Kristen Stewart spielt im Film "Spencer" Prinzessin Diana.imago images/ZUMA Press
Analyse
13.01.2022, 11:3813.01.2022, 12:16
In dem neuen Film "Spencer" von Pablo Larraín, der ab dem 13. Januar in den deutschen Kinos läuft, schlüpft "Twilight"-Star Kristen Stewart in die Rolle von Prinzessin Diana, die am 31. August 1997 bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam. "Spencer" ist jedoch kein klassisches Biopic, denn der Film behandelt nicht das ganze Leben von Lady Di, sondern konzentriert sich auf drei Tage im Jahr 1991. Im Mittelpunkt stehen die Weihnachtsfeiertage, die Diana zusammen mit der britischen Königsfamilie im Sandringham House in Norfolk verbrachte. Nach diesem Familienfest fasst Diana in dem Film den Entschluss, ihre Ehe mit Prinz Charles zu beenden.
Bereits zu Beginn des Films macht Regisseur Pablo Larraín mit einer kurzen Einblendung deutlich, dass es sich bei "Spencer" um keine Dokumentation oder eine korrekte Nacherzählung der Ereignisse handelt, sondern um eine "Fabel, die auf einer wahren Tragödie basiert". Beim Schauen des Films muss man also vorsichtig sein. Wie viel Wahrheitsgehalt steckt drin? Adels-Experte Jürgen Worlitz hat mit watson über die wichtigsten Szenen des Films gesprochen. Der Journalist und Autor, der unter anderem die Prinzessin-Diana-Biographie "Diana: Ihr Leben" geschrieben hat, klärt auf: Was ist Fiktion und was ist Realität?
Achtung, es folgen Spoiler zu "Spencer"!
Darum werden die britischen Royals an Weihnachten gewogen
Fakt ist, dass Queen Elizabeth II. mit ihrer Familie jedes Jahr Weihnachten im Sandringham House feiert. Zu dieser Tradition sagt Jürgen Worlitz: "Wenn eine Königsfamilie mehrere Schlösser ihr Eigen nennen darf, dann muss man sich fragen: Wozu braucht man mehrere Schlösser? Man muss sich dann einen Jahresplan machen. Dazu gehört, dass man Buckingham Palace, Windsor, Sandringham und Balmoral aufteilt. Und dazu gehört, dass man in Sandringham immer Weihnachten feiert. Da ist die Kirche, man kennt dort den Geistlichen und das macht man einfach so und man sagt nicht plötzlich, heute feiern wir woanders."
Das sei seiner Meinung nach auch das, was die Monarchie ausmacht: dass man sich auf sie verlassen könne, fügt er hinzu und ergänzt: "Wenn die Queen Weihnachten nicht nach Sandringham geht, dann macht das doppelt Sorgen."
Auch die Traditionen, die die britische Königsfamilie an Weihnachten pflegt und die in dem Film gezeigt werden, sind belegt: So besteht zum Beispiel ein Ritual darin, dass sich die königlichen Familienmitglieder vor dem Weihnachtessen wiegen lassen müssen und nach dem Dinner werden sie erneut gebeten, sich auf die Waage zu stellen.
Diese Tradition soll auf König Edward VII. zurückgehen, der damit sicherstellen wollte, dass sich alle Gäste gut amüsiert und genug gegessen haben. Was man für eine skurrile Albernheit halten kann, ist für Diana im Film die reine Folter. Es ist bekannt, dass die Prinzessin an einer Essstörung litt und ein problematisches Verhältnis zu ihrem Körper hatte. In "Spencer" weigert sie sich, sich auf eine Waage zu stellen und weist den neuen Sicherheitschef darauf hin, dass sie in der Vergangenheit von diesem Ritual ausgeschlossen wurde. Worlitz sagt dazu:
"In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was ist Tradition und was muss gemacht oder was kann gemacht werden? Und da beginnt es wieder, dass wir nicht wissen, ob jeder gewogen werden musste oder ob es ein Spaß war."
Er tippe darauf, dass es ein Spaß gewesen war, "und wenn jemand nicht gewogen werden wollte, dann musste derjenige das auch bestimmt nicht tun."
Anders als die durchschnittliche britische Familie öffnen die Royals nicht am 25. Dezember ihre Geschenke, sondern bereits an Heiligabend. Den Grund dafür erklärt Worlitz gegenüber watson: "Die königliche Familie in England hat sich an die deutsche Tradition gehalten. Man sagt auch, dass der Christbaum dort anders geschmückt wird als bei anderen britischen Familien, eben nach deutscher Tradition. Es gibt auch Puten nach deutscher Tradition und es wird Stollen gebacken. Man hat sich an die deutsche Tradition gehalten, weil es in der Familie Tradition war. Wir wissen, dass die britische Kaiserin Victoria einen deutsche Ehemann hatte und er hat diese Tradition mitgebracht und daran hat man Gefallen gefunden."
So stand es um die Ehe von Prinzessin Diana und Prinz Charles
Das sind jedoch alles Äußerlichkeiten, die sich leicht nachvollziehen lassen. Schwieriger wird es bei den zwischenmenschlichen Beziehungen. "Spencer" beginnt damit, dass Diana und Charles, gespielt von Jack Farthing, bereits getrennt zum Sandringham House anreisen. Fest steht, dass ihre Ehe schon Ende der 80er-Jahre zerbrach. "Obwohl es natürlich so ist, dass die Ehe von Anfang an unter keinem guten Stern stand", so Worlitz, "weil Diana sehr früh erkannt hat, dass eine Nebenfrau existiert und dass Charles von einer gewissen Camilla Parker-Bowles nicht loskommt. Beide haben versucht, das Beste daraus zu machen, auch unter der Perspektive, dass sich vielleicht doch noch etwas ändern könnte. Es hätte ja auch sein können, dass Charles von Camilla die Nase voll hat."
Er sei der Meinung, dass Diana aus diesem Grund immer von einem gewissen Misstrauen umtrieben wurde und sich dadurch auch immer minderwertig gefühlt hat. "Und wir wissen, solche Feste, wo Glückseligkeit auf dem Rezept steht, die sind immer konfliktbeladen."
Charles (Jack Farthing) und Diana (Kristen Stewart) haben sich nicht mehr viel zu sagen.Pablo Larraín, DCM
In dem Drama kommen auch Prinzessin Dianas Söhne William und Harry vor, die von Jack Nielen und Freddie Spry gespielt werden. Harry wird als unbedarfter Junge dargestellt, William hingegen scheint von den Problemen seiner Eltern bereits etwas mitzubekommen. Im Film fragt er seine Mutter des Öfteren, ob alles in Ordnung sei. Ein solches Szenario kann sich Worlitz gut vorstellen: "Dass die Kinder nun irgendetwas mitkriegen – Kinder sind sehr sensibel was Zwischentöne angeht – davon gehe ich fest aus. Und dass Kinder irgendwie Partei ergreifen, davon darf man ausgehen. Wie die Sympathien verteilt waren, ist im Nachhinein schwer zu sagen." In diesem Zusammenhang kann er sich eine Spitze in Richtung William und Harry nicht verkneifen:
"Ich halte viele Sachen für Publicity. 'Mami, Mami, Mami' ist irgendwie populärer aus Williams, Harrys und Kates Mund als 'Papa, Papa, Papa'. Also ich halte es auch für Show. Und dann kommt hinzu, die Erinnerung vergoldet. Das sind ja keine normalen Familien gewesen."
"Ich glaube, sie hatte Angst"
In der Rezension zu "Spencer" auf "filmstarts.de" wird geschrieben, dass sich der Streifen "oft wie ein Horrorfilm anfühlt." Und diese Einschätzung stimmt: Diana wirkt, als wäre sie auf dem Landsitz gefangen. Die Gesichter der königlichen Familienmitglieder wirken wie Fratzen. Außerdem spricht Diana immer wieder von einer "Verschwörung" gegen sich und von ihrer Furcht, umgebracht zu werden. Das Gefühl, das der Film übermittelt, hält Worlitz für realistisch:
"Es ist natürlich reine Spekulation, ich glaube, dass Diana schon eine gewisse Angst hatte, in die sie sich reingesteigert hat, indem sie sich eben sagte: Ich bin ein Außenseiter, ich bin ein Rebell. Zu Beginn hatte sie wenigstens noch Fergie als Verbündete. Und was will man mit Rebellen machen? Man möchte sie bekämpfen."
Trotzdem räumt der 72-Jährige ein, er glaube nicht, dass Diana von allen Königsmitgliedern schlecht behandelt worden sei. Vielmehr konnte sie womöglich mit den Eigenarten einiger Familienmitglieder nicht umgehen: Prinz Andrew, der den Spitznamen "Randy Andy" trägt, habe über viele Dinge gelacht, die Diana furchtbar gefunden habe und die Queen sei eine Person, die ihre eigenen Regeln habe und diese befolge und dementsprechend reagiere. Sie strahle dadurch auch eine gewisse Kälte aus.
Weiter sagt er: "Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Queen Mum anfangs durchaus ein gutes Verhältnis zu Diana hatte. Und Fergie war da und versemmelte parallel ihre Ehe, auch die Ehe von Anne ging in die Brüche und jeder kämpfte für sich, für seine Reputation."
Hatte Diana Angst vor der britischen Königsfamilie?Pablo Larraín,DCM
Außerdem müsse man bedenken, dass Diana ihre Launen hatte und es ihr gelang, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen: "Es gibt genug Belege, die zeigen, wie sie das für sich genutzt hat und es ihr gelang, andere Menschen in einem schlechten Licht dastehen zu lassen."
War eine Angestellte in Diana verliebt?
Eine Frage, die "Spencer" bei vielen Zuschauern sicher aufwirft, ist, wie das Verhältnis zwischen Diana und den Angestellten des Königshauses wirklich war. Im Film versteht sich Diana sehr gut mit dem Küchenchef Darren (Sean Harris), mit dem sie sogar ein sehr intimes Gespräch über ihre Gefühle führt. Ihre engste Vertraute ist ihre Ankleidefrau Maggie (Sally Hawkins). Der Küchenchef basiert tatsächlich auf einer realen Person, die auch im echten Leben Darren hieß. Der Koch war zwischen 1982 und 1993 für die Küche im Buckingham Palace verantwortlich. Zwischen 1993 und 1997 arbeitete er im Kensington Palace für Diana. Im Interview mit "Insider" erzählte er vor Kurzem:
"Sie kam vorbei und sprach darüber, was die Royals gesagt haben. Sie kam, um über ihre Söhne zu sprechen, sie sprach darüber, was in ihrem Leben vor sich ging. Sie redete über das, was im Fernsehen war."
Worlitz erklärt, warum Diana einen freundschaftlichen Umgang mit ihren Angestellten pflegte:
"Natürlich ist es immer so, dass die Königsfamilie als Institution dargestellt wird und dementsprechend gewohnt war, sich abzuschotten. Sie waren gewohnt, Gefühle zu unterdrücken und derjenige, der sich angegriffen fühlt, neigt dazu, sich Verbündete zu holen. Das ist dann eben das Personal und da rennt man natürlich offene Türen ein."
Diana habe immer ein gutes Verhältnis zu ihren Untergebenen gehabt. Das zeige ihre gute Beziehung zu ihren Butler Paul Burrell und ihrem Reitlehrer James Hewitt. Mit ihm hatte Diana sogar eine Affäre. Auch eine Liaison mit ihrem Leibwächter Barry Mannakee wird der Prinzessin von Wales nachgesagt.
Maggie (Sally Hawkins) ist in Diana verliebt.pablo Larraín,DCM
Dianas Ankleidefrau im Film basiert auf keiner realen Person – sie spielt in einer überraschenden Szene aber eine große Rolle: Während eines Ausflugs am Strand offenbart Maggie Diana, dass sie in sie verliebt sei. Über diese Szene urteilt Worlitz im Gespräch mit watson: "Damals wäre eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu einer Frau in dieser Stellung und dann noch dazu zu einer Untergebenen natürlich ein Wahnsinns-Skandal gewesen. Dazu muss ich aber sagen, so etwas wäre damals nie durchgesickert."
Im Film "Spencer" spricht Diana über Masturbation
Eine weitere unerwartete Szene spielt sich in Dianas Zimmer ab. Auf die Frage, warum sie alleine sein wolle, antwortet sie erbost:
Passt ein solcher Ausspruch zu dem, was man über Diana weiß? Jürgen Worlitz ist da zwiegespalten. "Sie war zu Beginn ihrer Ehe unbedarft. Diana ist jungfräulich in die Ehe gegangen und hat sich von einem Mann in die Liebe einführen lassen, der sehr erfahren war und ihr sehr schnell gezeigt hat, was sich ein Mann im Bett vorstellt", führt er auf der einen Seite aus und ergänzt: "Wenn eine Frau diese erste Hürde genommen hat, dann kann es sehr gut ein, dass sie ihre eigenen Fähigkeiten entdeckt und bemerkt, was sie antörnt."
Adels-Experte Jürgen Worlitz mit James Hewitt.Worlitz-Archiv
Andererseits sagt er: "Ich kannte ihren Lover James Hewitt sehr gut und ich habe auch ihren Butler getroffen, und er hat nie irgendwas darüber gesagt, dass Diana vulgär gewesen wäre oder gerne schmutzige Witze erzählt hätte. Wenn so etwas mal aufkam, dann gab es von ihrer Seite nur mädchenhaftes Gekicher." Es sei im Nachhinein aber natürlich schwer zu beurteilen.
"Diana hatte kein Privatleben mehr"
"Spencer" endet mit einer fast märchenhaften Szene. Diana flieht mit ihren Söhnen von dem königlichen Landsitz, im Auto spielt das Lied "All I Need Is a Miracle" und schließlich essen die drei in London an der Themse Hühnchen von Kentucky Fried Chicken. Eine solche Rückkehr in die Normalität gab es im wahren Leben für Diana leider nicht, wie Worlitz im Interview deutlich macht: "Der Gedanke, sie lassen sich scheiden und Diana geht wieder ins Büro, war völlig abwegig. Diana hatte kein Privatleben mehr."
Diana (Kristen Stewart) will mit ihren Söhnen William (Jack Nielen) und Harry (Freddie Spry) fliehen.Divulgação
Diana war also auch nach ihrer Trennung von Charles nicht völlig frei, doch sie machte das Beste aus der Situation. Sie plante viele Wohltätigkeitsveranstaltungen, verkaufte ihre Kleider für den guten Zweck und ließ sich in Amerika feiern, erinnert sich Worlitz zurück. Und das Wichtigste war wohl, dass ihr nicht die Kinder weggenommen wurden, wie der Adels-Experte weiter berichtet:
"In beidseitigem Einvernehmen wurde gesagt, dass die Kinder dort sein dürfen, wo sie wollen. Sonst wäre es sicher nicht möglich gewesen, dass sie zusammen mit Dodi auf der Jacht herumgefahren wären. Ich habe da schon eine große Toleranz erlebt. Diana ist mit den Kindern viel auf Reisen gegangen, sie haben viel zusammen unternommen. Ob das dem Vater und der Queen gepasst hat, weiß man nicht, aber es wurde mit einem Schulterzucken akzeptiert."
Was macht den Mythos um Prinzessin Diana aus?
Abschließend sagt Worlitz im Interview über das Phänomen "Diana":
"Sie war eine Ikone – und zwar in jeder Hinsicht. Einmal fangen wir ganz banal mit dem Äußeren an. Sie war eine hübsche, junge Frau, die sich gewandelt hat von einem unbedarften, naiven Mädchen zu einer Figur, die ein schreckliches Ende genommen hat. Und sie war einfach perfekt in ihrem Auftreten, perfekt in ihrer Kleidung, auch perfekt, ein Leben vorzuspielen, das die Menschen fasziniert hat. Sie war eine Art Heilige, für die Leute war sie eine perfekte Figur."
Sie habe lange ein glückliches Eheleben vorgelebt, sie habe sich als liebevolle Mutter gegeben und dass das alles bald ins Bröckeln geriet, das habe die Öffentlichkeit lange nicht geahnt, führt Worlitz aus.
Kristen Stewart glänzt in der Rolle von Prinzessin Diana.Komplizenfilm, dcm
Diesen Zwiespalt verkörpert Kristen Stewart perfekt. Filmkritiker Björn Becher stellt bei "filmstarts.de" fest: "Nicht nur der hervorragenden Arbeit von Kostüm und Make-up, sondern vor allem auch ihrer herausragenden Performance ist es zu verdanken, dass Stewart alle vorgebrachten Bedenken gegen ihre Besetzung fast augenblicklich beiseite wischt. Die Amerikanerin ist kein Abbild der realen Diana, sie ist aber eine absolut fantastische Märchen-Wiedergängerin."
Stewart ist als Diana ein absoluter Kritiker-Liebling und wurde bereits für viele Preise wie unter anderem den Golden Globe nominiert. Eine weitere Nominierung für einen Oscar hat sie laut vielen Experten auch bereits so gut wie in der Tasche.