Diese Nachricht vom Western-Filmset zu "Rust" schockierte die Welt: Der Schauspieler Alec Baldwin erschoss versehentlich die 42-jährige Kamerafrau Halyna Hutchins mit einer Requisitenwaffe und verletzte den Regisseur Joel Souza an dessen Schulter. Momentan wird in Santa Fe in New Mexico noch auf Hochtouren ermittelt, um herauszufinden, wie genau es zu dem tödlichen Unfall kam.
Im Fokus der Ermittlungen stehen in erster Linie die erst 24-jährige Waffenmeisterin Hannah Gutierrez Reed, die für den Umgang mit den Waffen am Set verantwortlich, aber noch sehr unerfahren war, und der Regieassistent Dave Halls, der Baldwin die Waffe fälschlicherweise mit den Worten übergeben haben soll, dass sie ungeladen sei. Halls gestand bereits einen tragischen Fehler ein, er habe die Munition und die Waffe nicht ausreichend überprüft.
Watson sprach über diesem Fall und über verschiedene Problemen sowie Sicherheitsmängel an US-Film-Sets mit dem Oberbeleuchter Robert Vuolo, der seit 30 Jahren an US-Filmproduktionen mitwirkt und bereits mit namhaften Regisseuren wie Steven Spielberg (beispielsweise "Bridge of Spies", "West Side Story") und Martin Scorsese ("The Wolfe of Wall Street", "The Irishman") zusammengearbeitet hat. Vuolo schildert unter anderem, was sich nach seiner Meinung spätestens nach dem Vorfall am "Rust"-Set allgemein in der Branche ändern muss.
Momentan arbeitet Vuolo unter anderem mit Will Smith an einem Film in New Orleans. Die Dreharbeiten seien nicht zuletzt wegen verschiedener widriger Wetterverhältnisse immer wieder verschoben worden. So starten sie nun erneut mit der Arbeit, nachdem der Dreh wegen des Hurricane Ida stoppte.
Er beschreibt es so: "Wir wurden durch Stürme aufgehalten, durch extreme Hitze und letztlich durch den Hurrikan. Es gibt so viele natürliche Hindernisse, die beim Drehen eines Films auftreten. Wir sind darauf trainiert, gegen diese Hindernisse zu arbeiten. Das heißt: viele Arbeitsstunden, schwierige Drehverhältnisse durch das Wetter. Wir kämpfen immer, damit ein Film gedreht werden kann."
Auch Situationen, die für die Crew teilweise sehr unsicher seien, würden immer versucht, überwunden zu werden, damit ein Film möglichst nach Drehplan fertiggestellt wird. Alle Verzögerungen kosten die Produktion stets Zeit und vor allem Geld. Hinzukomme ein enormer Druck, der sich durch Streaming-Plattformen auf die Filmindustrie aufgebaut habe. Mehr Filme müssen gedreht werden und das in möglichst kurzer Zeit. Damit geht noch ein weiteres Problem einher, wie Vuolo schildert.
Konkret zu dem Vorfall mit Alec Baldwin habe Vuolo viel gelesen und sich in Verbindung mit seiner eigenen Erfahrung eine Vorstellung davon gemacht, was bei der Arbeit an "Rust" vorgefallen sein könnte. Zunächst sei es eigentlich ein Unding, dass am Set im Nachhinein scharfe Munition sichergestellt wurde: "Eine der Sachen, die es einfach nicht gibt, ist scharfe Munition am Filmset. Das ist eine enorme Verletzung der Sicherheitsvorschriften", erklärt der Filmschaffende.
Wie in Deutschland auch, kommen laut Vuolo in erster Linie Platzpatronen an Sets zum Einsatz, aber auch von ihnen gehe eine gewisse Gefahr aus. Deswegen werde eine Waffe, egal, ob und mit welcher Art von Munition sie geladen ist, als potenziell gefährlich eingestuft. Es gelten besondere Regeln für die Handhabe und die Verantwortung für Waffen bei Filmproduktionen.
Eine weitere Situation ist für Vuolo absolut undenkbar – dass der Regieassistent und nicht etwa die Waffenmeisterin den Revolver an Baldwin übergab: "Als rauskam, dass der Regieassistent Alec Baldwin die Waffe gegeben hat, konnte ich die stummen Schreie von tausenden Filmschaffenden hören. Das ist etwas, das niemals passieren sollte", erklärt der Beleuchter. Und weiter:
Eine weitere Vermutung, die Vuolo zu dem Fall hat, ist, dass die Produktion von Anfang an zu wenig Budget zur Verfügung hatte, um einen Historienfilm, der vor mindestens 100 Jahren spielen soll, zu produzieren. Derart alte Requisiten würden von vornherein mehr Budget erfordern: "Das bedeutet, man spart an anderen Stellen, um diesen Film drehen zu können. Sie hatten wahrscheinlich nie genug Geld, um den Film zu produzieren. Das ist das, was ich schlussfolgern kann, beruhend auf dem, was ich gelesen habe."
"Rust" hätte außerdem in nur drei Wochen Drehzeit fertiggestellt werden sollen. Ebenfalls unvorstellbar für den US-Amerikaner, der noch nie an einem Film gearbeitet habe, der derart schnell produziert wurde. Im Schnitt würden für einen Kinofilm eher acht bis zehn Wochen veranschlagt werden.
Offenbar habe es also einen immensen Druck auf alle Beteiligten der Crew gegeben, den Film mit möglichst geringem Budget in möglichst kurzer Zeit im Kasten zu haben. Das gehe immer mit vielen Überstunden einher, was Folgen für die Filmschaffenden haben muss: "Und dadurch gehen solche Dinge wie die Sicherheitsregularien verloren. Wenn man sich dagegen wehrt und darauf aufmerksam macht, muss man sehr mutig sein. Man stellt sich unter anderem damit gegen den Produzenten, den Regieassistenten und den Regisseur."
Auf die Nachfrage nach der Verantwortung Baldwins, einem seit Jahrzehnten erfolgreichen Schauspieler, differenziert Vuolo. Er habe zwar an der Serie "30 Rock" mit ihm gearbeitet, kenne ihn aber aber nicht genug, um sich zu seiner Persönlichkeit und seinem Charakter zu äußern. Dennoch stellt er fest:
Nach der jahrzehntelangen Erfahrung, die der Lichttechniker an Sets hat, sagte er zusätzlich: "Wenn ich ein erfahrener Schauspieler wäre und jemand anders als der Waffenmeister würde mir eine Waffe geben und sagen, sie ist ungeladen, würde ich das so nicht akzeptieren."
Zudem tue ihm die zustände Waffenmeisterin leid. Sie sei jung und unerfahren – ihre Verpflichtung bedeutet womöglich auch, dass zu wenig Geld in den Waffenmeister investiert wurde. "Je weniger Geld man hat, desto mehr kann schiefgehen", resümiert er.
Nun hoffe er, dass die Polizisten ermitteln und der Fall vor Gericht so weit nachvollzogen werden kann, dass die für den Tod der Kamerafrau verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Inwieweit Baldwin schuldig sein könnte, dazu wollte sich der Techniker nicht abschließend äußern.
Insgesamt gehe an Filmsets aber nicht nur Gefahr von Waffen oder Witterungsverhältnissen aus. Alle möglichen Situationen können zu Verzögerungen und unsicheren Situationen führen. So schildert Vuolo beispielsweise ein Vorkommnis beim Dreh zu "Die Entführung der U-Bahn Pelham 123", an dem er mitgewirkt hat. Es habe einen Special-Effect-Ventilator gegeben, der den Windzug eines Zuges simulieren sollte:
Solche drastischen Schritte würden in manchen Staaten in den USA auch schneller durchgesetzt als beispielsweise in New Mexico. Das liege zum Teil daran, wie stark Crew-Mitglieder in Arbeitsrechtverbünden organisiert seien. In Low-Budget-Filmen sei der Gegenwind auf geäußerte Kritik natürlich größer als bei Blockbuster-Drehs.
Ändern sollte sich laut Vuolo aber vor allem eines: Das Budget müsse von Produktionen besser verteilt werden. So gebe es etwa das Vorgehen, dass die Crew besser bezahlt würde, wenn sie ihr Recht auf eine Mittagspause nicht wahrnehmen und stattdessen durcharbeiten würde. Davon hält er wenig:
Dafür müsste der Drehplan entzerrt werden, so das insgesamt mehr Zeit bliebe: "Der Fakt, dass wir zwölf oder mehr Stunden pro Tag arbeiten, ist für die meisten anderen Jobs undenkbar. Der Drehplan müsste verlängert werden, damit weniger pro Tag gearbeitet wird."
Dabei gehe es dann nicht nur darum, Mittag zu essen, sondern um Lebensqualität insgesamt: "Es geht darum, die Möglichkeit zu haben, kurz zu schlafen, spazieren zu gehen, oder einfach seine Familie anzurufen. All diese Dinge ohne den Druck, gleich wieder an die Arbeit gehen zu müssen."
Die Konzentration aller Beteiligten würde sich dadurch verbessern, und die Sicherheitsbestimmungen würden nicht so schnell unter den Tisch fallen, wenn man für alles mehr Zeit hätte. Denn die Vorschriften, die es im Umgang mit Waffen zu beachten gebe, seien im Grunde genommen sicher:
Abschließend bricht Vuolo im watson-Interview eine Lanze für die Filmindustrie. Man nehme als Filmschaffender viele Überstunden und schwierige Arbeitsbedingungen für den Job in Kauf: "Es ist ein besonderes Gefühl, am Set zu sein. Für uns ist jeder Tag anders, es ist kein Bürojob, bei dem man jeden Tag am gleichen Platz sitzt. Es gibt viel, was man daran lieben kann, Dinge, die zwischen Kamera und Schauspieler passieren – wenn man in der glücklichen Position ist, das mitzuerleben, ist es etwas ganz Besonderes."
Gerade, weil die Leidenschaft und Aufopferung für den Job so immens sind, müsste aber der Druck auf die Crews dringend vermindert werden.