Das Kino war eigentlich schon allmählich bereit, es sich auf dem Sterbebett gemütlich zu machen, da erschienen drei Gestalten am Horizont, bereit, ihm noch einmal die Decke wegzuziehen: Greta Gerwig, Christopher Nolan – und Taylor Swift.
Mit "Barbie" und "Oppenheimer" schufen die Erstgenannten im Sommer Frankensteins Monster namens "Barbenheimer", das Zuschauer:innen in Scharen vor die totgeglaubten Großleinwände brachte.
Der Konzertfilm "Taylor Swift: The Eras Tour" ist seit dem 13. Oktober auch in den deutschen Kinos zu sehen und scheint mindestens daran anzuknüpfen.
Bereits der Vorverkauf hat in den USA über 100 Millionen Dollar generiert, letztlich wird der Film voraussichtlich unter den zehn erfolgreichsten des Jahres landen. Taylor Swift scheint somit erneut ihr gutes Gespür für wirtschaftliche Entscheidungen sowie die Wünsche ihrer Fans unter Beweis zu stellen.
Mit einer Laufzeit von 168 Minuten nähert sich der Film der Länge der Spätwerke des Regisseurs Martin Scorsese, zeigt aber gleichzeitig, was zu erwarten ist. Er ist nämlich fast so lang wie das Konzert selbst.
Der Film ist Ersatz für all jene, die nicht an Konzerttickets ihrer Tournee gekommen sind, und Methadon für die, denen der Konzertbesuch noch bevorsteht. Das gesamte Erlebnis für das Kinopublikum wird gleich mitgedacht.
Im Foyer drängt sich Fan an Fan, die Handgelenke voller Perlenarmbänder, die wiederum – wie bei Konzerten üblich – untereinander getauscht werden. Tickets kosten 19,89 Euro, als Hommage an das Album "1989". An den Kassen gibt es thematisch abgestimmte Popcorn- und Getränkebecher zu kaufen, vor einem riesigen Taylor-Swift-Plakat kann man für Fotos posieren.
Es ist die Simulation eines Konzerts. Das Versprechen, dem großen Idol doch noch ganz nah zu kommen. Das funktioniert auch andersherum.
Eine "Soulmate-Crowd-Situation" attestiert Taylor Swift der Beziehung mit dem Publikum im SoFi Stadium in Los Angeles, was natürlich frenetisch bejubelt wird. Manchmal, so sagt sie, gebe es so etwas. Und an diesem Abend seien sie auf dem besten Weg. Besser lässt sich die parasoziale Beziehung zwischen Swift und den "Swifties" kaum beschreiben.
Der "New Yorker" bezeichnete das treffend als eine "You Guys"-Energie – der intime und gesprächige Ton, mit dem Swift weniger zu als mit ihren Fans spricht. Genau diese kleinen Momente sorgen für eine unvergleichliche Bindung. "Seid ihr bereit, mit mir zurück zur Highschool zu gehen?", fragt sie an anderer Stelle. Und das gesamte Publikum fühlt sich wie von der besten Freundin direkt angesprochen.
Tour und entsprechend auch Film führen nach Alben gegliedert durch all die verschiedenen Phasen ("Eras") von Swifts Karriere. Die Setlist ist bereits im Vorfeld bekannt, eine Choreografie zeigt sich also nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum, das genau weiß, welche Wörter zu betonen und welche Stellen besonders laut mitzusingen sind.
Eines ihrer Pandemie-Alben "Evermore" kommt in mystischer, elfenhaften Stimmung daher, ein Stück spielt Swift an einem moosüberwucherten Flügel. Während "Fearless" tanzt sie im fliederfarbenen Ballkleid über die Bühne. "Reputation" schafft ein düsteres Bühnen-Setting, eine riesige Schlange untermalt den brachialen Stimmungswandel. Teilweise werden theaterhafte Inszenierungen aufgeführt, teilweise die dazugehörigen Musikvideos bildlich nachgespielt.
Jedes Album hat eine eigene Ästhetik, ein eigenes Bühnenbild, eigene Kleidung. Bei ihren Fans bedankt sich Swift für die "enorme Großzügigkeit", ihr über alle Phasen die Treue gehalten zu haben. 40 Songs werden insgesamt dargeboten, nur vier weniger als bei dem Konzert. Die Auswahl der herausgeschnittenen Songs sorgte mitunter aber auch für Unmut.
Gerade das Fehlen von "The Archer", "Long Live" und "Cardigan" wurde von einigen Fans auf Social Media bemängelt.
Regisseur Sam Wrench, der unter anderem bereits bei den Konzertfilmen von Billie Eilish und Lizzo Regie geführt hat, beschränkt sich in seiner Arbeit darauf, die Zuschauer:innen zur Sängerin auf die Bühne zu heben. Mit einer dynamischen Kameraführung versucht er, Swifts Präsenz als Ganzes einzufangen, wobei der Schnitt an Teilen etwas hektisch wirkt.
Gerade in den ruhigeren Phasen von Swifts Schaffen zeigt sich auch die Grenze zwischen einem wahrhaftigen Konzert und einem Kinofilm. Die Elektrizität lässt sich über die gesamte Länge nur schwer auf die Leinwand übertragen, sodass die aneinandergereihten melancholischen Lieder etwas träge wirken.
Dem Konzertpublikum hingegen merkt man keinen einzigen Durchhänger an, es herrschen wechselseitig tiefe Melancholie und pulsierende Ekstase. Den Song "Champagne Problems" einmal vor einem Live-Publikum spielen zu dürfen, bezeichnet Taylor Swift als "kathartische Erfahrung", die Zeit ihrer Tournee sei "die beste meines Lebens".
Den Applaus winkt Taylor Swift mit einem Gestus der Bescheidenheit ab. Der eigentliche Star, so will es Swift vermitteln, sei schließlich das Publikum.
Ersetzen kann der Film das wahrhaftige Konzerterlebnis nicht. Aber näher werden viele auch nicht herankommen. Nachdem die Credits durchgelaufen sind, seufzt eine Zuschauerin: "Ich werde mich davon nie erholen."