Vor der bitteren Niederlage im WM-Vorrundenspiel gegen Japan sind die Spieler der DFB-Elf zu einem vielsagenden Mannschaftsfoto zusammengekommen. Was als selbstbewusste Protestaktion angedacht war, entpuppt sich als Fortsetzung des viel kritisierten Kniefalls gegenüber dem autoritären Auftritt von Gianni Infantinos Fifa. Das Mannschaftsfoto posaunt es in die Welt hinaus: Unsere Spieler lassen sich den Mund verbieten!
Am Tag nach der Niederlage wissen wir, dass keiner unserer Nationalspieler bereit gewesen ist, die Regenbogenbinde oder wenigstens deren weichgespülte Variante in Form der "OneLove"-Kapitänsbinde anzulegen. Um der Welt zu zeigen, dass man bereit ist, für seine Haltung auch Konsequenzen in Kauf zu nehmen.
Stattdessen lassen sich die Profis mit einer Hand vor dem Mund ablichten und reihen ihre Aktion damit nahtlos in die brave Protestkampagne des DFB ein, die ich als ausgesprochen ängstlich und deshalb als ebenso wirkungslos wie überflüssig einordnet.
Ganz anders als die Protestbewegung, die gegenwärtig an der Basis des deutschen Fußballs stattfindet. Die Einschaltquote belegt inzwischen das, was wir aus unseren Studien zur Vorfreude auf die WM prognostiziert hatten: Das Interesse an dieser WM ist im Keller. Niemals zuvor verzichteten so viele Menschen auf TV-Übertragungen von einer Fußball-Weltmeisterschaft.
Der Protest an der Fanbasis zeigt – im Gegensatz zu dem gehorsamen Protestversuch der DFB-Spitze – Wirkung: Mit Rewe hat sich der erste DFB-Sponsor öffentlichkeitswirksam vom Fußball abgewandt und demonstrativ auf seine Werberechte während der WM verzichtet. Das eigens für die WM aufgelegte Sammelalbum wird verschenkt.
Ein kluger Marketingschachzug, zumal wir aus unseren Studien wissen, dass das negative Image der Katar-WM und der Fußballverbände nahtlos auf das Image der Fußballsponsoren abfärbt. Mehr als 70 Prozent der deutschen Fußballfans äußern in der repräsentativen Studie diese Auffassung. Wir dürfen also gespannt sein, wie sich die anderen Partner des DFB in den kommenden Tagen und Wochen verhalten werden. Der Boykott der WM-Spiele durch die Fans geht inzwischen ans Geld und zeigt deshalb Wirkung.
Anders als die Bosse im DFB nehmen die deutschen Fußballfans für ihre Haltung Konsequenzen in Kauf. Nach der verkorksten WM 2018 in Russland verzichten sie auf ihr geliebtes Hobby und schauen sich keine WM-Spiele an. Unsere Daten belegen eindrücklich, dass die Fans keine Maulhelden sind, denn sie lassen ihrer Ankündigung, die WM boykottieren zu wollen, Taten folgen: Der Fernseher bleibt ausgeschaltet, die Einschaltquoten bei ZDF und ARD liegen weit unter der Hälfte der Werte, die man noch bei der letzten WM erreicht hatte.
Nur neun Millionen Menschen sahen das erste Gruppenspiel am Mittwochabend in der ARD. Bei der WM 2018 in Russland lag keines der Gruppenspiele bei unter 25 Millionen Zuschauer.
Lieber DFB, schaut auf die Basis und lernt, wie man echten Protest macht! Wenn ihr kritisch mit Katar, der Fifa, der Missachtung der Menschenrechte, dem Korruptionsthema und all den anderen Verfehlungen im Umfeld dieser WM sein wollt, dann müssen den vollmundigen Ankündigungen auch Taten folgen. Ansonsten geratet ihr in den Verdacht Maulhelden zu sein und die genießen bei denjenigen, die den Fußball in seiner Faszination, Dramatik und Spannung lieben, keinerlei Achtung.
Nachdem ihr bereits den ersten Kniefall von unserer Nationalmannschaft abverlangt habt und die Regenbogenbinde gegen die "One Love"-Kampagne ausgetauscht habt, hättet ihr wenigstens das durchziehen müssen. Euch war doch klar, dass die Fifa ein Regelwerk hat, gegen das ihr mit eurem Protest verstoßen müsst. Alles andere ergibt keinen Sinn.
Ihr hättet mit dieser Binde auflaufen und eine Gelbe Karte riskieren müssen.
Falls ihr die Vorrunde überstehen solltet und das Viertelfinale erreicht, werden die Karten doch eh gelöscht. Genau das haben wir gestern im Spiel gegen Japan von euch erwartet. Dieses Jammern gegen die Fifa, die selbstverschuldete Opferrolle und hilflose Demut gegenüber den Mächtigen des Weltfußballs wirkt im Lichte eures artigen Protestversuchs einfach nur peinlich.
Euer Mannschaftsfoto sagt uns, dass ihr euch den Mund verbieten lasst. Dabei wäre das Gegenteil angesagt gewesen, um bei euren Fans zu punkten. Macht den Mund auf, seid unbequem, eckt an, zeigt Haltung und nehmt Konsequenzen in Kauf. Die eine oder andere Gelbe Karte hätte dem Spiel gestern gegen Japan in mehrerlei Hinsicht gutgetan. Stattdessen habt ihr den braven Protest erfunden. Wer soll darauf stolz sein?