fußball".
Die Situation spitzt sich zu. Nach einer Niederlage und einem Unentschieden muss die deutsche Nationalmannschaft im Spiel gegen den Außenseiter Costa Rica Farbe bekennen und mit mindestens zwei Toren Vorsprung gewinnen, um im Turnier bleiben zu können.
Gleichzeitig ist man auf fremde Hilfe angewiesen. Sollte Spanien im Spiel gegen Japan verlieren, fliegen die Deutschen so oder so aus dem Turnier. Es sei denn, sie würden mit mindestens acht Toren Unterschied gewinnen. Es geht also um alles. Und in solchen Situationen konzentriert man sich auf das, was man kann und auf das, worauf es ankommt: Fußball spielen und das Spiel gewinnen. Punkt.
Die DFB-Bosse haben sich endlich unsichtbar gemacht und wenigstens für den Moment ihr Nörgeln gegen die Fifa aufgegeben. Keine Nebenschauplätze, keine halbherzig vorgetragene Sportpolitik, keine DFB-Kampagne, keine "One-Love"-Kapitänsbinde. Auch keine Klage gegen die Fifa vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS. Und sogar der regelkonforme Besuch der für alle WM-Teilnehmer verpflichtenden Pressekonferenz mit Trainer Hansi Flick und Spieler Lukas Klostermann wird seitens der DFB-Delegationsleitung brav und ohne Nörgeln zugesagt.
Der Fokus hat sich schlagartig verändert und Spieler werden nicht mehr nach ihrer Haltung zu Fragen der Weltpolitik und zu grundlegenden Menschenrechten befragt. Sie dürfen trainieren, entspannen, über die positive Grundstimmung nach dem Spiel gegen Spanien sprechen und sich auf ihre Aufgaben und ihren Dienst für die Mannschaft konzentrieren.
Der Spannungsbogen ist so sehr gespannt, dass selbst taktische Überlegungen am Tag und in den Stunden vor dem Spiel in einer Schlichtheit und Prägnanz vorgetragen werden, die wir lange nicht kannten. Im Grunde wird die Komplexität des Spiels, der Psychologie, Taktik und Fußballphilosophie auf die Frage reduziert, ob Niclas Füllkrug (Werder Bremen) von Beginn an als Mittelstürmer für die nötigen Tore sorgen wird. Oder aber als sicherer Joker von der Ersatzbank aus, für das gute Gefühl sorgen wird, das wir für den sicheren Einzug in das Achtelfinale brauchen.
Die Situation ist schwierig und beinahe aussichtslos. Und genau deshalb zeigt sich uns der Fußball gerade in einer Art und Weise, die einfacher nicht sein kann und genau deshalb Interesse weckt. Möglicherweise so sehr, dass viele enttäuschte Fans den Boykott wenigstens für das Deutschlandspiel am Donnerstag um 20 Uhr im Al-Bayt Stadion aufgeben – und stattdessen zuschauen, hoffen und am Ende jubeln werden.
Aus sportlicher Sicht gefällt mir die Zuversicht, mit der die Beteiligten ans Werk gehen. So etwas funktioniert tatsächlich nur im Sport. Nicht immer, aber diesmal – und das, obwohl die Ausgangslage so schwierig ist wie noch nie.
"Geht's raus und spielt's Fußball." Viele von uns halten die Daumen und alle hoffen, dass wir aus dieser umstrittenen WM lernen. Die aktuelle Spannung und Freude auf das Spiel ist ein wohltuender Akzent. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir nach dem Abpfiff wieder eingeholt werden von dem Spiel um Macht, Geld und Politik.