Sat.1 kommt aus den Negativschlagzeilen einfach nicht heraus. Mit "Plötzlich arm, plötzlich reich" streicht der Sender zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ein Format nach massiver Kritik aus der Öffentlichkeit aus seinem Programm.
Erst im April erntete der Sender nach der Ausstrahlung der ersten Folge von "Promis unter Palmen" einen massiven Shitstorm. Völlig ungefiltert hatte Sat.1 homophobe Aussagen von Trash-Show-Kandidat Prinz Marcus von Anhalt ausgestrahlt. Es folgte zwar prompt eine Entschuldigung in den sozialen Medien, doch die Empörung war da bereits groß.
Die Angelegenheit zeigte bereits deutlich: Krisenmanagement ist nicht die Stärke von Sat.1. Der Sender prescht gerne auf Twitter oder Instagram mit Statements vor, doch diese wirken nicht immer gut durchdacht. So ruderte der Sender im April beim Thema "Promis unter Palmen" wieder zurück und unterzog der Sendung einer erneuten Kontrolle, ehe die Staffel nach dem überraschenden Tod von Willi Herren dann sogar komplett eingestellt wurde.
Auch dieser Schritt sorgte jedoch für Kritik, denn er hätte früher erfolgen müssen. PR- und Medienexperte Ferris Bühler kritisierte in diesem Zusammenhang gegenüber watson:
Nun hat der Sender mit dem nächsten Debakel zu kämpfen, das gleichsam nicht zur Aufbesserung des ohnehin angekratzten Images führen wird. Die Vorwürfe von Ikke Hüftgold, die er vor einer Woche publik machte, wiegen schwer. Es geht um "Missachtung des Kindeswohls". Sowohl Sat.1 als auch die Produktionsfirma Imago TV soll von schwerwiegenden Problemen innerhalb einer Familie, die für die Sendung "Plötzlich arm, plötzlich reich" gecastet wurde, gewusst und ignoriert haben.
Ikke Hüftgold alias Matthias Distel, der an dem TV-Experiment teilnahm, wurde beim Dreh letztendlich stutzig und stellte der Produktion daraufhin viele Fragen – bis irgendwann herauskam, dass sich sowohl die Mutter als auch ein Teil der Kinder der Tauschfamilie in psychologischer Behandlung befinden. Er brach den Dreh ab, informierte den Sender über die Geschehnisse und machte die Missstände letztendlich öffentlich.
Dafür erhielt der Ballermann-Star und ehemalige "Promi Big Brother"-Teilnehmer großen Zuspruch. Doch die Reaktion von Sat.1 ließ erneut zu wünschen übrig. Der Sender erklärte zunächst öffentlich:
Wenig später versuchte der Sender allerdings, Distel unterschwellig sogar selbst die Täterrolle zuzuschieben. "Wir bedauern zudem, dass Ikke Hüftgold mit seinen Äußerungen die Familie ungefragt in die Öffentlichkeit gebracht hat. Wir hatten uns mit ihm um den gemeinsamen Drehabbruch herum gemeinsam darauf verständigt, insbesondere die Kinder zu schützen. Dazu gehört auch, Privates privat zu lassen", verkündete Sat.1 wenige Tage später in einem weiteren Statement auf Instagram.
Die Empörung war nicht nur bei Distel groß, auch viele Follower im Netz kritisierten diese Äußerungen. "Wird hier wirklich versucht, Ikke in die Täter Rolle zu bringen? Das klingt nicht sehr reflektiert und war kein kluger Schachzug", beschwerte sich ein Kommentator, andere bezeichneten es als "Frechheit" oder als "zum Kotzen".
Kurz darauf folgte der nächste Tiefpunkt: Matthias Distel erstattete Strafanzeige gegen den Sat.1 und Imago TV. Daraufhin erhielt der Musiker eine Unterlassungserklärung der Produktionsfirma. Diese forderte ihn auf, Teile seines Videos-Statements und bestimmte Aussagen offline zu nehmen.
Wenige Tage später folgte dann das überraschende Einlenken von Sat.1. Der Sender entschuldigte sich und verkündete, das Format komplett abzusetzen.
Ähnlich wie bei "Promis unter Palmen" kommt dieser Schritt wieder spät – für Matthias Distel sogar zu spät: "Ich danke Sat.1 fürs Absetzen der Sendung. Das ist mir persönlich nicht genug. Das war ein Stück weit auch halbherzig und auch nicht schnell genug in meinen Augen."
Er fordert von Sat.1 weitere Zeichen und nimmt bei dieser Aufforderung auch andere Sender in die Pflicht. Immerhin geht das Wohl der Kinder alle etwas an. Und Sat.1 ist bei weitem nicht der einzige Sender, der fragwürdige Sendungen im Programm hat. Er hofft, dass gerade bei dem sensiblen Thema Kindeswohl künftig eine senderübergreifende Zusammenarbeit stattfindet. "Dann wird euch das ein oder andere Format, das vielleicht grenzwertig ist, auch eher verziehen", meint er.
Doch wie zeitgemäß und vor allem zukunftsträchtig sind Trash-TV-Formate überhaupt noch, wenn mittlerweile nicht nur aufmerksame Zuschauer Inhalte anprangern, sondern auch diejenigen, die eigentlich von diesen Formaten profitieren wie nun der Ballermann-Star? Denn angesichts Matthias Distels Courage und dem vielen Zuspruch wäre es durchaus zu erwarten, dass künftig auch andere Promis Missstände bei Drehs offen kommunizieren.
Gut möglich, dass die Sender, die sich mit ihren Trash-TV-Sendungen wie "Promis unter Palmen" oder auch "Sommerhaus der Stars" gern auf dem schmalen Grat zwischen moralisch vertretbar und menschenverachtend bewegen, doch zum Handeln gezwungen werden. Denn wer will zum einen schon riskieren, dass die Promis den Sendungen reihenweise absagen oder zum anderen im Nachgang Produktionsinterna öffentlich machen.
Auch RTL stand im vergangenen Jahr wegen der Staffel "Sommerhaus" und Mobbing-Vorwürfen massiv unter Druck. Der Sender scheint Gerüchten zufolge aus den Fehlern gelernt zu haben und soll künftig planen, Kandidaten, die andere mobben, gnadenlos rauszuschmeißen.
Dass diese Skandale das Ende für die Trash-TV-Shows bedeuten könnte, glaubt Medienexperte Ferris Bühler allerdings nicht. Grenzüberschreitungen und enthemmte Protagonisten in Reality-TV-Formaten gehören laut Bühler eben zum Konzept. "Gerade deshalb haben solche Formate auch ihr treues Stammpublikum. Wer die Sendung einschaltet, weiß, auf was er sich einlässt", meinte er.
Für Medienethiker Christian Schicha haben derlei Formate im TV hingegen keinen Platz mehr. "Formate wie 'Promis unter Palmen' tragen sicher nicht dazu bei, dass die Reputation von Sat.1 steigt. Andererseits erzeugen derartige Provokationen öffentliches Interesse und ggf. höhere Einschaltquoten, was einem Privatsender in einer kommerziell geprägten Medienlandschaft natürlich entgegenkommt", teilte er im April gegenüber watson mit. Er gab auch zu bedenken, dass sich Werbekunden bei wiederholten Grenzüberschreitungen zurückziehen könnten – und das ist wohl das, was die Sender letztendlich am meisten treffen würde.
Schlussendlich lässt sich sagen, dass Sat.1 mit dem Absetzen von "Plötzlich arm, plötzlich reich" sicherlich ein finanzielles Minusgeschäft eingefahren hat. Doch wenn man an den Imageschaden denkt, den eine weitere Ausstrahlung möglicherweise nach sich gezogen hätte, dürfte der Sender damit noch vergleichsweise gut wegkommen.