Unterhaltung
Exklusiv

Anja Reschke: ARD-Moderatorin spricht über Sexismus und Machtverhältnisse

NORDDEUTSCHER RUNDFUNK
Anja Reschke - Leiterin Programmbereich Kultur und Dokumentation / Moderatorin Panorama
Anja Reschke
© NDR/Hendrik Lüders, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im Rahmen einer ...
Moderatorin Anja Reschke spricht mit watson über ihre persönlichen Erfahrungen mit Sexismus und Ausnutzen der Machtverhältnisse.Bild: NDR/Hendrik Lüders
Exklusiv

ARD-Moderatorin Anja Reschke spricht über Sexismus und Machtverhältnisse

02.03.2023, 13:07
Mehr «Unterhaltung»

Die ehemalige "Panorama"-Moderatorin Anja Reschke hat sich mit ihrer Sendung "Reschke Fernsehen" in neue journalistische Gefilde gewagt, möchte in der Recherche-Show Journalismus mit Entertainment verbinden. Dafür nimmt die Moderatorin unter anderem Themen ins Visier, die sie auch selbst bewegen.

Nicht umsonst befasste sie sich in Folge drei der Sendung mit den Vorwürfen von Machtmissbrauch gegen Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt und sprach dafür mit zahlreichen ehemaligen Axel-Springer-Mitarbeiter:innen. Die Machtstrukturen, die in dem Konzern offenbar geherrscht haben, erregten viel Aufmerksamkeit.

Im Gespräch mit watson spricht die 50-Jährige nicht nur über ihre neue Moderatorinnen-Rolle. Sie verrät auch, warum ihr die Themen Machtmissbrauch und Sexismus besonders am Herzen liegen. Denn: Sie selbst musste bereits negative Erfahrungen machen, die noch heute ein beklemmendes Gefühl in ihr hervorrufen.

HANDOUT - 02.02.2023, ---: . Anja Reschke präsentiert im Ersten "Reschke Fernsehen" (undatierte Aufnahme). Die Late-Night-Show geht am 02.02.2023 um 23:35 Uhr im ARD-Spätprogramm auf Sendung ...
Mit "Reschke Fernsehen" wagt sich Anja Reschke in neue journalistische Gefilde. Bild: NDR/ARD / Thorsten Jander

Anja Reschke erzählt von Sexismus und Machtmissbrauch

Im Alter von 19 Jahren arbeitete sie als Aushilfe am Empfang eines kleinen Unternehmens, um sich etwas Geld zu verdienen, erzählt Reschke. Ihr Chef – etwa Ende 30, in ihren Augen damals aber ein "alter Mann" – schlug vor, zu zweit essen zu gehen. Immer wieder stellte er diese Frage, ließ nicht locker.

Reschke, zu dem Zeitpunkt noch neu in dem Betrieb, versuchte zunächst mit einfachen Ausreden das Treffen zu vermeiden. "Ich hab mich nicht getraut, einfach nein zu sagen. Er war ja der Chef, und viel älter. Ich wollte ihn nicht brüskieren, ihm irgendwie seine Würde lassen", erzählt sie von ihren damaligen Bedenken.

"Bis er dann irgendwann anrief und sagte, ich solle bitte in sein Büro kommen. Da wusste ich schon, was mir blüht."

So versuchte sie immer wieder "Stoppschilder", wie sie es nennt, aufzustellen. Sie sagte ihm etwa, dass ihr Freund bestimmt etwas dagegen hätte oder es zeitlich schwierig sei. Der viel ältere Vorgesetzte ließ dennoch nicht locker, wie sie schildert. Er fragte immer wieder.

"Ich habe mich irgendwann dann sogar im Lager versteckt, wenn er morgens ankam, weil mir keine Ausreden mehr einfielen", erinnert sich Reschke. Bis er dann irgendwann anrief und sagte, sie solle in sein Büro kommen. "Da wusste ich schon, was mir blüht."

Absage kostete Anja Reschke viel Überwindung

Sie sei mit klopfendem Herzen nach oben gegangen. Er saß hinter seinem Schreibtisch, sie musste durch den ganzen Raum zu ihm gehen, wo er sie erneut gefragt habe, wann sie denn endlich zusammen essen gehen. "Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und gesagt 'Ich möchte nicht mit Ihnen essen gehen'", erzählt sie gegenüber watson.

Es sei für die junge Anja Reschke eine "schrecklich peinliche" Situation gewesen. Zumal sich die beiden täglich wieder begegneten. Schließlich musste er zwangsläufig am Empfang vorbei. So kam es, dass sie sich in den kommenden Tagen weiterhin vor ihm versteckte und unwohl fühlte.

Anja Reschke liegen die Themen Sexismus und Machtmissbrauch auch persönlich am Herzen.
Anja Reschke liegen die Themen Sexismus und Machtmissbrauch auch persönlich am Herzen. Bild: NDR / Hendrik Lüders

Reschke beleuchtet Fall Reichelt – und deckt neue Details auf

30 Jahre ist das jetzt her. Doch noch immer beschleicht sie ein beklemmendes Gefühl, wenn sie daran denkt. Dabei war das damals nur ein Studentenjob, nicht wichtig für sie. "Wenn ich überlege, dass ich darauf angewiesen gewesen wäre und meine Existenz davon abgehangen hätte ... dann wäre ich in einer echt blöden Situation gewesen."

Obwohl sie diese Szenen gut verdaut hat, kamen die Erinnerungen im Rahmen der wochenlangen Recherchen für die eigene Sendung wieder hoch. Sie erkannte Parallelen zur Causa Julian Reichelt, wenn auch nicht in so extremer Form, wie die Schilderungen der Betroffenen es vermuten lassen.

Der damalige Chefredakteur von "Bild" wurde im Oktober 2021 beim Konzern rausgeworfen. Grund dafür seien Sexismus, Affären und das Ausnutzen seiner Machtposition gewesen. In ihrer Sendung beleuchtete Reschke den Fall näher, ließ mehrere Mitarbeiter:innen zu Wort kommen.

Nach eigenen Angaben habe die "Reschke Fernsehen"-Redaktion mit "50 Beteiligten aus dem Umfeld von Julian Reichelt und dem Springer-Konzern" Kontakt gehabt. Darunter Berufsanfänger:innen ebenso wie Führungskräfte. Demnach haben mindestens zwei Mitarbeiterinnen bereits im Herbst 2019 über Einsendungen in den anonymen Briefkasten bei "Bild" schwere Vorwürfe gegen Reichelt erhoben. Die Betroffenen sprechen von "Reichelts systematischem Machtmissbrauch", von dem sie betroffen gewesen seien, schildern ihre Sicht der Dinge.

Anders als Reschke hingen bei den Betroffenen teilweise Karrieren von dem Job ab. Umso schwerer wögen daher die Vorwürfe gegen den damaligen "Bild"-Chefredakteur.

Moderatorin überzeugt: Viele Frauen denken, sie müssten lieb und nett sein

Ein Umstand, der Anja Reschke aufregt:

"Ich bin eine selbstbewusste Frau, und trotzdem hat es mich Überwindung gekostet, nein zu sagen. Aber nicht jede ist so stark. Was verlangt man denn da? Warum sind es die Frauen, die sich wehren müssen? Dazu kommt ja auch die immer noch existente Erwartungshaltung, dass Mädchen und Frauen lieb, brav, angepasst und gefällig sein sollen."

Auch sie habe oft Kommentare von männlichen Kollegen erhalten, die in dieses Bild passen. "Ich weiß nicht, wie oft ich gesagt gekriegt habe, ich würde so streng wirken bei Panorama, ich solle doch in meinen Moderationen mehr lächeln".

Sie ist überzeugt, dass ihre männlichen Kollegen so etwas nicht hören würden. Eine typische Erwartungshaltung, mit der Frauen in der Gesellschaft konfrontiert seien.

Reschke: Sexismus und Vorurteile noch immer weit verbreitet

Zwar habe sich schon viel getan. Trotzdem müsse sich noch viel ändern, wenn es nach der Moderatorin geht.

Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update! Hier findest du unseren Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne hier auch auf Instagram.

Der Fall Reichelt sei das beste Beispiel dafür, wie akut das Problem in der Gesellschaft immer noch sei. Erschreckend findet sie, dass in einem Konzern über so lange Zeit offenbar systematischer Machtmissbrauch stattfinden konnte und niemand das stoppte:

"Auch, dass das von Kollegen, vor allem aber der Konzernspitze anscheinend so hingenommen wurde, erschüttert mich. Und das vor dem Hintergrund, dass wir längst über MeToo geredet haben, dass wir längst einen Fall Weinstein in den USA hatten, einen Fall Wedel in Deutschland ... Ich glaube auch, dass es Machtmissbrauch bis heute an vielen Stellen gibt. Und deswegen muss man da einfach immer und immer wieder drüber reden."
Vor Gerichtsprozess: Alec Baldwin wird in Café provoziert

Vergangenes Jahr erschoss Alec Baldwin versehentlich eine Kamerafrau am Set um Film "Rust", die damals zuständige Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed wurde bereits zur Rechenschaft gezogen, da sie ihre Pflichten bei den Drehs vernachlässigte. Ein Gericht verurteilte sie am 15. April wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Haft.

Zur Story