Sat.1 plant einen drastischen Umbruch: Senderchef Daniel Rosemann verkündete kürzlich bei den Screenforce Days, dass Scripted Reality keine Zukunft mehr habe und sprach von einem "Paradigmen-Wechsel im Sat.1-Programm". Aktuell laufen auf Sat.1 zwischen 12.00 Uhr und 20.00 Uhr ausschließlich fiktionalisierte Doku-Soaps wie "Auf Streife", "Die Gemeinschaftspraxis", "Lenßen übernimmt" und "K11" – doch bald sollen diese Formate nicht mehr ausgestrahlt werden.
Gegenüber watson sagte Sat.1-Sprecher Christoph Körfer dazu: "Sat.1 verändert sich und den Dialog mit seinen Zuschauerinnen und Zuschauer. Dazu gehört mehr Live-Fernsehen am Nachmittag. Mit der neuen Nachmittagsshow 'Volles Haus!' wird Sat.1 ab kommenden Winter täglich von 16 bis 19 Uhr die Zuschauerinnen und Zuschauer direkt und live ansprechen. Dazu verabschieden wir uns nach und nach von unseren Scripted-Reality-Formaten und haben entsprechend aktuell keine neuen Folgen mehr beauftragt."
Watson hat mit Medienexperte Ferris Bühler über die Neuausrichtung von Sat.1 gesprochen und bat ihn um eine Einschätzung. Im Gespräch erklärte er, warum die Entscheidung von Sat.1 riskant ist. Darüber hinaus sind auch eine Programm-Ankündigung von RTL sowie die Wiedervereinigung mit Dieter Bohlen Indizien dafür, dass Sat.1 seine Entscheidung, Scripted-Reality-Formate aus dem Programm zu streichen, in naher Zukunft bereuen könnte.
Jahrelang gehörten Scripted-Reality-Formate zum Standard-Programm, wenn man am Nachmittag den Fernseher einschaltete und durch die Privatsender zappte. "Scripted-Reality wurde in den 2000er-Jahren zur Allzweckwaffe der deutschen Privatsender, weil man damit mit einer kostengünstigen Produktion das Programm leicht füllen konnte", schilderte Ferris Bühler den Erfolg dieses TV-Phänomens.
Doch die Zeit der Pseudo-Dokus scheint langsam vorbei zu sein. Vor drei Jahren beschloss bereits RTL, solche Formate aus dem Programm zu schmeißen. Seitdem setzt der Kölner Sender verstärkt auf Nachrichtensendungen. Nun geht auch Sat.1 diesen Schritt und streicht solche Formate aus seinem Programm – für Bühler keine Überraschung:
Hinzu käme, dass es mittlerweile Streaming-Portale wie Netflix gebe, die viel moderner seien und eine junge Fanbase hätten, die "gar nicht auf die Idee kommen würde, das Fernsehgerät im Wohnzimmer einzuschalten".
Obwohl in Bühlers Augen "die Scripted-Reality-Formate im deutschen Privatfernsehen endgültig ausgedient zu haben" scheinen, hält er den "Paradigmen-Wechsel" von Sat.1 für nicht ungefährlich, da "diese Formate bei Sat.1 heute immer noch ein Drittel des kompletten Programms" ausmachen würden und fester Bestandteil des Senderprofils seien. Und weiter führte er dazu aus:
Während RTL den Wegfall der Pseudo-Doku-Soaps durch Nachrichten-Sendungen ausgleicht, plant man bei Sat.1 zukünftig für den Nachmittag eine dreistündige Show, die den Namen "Volles Haus!" tragen soll. "Für die Sat.1-Nachmittagsshow wird quasi ein ganzes Haus gebaut: Ob Keller, Garage, Küche oder Wohnzimmer – jeder Raum steht für eigene Inhalte", verriet Sat.1-Chef Rosemann vorab. Und weiter: "In 'Volles Haus!' kann alles passieren. Drei Stunden senden wir live und greifen die Stimmung des Tages immer wieder auf." Man wolle informieren und unterhalten, über die Royal Family sprechen – und auch Tipps geben, wie man gerade am günstigsten einkauft.
Diesem neuen Format blickt Bühler skeptisch entgegen. Gegenüber watson erklärte er auch, warum. "Ob die neue Sat.1-Nachmittagsshow 'Volles Haus. Sat.1 Live' dem Sender zu einem besseren Image verhelfen wird, ist für mich fragwürdig. Die mehrstündige Kunterbunt-Sendung kann nämlich alles beinhalten, aber auch nichts und trägt kaum zur klaren Positionierung von Sat.1 gegenüber den Mitbewerbern bei", stellte er knallhart klar.
Ob Sat.1 mit dieser Strategie Erfolg haben wird, bleibt also abzuwarten. Bei RTL gingen die Quoten nach dem Strategiewechsel nicht nach oben, sondern eher nach unten, wie nicht nur Bühler bemerkte, sondern auch "dwdl.de" feststellen konnte. Und ausgerechnet, wenn sich Sat.1 von Scripted Reality verabschiedet, holt RTL ein beliebtes Format aus dieser Sparte zurück.
Richterin Barbara Salesch soll ins Fernsehen zurückkehren. Daneben soll auch Ulrich Wetzel, der durch "Das Strafgericht" bekannt wurde, sein eigenes Format bekommen. Dazu meinte Ferris Bühler:
Außerdem musste RTL erleben, wie schwer es ist, sich von einer "Marke" zu verabschieden, um sich ein neues Image zu verpassen. Vor einem Jahr trennte sich der Sender von Dieter Bohlen, um familienfreundlicher zu werden. Die Folge: Die Quoten von "DSDS" und "Das Supertalent" gingen in den Keller und nun soll Bohlen für die letzte Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" als Juror zurückkehren. Gut möglich also, dass Sat.1 mit seinem Nachmittagsprogramm ein ähnliches Schicksal blüht und Scripted-Reality-Formate bei dem Sender irgendwann ein Comeback erleben.