Die ehemalige "Panorama"-Moderatorin Anja Reschke hat sich mit ihrer Sendung "Reschke Fernsehen" in neue journalistische Gefilde gewagt, möchte in der Recherche-Show Journalismus mit Entertainment verbinden. Dafür nimmt die Moderatorin unter anderem Themen ins Visier, die sie auch selbst bewegen.
Nicht umsonst befasste sie sich in Folge drei der Sendung mit den Vorwürfen von Machtmissbrauch gegen Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt und sprach dafür mit zahlreichen ehemaligen Axel-Springer-Mitarbeiter:innen. Die Machtstrukturen, die in dem Konzern offenbar geherrscht haben, erregten viel Aufmerksamkeit.
Im Gespräch mit watson spricht die 50-Jährige nicht nur über ihre neue Moderatorinnen-Rolle. Sie verrät auch, warum ihr die Themen Machtmissbrauch und Sexismus besonders am Herzen liegen. Denn: Sie selbst musste bereits negative Erfahrungen machen, die noch heute ein beklemmendes Gefühl in ihr hervorrufen.
Im Alter von 19 Jahren arbeitete sie als Aushilfe am Empfang eines kleinen Unternehmens, um sich etwas Geld zu verdienen, erzählt Reschke. Ihr Chef – etwa Ende 30, in ihren Augen damals aber ein "alter Mann" – schlug vor, zu zweit essen zu gehen. Immer wieder stellte er diese Frage, ließ nicht locker.
Reschke, zu dem Zeitpunkt noch neu in dem Betrieb, versuchte zunächst mit einfachen Ausreden das Treffen zu vermeiden. "Ich hab mich nicht getraut, einfach nein zu sagen. Er war ja der Chef, und viel älter. Ich wollte ihn nicht brüskieren, ihm irgendwie seine Würde lassen", erzählt sie von ihren damaligen Bedenken.
So versuchte sie immer wieder "Stoppschilder", wie sie es nennt, aufzustellen. Sie sagte ihm etwa, dass ihr Freund bestimmt etwas dagegen hätte oder es zeitlich schwierig sei. Der viel ältere Vorgesetzte ließ dennoch nicht locker, wie sie schildert. Er fragte immer wieder.
"Ich habe mich irgendwann dann sogar im Lager versteckt, wenn er morgens ankam, weil mir keine Ausreden mehr einfielen", erinnert sich Reschke. Bis er dann irgendwann anrief und sagte, sie solle in sein Büro kommen. "Da wusste ich schon, was mir blüht."
Sie sei mit klopfendem Herzen nach oben gegangen. Er saß hinter seinem Schreibtisch, sie musste durch den ganzen Raum zu ihm gehen, wo er sie erneut gefragt habe, wann sie denn endlich zusammen essen gehen. "Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und gesagt 'Ich möchte nicht mit Ihnen essen gehen'", erzählt sie gegenüber watson.
Es sei für die junge Anja Reschke eine "schrecklich peinliche" Situation gewesen. Zumal sich die beiden täglich wieder begegneten. Schließlich musste er zwangsläufig am Empfang vorbei. So kam es, dass sie sich in den kommenden Tagen weiterhin vor ihm versteckte und unwohl fühlte.
30 Jahre ist das jetzt her. Doch noch immer beschleicht sie ein beklemmendes Gefühl, wenn sie daran denkt. Dabei war das damals nur ein Studentenjob, nicht wichtig für sie. "Wenn ich überlege, dass ich darauf angewiesen gewesen wäre und meine Existenz davon abgehangen hätte ... dann wäre ich in einer echt blöden Situation gewesen."
Obwohl sie diese Szenen gut verdaut hat, kamen die Erinnerungen im Rahmen der wochenlangen Recherchen für die eigene Sendung wieder hoch. Sie erkannte Parallelen zur Causa Julian Reichelt, wenn auch nicht in so extremer Form, wie die Schilderungen der Betroffenen es vermuten lassen.
Der damalige Chefredakteur von "Bild" wurde im Oktober 2021 beim Konzern rausgeworfen. Grund dafür seien Sexismus, Affären und das Ausnutzen seiner Machtposition gewesen. In ihrer Sendung beleuchtete Reschke den Fall näher, ließ mehrere Mitarbeiter:innen zu Wort kommen.
Nach eigenen Angaben habe die "Reschke Fernsehen"-Redaktion mit "50 Beteiligten aus dem Umfeld von Julian Reichelt und dem Springer-Konzern" Kontakt gehabt. Darunter Berufsanfänger:innen ebenso wie Führungskräfte. Demnach haben mindestens zwei Mitarbeiterinnen bereits im Herbst 2019 über Einsendungen in den anonymen Briefkasten bei "Bild" schwere Vorwürfe gegen Reichelt erhoben. Die Betroffenen sprechen von "Reichelts systematischem Machtmissbrauch", von dem sie betroffen gewesen seien, schildern ihre Sicht der Dinge.
Anders als Reschke hingen bei den Betroffenen teilweise Karrieren von dem Job ab. Umso schwerer wögen daher die Vorwürfe gegen den damaligen "Bild"-Chefredakteur.
Ein Umstand, der Anja Reschke aufregt:
Auch sie habe oft Kommentare von männlichen Kollegen erhalten, die in dieses Bild passen. "Ich weiß nicht, wie oft ich gesagt gekriegt habe, ich würde so streng wirken bei Panorama, ich solle doch in meinen Moderationen mehr lächeln".
Sie ist überzeugt, dass ihre männlichen Kollegen so etwas nicht hören würden. Eine typische Erwartungshaltung, mit der Frauen in der Gesellschaft konfrontiert seien.
Zwar habe sich schon viel getan. Trotzdem müsse sich noch viel ändern, wenn es nach der Moderatorin geht.
Der Fall Reichelt sei das beste Beispiel dafür, wie akut das Problem in der Gesellschaft immer noch sei. Erschreckend findet sie, dass in einem Konzern über so lange Zeit offenbar systematischer Machtmissbrauch stattfinden konnte und niemand das stoppte: