Es sind Gesichter, die man eigentlich von woanders kennt: aus Musikvideos von bekannten Rock-Songs, von der Bühne bei Guter-Laune-Musik. Sportfreunde Stiller, Beatsteaks, die Toten Hosen und viele mehr: Sie alle stehen für gewöhnlich auf den Line-ups großer Festivals. Diesmal aber nicht.
Stattdessen finden sich ihre Namen nun auf dem Plakat des sogenannten "Kultur.Konvoi": Eine Reihe deutscher Kultur-Schaffender hat, zusammen mit der Hilfsorganisation "Bamberg:UA", eine ganze Menge an Hilfsgütern zusammengetrommelt, um diese in die Ukraine zu liefern.
Konkret handelt es sich um diverse voll ausgestattete Rettungswagen sowie eine mobile Arztpraxis. Es ist nicht die erste Spende und soll nicht die letzte sein.
Watson hat mit Rüdiger "Rüde" Linhof gesprochen, Bassist der Sportfreunde Stiller, und einer der Ideenzünder hinter dem Projekt.
watson: Rüdiger, man kennt dich eigentlich von der Bühne. Jetzt stehst du jedoch zwischen diversen Krankenwagen in der Ukraine. Wie kam es dazu?
Rüdiger Linhof: Unsere Beziehung zur Ukraine hat schon 2003 begonnen. In dem Jahr waren die Sportfreunde Stiller zum ersten Mal dort, um ein Musikvideo zu unserem Song "Komm schon" zu drehen. Wir haben dabei viele Ukrainer kennengelernt. Die haben sich sofort bei uns eingehakt und wir sind mit denen irgendwo gelandet, haben zusammen getrunken und geredet, geredet, geredet.
Worüber wurde da geredet?
Über alles. Auch schon über die russische Politik. Es wurde einfach geschildert, wohin es ungefähr geht und welche Ängste und Hoffnungen sie haben. Mit der Ukraine verbinden uns also viele Jahre. Als es zur russischen Invasion kam, waren wir vom ersten Tag an Aktivisten.
Was habt ihr dann unternommen?
Im Herbst 2022 kam es bei mir zu einer Impuls-Handlung: Ich habe einfach online einen Rettungswagen gebucht und mich damit beschäftigt, wie ich den in die Ukraine bringen könnte. Als Bassist einer Band war ich sehr naiv und dachte: Ich buche den jetzt einfach und dann gebe ich den irgendjemandem.
Aber so einfach war es nicht?
Nein. Aber in meiner Odyssee fand ich den Verein "Bamberg:UA", der humanitäre Hilfe für die Ukraine leistet. Ich habe schnell gesehen, dass das Profis sind, die genau wissen, wie man solche Ideen umsetzen muss. Wir Sportfreunde haben dann erstmal drei Rettungswagen finanziert. Dann dachten wir aber: Jetzt fragen wir nochmal andere Bands, ob die helfen wollen. Heute ist es ein großes Team aus Kulturschaffenden und Aktivisten.
Ja, ihr bekommt viel Unterstützung aus der Szene, darunter auch von sehr bekannten Namen. Beatsteaks, die Toten Hosen, Jan Delay, Udo Lindenberg. Inwiefern sind die alle involviert?
Alle Beteiligten unterstützen uns auf ganz unterschiedliche Weise. Manche Bands posten einfach nur Beiträge, manche spenden wirklich fette Summen. In erster Linie sind wir uns alle einig, dass wir als Kulturschaffende für die Demokratie einstehen müssen, die von einem faschistischen Angriffskrieg bedroht wird. Denn in Diktaturen gibt es keine individuell geschaffenen Werke und keine Menschenrechte mehr, wie wir sie kennen. Da wollen wir nicht hin.
Kannst du Zahlen nennen, wie viel ihr mit dem Konvoi schon erreicht habt?
Es ist jetzt der zweite Konvoi und insgesamt haben wir schon 18 Rettungswagen rübergefahren, eine rollende Arztpraxis und einen Stadtbus. Zwei Rettungswagen sind leider bereits verschollen oder wurden abgeschossen. Die 16 weiteren sind voll ausgestattet mit Defibrillatoren, einer Spritzenpumpe, einem Beatmungsgerät und so weiter. Jeder Wagen transportiert etwa fünf Leute pro Tag – Zivilisten und Soldaten, oftmals schwerverletzt. Das sind etwa 70 Menschen jeden Tag. Wären die Wagen nicht da, wäre das nicht möglich.
Wenn die Rettungswagen so gut ausgestattet sind, inwiefern unterscheiden sie sich von der mobilen Arztpraxis?
Bei der mobilen Arztpraxis kommt ein Arzt angefahren, der Menschen behandelt und ihnen Medikamente verschreibt – wie eine normale Arztpraxis. Denn in einem Gebiet, das weniger als 40 Kilometer von der Front entfernt ist, sind Arztpraxen meist verlassen und können auch nicht betrieben werden. Weil alles beschossen wird, was das zivile Leben ausmacht.
Aber auch da leben Menschen.
Richtig. Viele alte und arme Leute, die nicht fliehen können zum Beispiel. Es fliegen dort auch viele Drohnen über ihnen und das Leben ist einfach super gefährlich. Da ist eine fahrbare Arztpraxis unglaublich wertvoll.
Ihr seid jetzt gerade dort, um die Wagen zu überbringen. Ist es gefährlich, da, wo ihr seid?
Wir sind jetzt in Lwiw und damit etwa 1000 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Ich sag mal so: Wenn hier ein Luftalarm ist, dann hat man einigermaßen Zeit, sich Schutz zu suchen. In Charkiw ist das komplett anders: Wenn es da knallt, dann sind die Menschen einfach weg. Wir übergeben hier die Wagen und Hilfsgüter, und dann werden die in die Einsatzgebiete gebracht.
Ihr seid mit einem großen Team unterwegs. Wie ist die Stimmung dabei aktuell?
Die Stimmung ist gut, aber mit sehr gemischten Gefühlen. Man genießt hier die Nähe und Solidarität untereinander. Es ist erleichternd, aus diesem "Man müsste mal" rauszukommen und einfach zu machen. Gleichzeitig hat man die ganze Zeit die Realität vor Augen.
Wie zeigt sich diese Realität genau?
Kinder gehen mit ihren Instrumenten zum Musikunterricht, weil sie auf eine Zukunft blicken. Sie gehen an einer Kirche vorbei, deren Fenster verbarrikadiert sind mit Pressspan und Metall. Man merkt: Es könnte jederzeit knallen. Abschiede fühlen sich hier anders an als zu Hause. Die Umarmungen werden fester.
Gibt es schon Pläne, wie es nach dem jetzigen Konvoi weitergeht?
Wir machen natürlich weiter. Aktuell sammeln wir bereits Spenden für den nächsten Konvoi, und die Unterstützung wächst. Wir haben festgestellt, dass viele Leute wirklich helfen wollen, aber nicht wissen, wie. Wir wissen das aber nun und müssen einfach nur vorgehen. Es ist schön zu sehen, dass Solidarität sofort da ist, wenn man den Menschen bloß die Möglichkeit dazu gibt.