Seit drei Jahren gewährt RTL2 in der Sozialdoku "Armes Deutschland - Stempeln oder abrackern?" intensive Einblicke in das Leben von Hartz-IV-Empfängern und zeigt auf, vor welchen Abgründen sich die Protagonisten teilweise befinden.
Fakt ist: Noch immer leben rund sechs Millionen Menschen in Deutschland von Hartz IV. Wohl einer der Gründe, warum die Doku für den Sender nicht nur ein Quotenhit ist, sondern seit Jahren hohe Wellen schlägt. Erstmals ließen die Sendungsmacher in der Spezialfolge "Armes Deutschland - Dürfen die das?" nun Experten zu Wort kommen, die das Verhalten der Protagonisten aus juristischen, pädagogischen und psychologischen Perspektiven beurteilten. Und dabei fielen die Antwort auf die Fragen von Recht und Gerechtigkeit äußerst unterschiedlich aus.
Die 6 "Armes Deutschland"-Experten:
Die Experten glichen die gezeigten Fälle mit ihren eigenen Erfahrungen ab und versuchten, Erklärungen zu finden. Watson zeigt die sechs brennendsten Fragen und Antworten der Armutsdoku.
Wie passend muss ein Jobangebot sein? Und warum bekommen Hartz-IV-Empfänger ohne Sprachkenntnisse Jobangebote, für die zwingend Polnisch und Russisch gesprochen werden muss? Oder warum soll Kerstin, gelernte Einzelhandelskauffrau, trotz bekanntem Bandscheibenvorfall im Lager arbeiten, in dem sie teils 40 Kilo heben müsste? Einer der Gründe: falsche Vermerke im System. Oder: "Es gibt interne Regelungen, dass man die Leute zumindest alle sechs Monate einladen muss", so Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann.
Doch die Zeit haben die Sachbearbeiter oft gar nicht. Anstatt rund 125 Kunden müssten die Kollegen teils 300 oder sogar 400 betreuen. Die Konsequenz: "Also schicke ich einfach irgendwelche Einladungen zu Vorstellungsgesprächen raus." Weder für Bewerber noch Jobcenter eine befriedigende Regelung.
Definitiv nicht, sagt Anwalt Max Postulka. Jobcenter-Termine müssen wahrgenommen werden. Einfaches Nichterscheinen oder Absagen ohne triftigen Grund hat Sanktion wie radikale Kürzungen des Unterhalts zur Folge. Bei einer Beerdigung könnte das Jobcenter eine Sterbeurkunde verlangen – was aber nicht zwingend eingehalten wird. Dem Protagonist in der RTL2-Doku war es so gelungen, seinen Termin nicht wahrnehmen zu müssen. Er wollte sich lieber mit seinen Kumpels treffen und gab beim Jobcenter an, ein entfernter Verwandter sei plötzlich verstorben.
Bei unter 25-Jährigen reicht übrigens schon ein zweiter Fehltritt für eine Kürzung der Leistungen. Da jede Sanktion auch zusätzlichen Bürokratieaufwand bedeutet, hoffen die Ämter, dass sich bei einer Kürzung die Kunden schnell wieder melden und vorstellig werden. „Wenn sie pleite sind, kommen sie eher“, weiß Hannemann.
Seit vier Jahren begleitet das RTL2-Team Dennis und Isabella aus Köln, die wohnungslos sind und schon in mehreren Obdachlosenunterkünften lebten. Sie wohnen aktuell auf Staatskosten in einem Hotel. Die Nacht kostet pro Person 35 Euro. Über 50.000 Euro hat das Amt in den letzten Jahren für die Unterkunft des Pärchens gezahlt.
"Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung. Wenn der Stadt keine anderen Wohnungen zur Verfügung stehen, müssen eben welche teils für sehr viel Geld angemietet werden", erklärt Jurist André Galla. Das eigentliche Problem sei der zu wenig zur Verfügung stehende bezahlbarere Wohnraum, meint Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin Hannemann. Als Hartz-IV-Empfänger in Großstädten auf dem freien Markt eine Wohnung zu finden, sei quasi unmöglich.
Markus aus Köln hat sich für 300 Euro im Monat einen Mitbewohner geholt, die ursprüngliche Miete wird aber regulär vom Amt bezahlt. Juristische Grauzone oder okay? Theoretisch dürfte er untervermieten, wenn er es dem Jobcenter melden würde. Doch Markus hat dem Jobcenter nichts gesagt – und kassiert doppelt ab.
Streng verboten und ein "Missbrauch von sozialen Leistungen", meint Expertin Inge Hannemann. Der Jurist sieht es noch krasser: "Das ist Betrug und strafbar". Sollte das Ganze auffliegen, müsste der Kölner die überschüssige Miete nachzahlen und dürfte mit weiteren Sanktionen rechnen.
Lebensmittelgutscheine werden teils ausgeteilt, wenn schon so hohe Sanktionen verhängt wurden, dass die Grundsicherung nicht mehr gegeben ist. Die Doku zeigt Hartz-IV-Empfängerin Nathalie, die ihren 51-Euro-Lebensmittelgutschein für 35 Euro an ihren Kumpel Kevin verkauft, um von dem Geld anschließend Tabak zu holen – der vom Gutschein ausgeschlossen ist. Nathalie muss ihren Kumpel allerdings zum Einkauf begleiten, und den Bon vor der Kassiererin unterschreiben.
So ein Weiterverkauf ist gesetzlich eigentlich ausgeschlossen, aber das Jobcenter ist machtlos: "Die gehen ja nicht mit ins Geschäft", sagt die Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin. Die Handlung als solche bezeichnet sie ganz klar als "Missbrauch".
Hartz-IV-Empfänger Alex geht für 10 Euro die Stunde putzen und meint: "Mir kann keiner verbieten, privat einen Haushalt zu putzen." Für die RTL2-Experten ganz klar Schwarzarbeit: "Bis zu 100 Euro darf ein Kunde im Monat dazuverdienen, ohne dass es angerechnet wird. Doch bei ihm scheint es deutlich über dem Betrag zu liegen. Das ist Leistungsbetrug."
RTL2 zeigt neue Folgen "Armes Deutschland" immer dienstags um 20.15 Uhr. Schon vor Ausstrahlung sind die Episoden bei TV Now verfügbar.