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Mai Thi Nguyen-Kim über ihre eigene Sendung im ZDF: "Nicht wie Böhmermann"

Im Oktober starten gleich zwei neue Wissenschaftsformate mit Mai Thi Nguyen-Kim.
Im Oktober starten gleich zwei neue Wissenschaftsformate mit Mai Thi Nguyen-Kim. null / Maike Simon
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"Im Vergleich zu Böhmermann ist es nie mein Ziel zu provozieren": Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim über Diskussionskultur und ihre neue Wissenschafts-Show

15.10.2021, 08:49
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Mai Thi Nguyen-Kim ist ein Nerd – und stolz darauf. Dank der Wissenschaftlerin, die mit ihrer Youtube-Sendung "The Secret Life of Scientists" anfing und mit "MaiLab" bekannt geworden ist, wollen viele junge Leute Naturwissenschaften studieren. Nachdem Mai Thi zwei Bücher geschrieben hat, wechselt sie nun vom ARD/ZDF-Jugendformat Funk zu ZDF Neo. Dort startet am 24. Oktober ihre neue Show "Maithink X – Die Show" mit sechs Folgen.

Am 10. Oktober wurde bereits die dreiteilige Serie von "Terra X Wunderwelt Chemie" mit Mai Thi Nguyen-Kim im ZDF gezeigt. watson spach mit Mai Thi über ihre Show, ihre Ziele und ihren YouTube-Kanal, der von einigen Menschen als Provokation empfunden wird.

Watson: Deine neue Show startet bei ZDF Neo, davor warst du beim WDR. Sieht nach öffentlich-rechtlicher Liebe aus…

Mai Thi Nguyen-Kim: Ich bin total überzeugte Öffentlich-Rechtlerin. Aber jetzt nicht in dem Sinn, dass ich hinter jedem Programmpunkt stehe.

Sondern? Der Rundfunkbeitrag ist ja für viele Menschen ein Aufregerthema.

Wir können gerne darüber diskutieren, wie der verteilt wird. Das ist auch total legitim. Das ist übrigens auch eine Diskussion, der man sich stellen sollte, finde ich.

Inwiefern?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist meiner Meinung nach an vielen Stellen aus der Zeit gefallen. Wenn man ihn heute neu konzipieren würde, würde der ganz anders aussehen. Aber ich stehe hundertprozentig hinter dem Prinzip und bin davon überzeugt, dass wir den in unserer Medienlandschaft brauchen – heute mehr als je zuvor. Für mich gibt es systemisch keine stärkere Unabhängigkeit.

Auch nicht über Crowdfunding?

Es gibt ja beispielsweise Patreon, also Plattformen wo Zuschauer selbst Beiträge zahlen können, um Formate zu unterstützen. Das heißt aber, man ist direkt abhängig von den Zuschauern und dem, was sie gerne sehen würden. Dabei kann man nicht sagen: 'Okay, ich mache jetzt auch mal ein anderes Thema, das gerade nicht so beliebt ist oder das gerade niemanden interessiert, das aber wichtig ist.'

Diese Freiheit ist dir demnach wichtig?

Eine Unabhängigkeit, die ich beim Öffentlich-Rechtlichen total spüre und leben darf, ja. Das hängt natürlich auch sehr stark von den Leuten ab, mit denen ich zusammenarbeite. Es gab bei Funk, beim SWR und jetzt auch beim ZDF eine ganz tolle Zusammenarbeit und ich könnte mir schwer etwas Anderes vorstellen. Ich würde viel lieber durch meinen Beitrag dafür sorgen, dass das Programm besser wird als grundsätzlich zu sagen, die Öffentlich-Rechtlichen sind blöd.

Du bist bei ZDF Neo nun sozusagen eine direkte Nachfolgerin von Jan Böhmermann. Was spürst du davon?

Ich bin zumindest dankbar, dass er bei Neo schon viele Bomben gezündet und so das Feld freigesprengt hat. Ich kann leider nichts über die speziellen Themen dieser sechs Sendungen verraten, aber so viel kann ich sagen: Es sind schon alles Themen, die öffentlich eher emotional und hitzig diskutiert werden. Es sind gesellschaftlich relevante Themen, zu denen es auch starke Meinungen gibt. Im Vergleich zu Böhmermann ist es nie mein Ziel, zu provozieren.

"Wenn man den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk heute neu konzipieren würde, würde der ganz anders aussehen, glaube ich."

Trotzdem fühlen sich viele Menschen von deinen YouTube-Videos provoziert.

Es ist eher so, dass die Fakten die Leute provozieren, indem sie deren Ideologie ins Wanken bringen. Aber letztendlich möchte ich zur Versachlichung bei diesen hitzigen Themen beitragen und von der Emotionalität wegkommen. Das geht natürlich nur, wenn man es sehr unterhaltsam macht. Deswegen wird die neue Sendung auch eine Show. Man soll das einfach gucken können, um sich unterhalten zu fühlen – auch, wenn man sich konzentrieren muss.

Mai Thi Nguyen-Kim erlangte vor allem in der Corona-Krise zusätzliche Bekanntheit.
Mai Thi Nguyen-Kim erlangte vor allem in der Corona-Krise zusätzliche Bekanntheit.null / Jens Koch

Komplizierte Sachverhalte unterhaltsam und verständlich erklärt – wie wichtig ist das heutzutage?

Unendlich wichtig. Gerade in Akademiker- oder in Wissenschaftskreisen gibt es in den älteren Generationen manchmal so die Einstellung: 'Also das, was ich da mache, das ist so kompliziert, das kann das gemeine Volk nicht verstehen.' Wenn ich das glaube, dann kann ich auch niemals gut kommunizieren, sondern man muss auch schon die Fähigkeit haben, sich nicht nur in den anderen hineinzuversetzen, sondern auch den Respekt vor Laien zu haben.

Sich immer wieder zu sagen, ist das auch simpel genug für alle meine Zuschauer?

Genau. Sich vor Augen zu führen: 'Na, die haben vielleicht nicht dieselbe Ausbildung wie ich, aber die sind doch nicht dumm.' Die Details müssen sie vielleicht auch gar nicht verstehen, aber die wesentlichen Zusammenhänge. Wenn sie das Interesse haben und ich mich da ein bisschen bemühe, kann das jeder verstehen. Aber das ist eben eine Haltungssache.

Verzweifelt man als Wissenschaftlerin daran, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen einfach keine Fakten als solche anerkennen?

Emotional gesehen, ist es schon sehr frustrierend. Da habe ich zum Glück ein tolles Team, in dem wir uns gegenseitig nochmal erden und sagen: 'Ey, das ist nicht repräsentativ, was man da sieht'. Vor allem, wenn ein Trollschwarm kommt, weil wieder irgendjemand bei Telegram einen Link von uns gepostet hat.

Wie sehr beschäftigt dich das?

Das kann man sich anschauen, muss man aber nicht. Weil das so eine kleine, extreme Minderheit ist, die man höchstwahrscheinlich nicht mehr mit rationalen Argumenten erreichen kann. Für die bin ich dann irgendwie der Teufel, der mit Angela Merkel und Bill Gates etwas im Schilde führt. Wenn jemand davon überzeugt bist, was soll man dann noch sagen?

Klingt, als hättest du die Hoffnung bei einigen aufgegeben.

Wir versuchen uns darauf zu konzentrieren, dass die allergrößte Mehrheit der Menschen immer noch zugänglich für vernünftige Argumente ist und dass nicht alle knallharte Impfgegner sind. Aber natürlich sind die Leute verunsichert: Man kann seriöse Medienartikel lesen und danach total verwirrt sein, weil sich Informationen widersprechen. Und es ist ganz richtig, erst mal skeptisch und auch verunsichert zu sein und es einfach mal genauer wissen zu wollen. Das ist auch eher die Zielgruppe, die ich erreichen möchte.

Um wen geht es dabei genau?

Das sind nicht unbedingt die Leute, die Kommentare schreiben und mich beschimpfen, sondern oft eine stille Zuhörerschaft, die ich aber trotzdem erreichen kann und darf. Daran muss ich mich immer wieder erinnern. Und unter dem Strich ist es trotzdem gut, diese verstärkte Reichweite zu haben. Es macht einen ein bisschen verrückt, aber am Ende kann man die natürlich sehr gut für die Aufklärungsarbeit nutzen, die wir machen.

Überall nehmen Hasskommentare zu, trotzdem sind eure Kommentarspalten bei YouTube noch offen. Warum?

Ich glaube, der Vorteil bei wissenschaftlichen Inhalten ist, dass man das sehr gut von seiner eigenen Person trennen kann. Das gelingt uns allen sehr gut – auch mir, obwohl ich ja immer vor der Kamera stehe und da auch die Zielscheibe bin. Dabei geht es ja eigentlich gar nicht um mich.

Sondern?

In meiner Rolle vor der Kamera bin ich erst einmal nur die Moderatorin und meine größte Arbeit ist das Redaktionelle, also das Recherchieren und das Herausfinden. Und dann ist die Aufgabe, zu gucken: Was ist überhaupt die Lage? Und wie vermittle ich das jetzt am besten? Die meisten haben ja in Wirklichkeit kein Problem mit mir, sondern mit dem, was ich sage, also mit meinen Inhalten. Was soll ich da machen?

Wie schaffst du es, dich da abzugrenzen?

Wissenschaftlicher Diskurs heißt eben auch, andere Meinungen auszuhalten. Wir sind in unserem Fall auch sehr tolerant, was Beleidigungen betrifft. Das stört mich überhaupt nicht, wenn mich jemand krude beleidigt hat. Dann denke ich eher: 'Boah, schämst du dich nicht? Diese Aussage ist echt peinlich für dich.' Aber das sagt nur über die Person selbst etwas aus und nichts über mich.

Streitest du dich denn gerne mit Menschen?

Kommt darauf an: Also wir "streiten" uns zum Beispiel im MaiLab-Team die ganze Zeit. Wir hinterfragen gegenseitig alles, wir diskutieren und nehmen unterschiedliche Standpunkte ein: So versuchen wir immer das, was wir zum Beispiel in unserem Skript aufschreiben, zu widerlegen und es quasi zum Zusammensturz zu bringen. Das machen wir, um zu sehen, ob es dem Widerspruch standhält. Aber natürlich machen wir es auf eine sehr respektvolle Art und Weise und so, dass es nicht persönlich wird. Also was ich nicht gerne habe, sind Streitereien, die dann persönliche Beleidigungen beinhalten.

Ein schmaler Grat, was eine Beleidigung für jemanden ist und was nicht.

Bei Diskussionen im Internet, wo man sich nicht gegenübersitzt und nur in Kommentaren aufeinander reagiert, sind Beleidigungen leider Standard. Deswegen beteilige ich mich inzwischen auch gar nicht mehr an solchen Diskussionen. Ich finde, das hat keinen Zweck. Meine Erfahrung ist, wenn man sich zusammensetzt, sich in die Augen schaut und respektvoll widerspricht, funktioniert das meistens auch ganz gut. Aber ich finde die Empathielosigkeit in den sozialen Medien wirklich ganz, ganz schlimm und schädlich. Und ich mache mir auch Sorgen, wie das da noch weitergehen soll und was das aus uns, aus dem Zwischenmenschlichen macht.

An welchem Punkt versuchst du nicht mehr, jemanden zu überzeugen, sondern winkst ab?

Privat streite ich mich nur mit Leuten, die mir sehr viel bedeuten. Also mit Menschen, die ich liebe, lohnt es sich zu streiten. Bei anderen bin ich dann eher so: 'Ach komm, lieber jetzt keinen Stress.' Da überlege ich dann eher, ob man befreundet sein muss, wenn man zum Beispiel bei Werten so weit auseinanderliegt.

Wirklich?

Ab und zu, aber vielleicht umgebe ich mich auch einfach mit Menschen, die vieles ähnlich sehen und dann auch nicht die respektvolle Auseinandersetzung scheuen. Es ist für mich sehr wichtig, dass man das Verhalten von Menschen scharf kritisieren darf, aber den Menschen dann nicht direkt wie ein Stück Dreck behandelt. Ich finde es wichtig, den Respekt vor Menschen zu bewahren und zu sagen: 'Das, was du gemacht hast, finde ich nicht in Ordnung. Das heißt nicht, dass du jetzt als Mensch für die Tonne bist.' Es ist sehr schwierig, wenn man das nicht trennen kann.

Während Corona warst du für deine Freunde und Familie sicherlich ein Anker – und eine Anlaufstelle für alle, oder?

Also eigentlich war es vorher auch schon so. Wenn man Chemikerin ist, kriegt man Fragen zu allem, was irgendwie mit Wissenschaft zu tun hat. Da kommen Freunde mit 'Das weißt du doch bestimmt', und ich muss sagen: 'Nee, das ist doch Physik. Oder das ist doch anorganische Chemie, aber mein Bereich ist die Polymerchemie.'

Hat sich das verändert?

Seit ich den neuen Job habe und mich alle paar Wochen in was ganz Neues einlesen muss und nicht mehr so der Fachidiot bin, sondern gerade bei den gesellschaftlich relevanten Themen ein ganz gutes Basiswissen habe, erfülle ich dieses falsche Bild von der Allwissenden schon eher: Ich kann immer öfter irgendwelche nützlichen Sachen beantworten. Während Corona habe ich natürlich auch ständig aus dem privaten Umfeld Fragen bekommen. Dabei ist es eigentlich schade, dass Wissenschaftlerinnen wie ich immer als Superbrains dargestellt werden, die ganz selbstverständlich alles immer wissen.

Warum ist das schade?

Das schreckt viele von Naturwissenschaften ab. Der Clou ist ja eigentlich, dass mein Vollzeitjob zu 80 Prozent der Zeit aus Lernen besteht. Ich habe natürlich schon eine hohe akademische Ausbildung, die mir sehr hilft. Aber letztendlich muss ich mir all die Sachen selbst aneignen – was mir auch sehr in der Vermittlung der Themen hilft. Ich stelle immer wieder bei Leuten fest, die schon seit Jahrzehnten Experten sind und alles in ihrem Fachgebiet wissen, dass sie sich nicht mehr so gut hineinversetzen können, was man als Normalsterblicher weiß und was nicht. Wir, also mein Team, verstehen uns sehr gerne auch als Dienstleister.

Im Dienst der Gesellschaft.

Sozusagen. Wir haben die wissenschaftliche Ausbildung und wir haben die Zeit. Unser Service für die Menschen ist: 'Wir haben wochenlang Studien gelesen, damit ihr es nicht machen müsst. Hier ist alles, was ihr wissen sollt.'

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