Großbritannien trauert um die Queen, zahlreiche Menschen sind nach ihrem Tod nach London gereist, um Abschied von der Königin zu nehmen. Die Beisetzung findet am 19. September statt – der Tag wurde auch zum gesetzlichen Feiertag in Großbritannien erklärt. Dies überrascht zwar erst einmal kaum, wenn man auf die Bedeutung der Monarchie in Großbritannien blickt. Doch nicht wenige Briten sehen sich nun mit unschönen Konsequenzen der Regelung konfrontiert.
Wie mehrere britische Medien, darunter der "Guardian", berichten, wurden mehrfach Beerdigungen abgesagt. Tausende Theater, Museen und Einzelhändler werden ihre Türen nicht öffnen und sogar Lebensmitteltafeln sollen geschlossen bleiben. Besonders schwerwiegend ist aber, dass auch Arzt- und Krankenhaus-Termine nicht wie geplant stattfinden können.
Mehrere lokale Stellen des Staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) in Großbritannien haben laut des Portals "Open Democracy" befugt, dass "nicht dringliche Prozeduren und Termine" verlegt werden sollen – inklusive Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren und sogar vereinzelte Behandlungen im Zusammenhang mit Krebs-Erkrankungen.
Es ist davon auszugehen, dass Hausärzte und Krankenhäuser am Montag in vielen Regionen nur Notfälle behandeln, was an einem nationalen Feiertag einerseits nicht ungewöhnlich ist. Andererseits wurde eben dieser nun recht kurzfristig einberufen (den genauen Todestag der Königin konnte schließlich niemand vorhersagen), weshalb sich die Frage nach der Notwendigkeit ärztlicher Termin-Absagen durchaus stellt.
Aus ärztlicher Sicht dürfte es in den meisten Fällen unbedenklich sein, die Behandlung zumindest um ein paar Tage zu verschieben, doch das große Problem ist: Viele Menschen werden in den nächsten Wochen, möglicherweise auch Monaten, keinen Ersatztermin erhalten, denn die Wartelisten in den Krankenhäusern auf der Insel sind derzeit sowieso schon viel länger als gewöhnlich.
Bereits Ende Juli warteten 6,8 Millionen Menschen auf einen Termin, 377.000 von ihnen schon seit über einem Jahr. Hinzukommt: Bei 40 Prozent der Krebspatient:innen wurde die Behandlung über das Maximum von zwei Monaten hinaus verschoben. Im Hinblick darauf erscheint es überaus zweifelhaft, zum jetzigen Zeitpunkt einen neuen Feiertag festzulegen und damit eine hohe Anzahl von Personen einem noch höheren Risiko auszusetzen.
Dabei wären manche Behandelnde durchaus bereit, auch am Feiertag zu arbeiten. Zu dieser Einschätzung kommt zumindest dieser Arzt, der gegenüber "Open Democracy" allerdings auch ein großes Dilemma im Arbeitssektor aufzeigt:
In sozialen Netzwerken haben sich zahlreiche Personen aus Großbritannien zu Wort gemeldet, die direkt oder indirekt von ärztlichen Absagen betroffen sind. Bei diesem Nutzer sollte eigentlich eine Untersuchung am Herzen durchgeführt werden, vier Wochen hatte er zuvor schon gewartet:
Einer anderer User berichtet von einer nahestehenden verwandten Person, die gerade eine Chemo-Therapie durchmacht. Erst bei der nächsten Behandlung in dieser Woche werde sie erfahren, wie es mit dem Termin am Montag, dem 19. September aussieht, die Vereinbarung hängt in der Luft. "Abscheulich", lautet das (verständliche) Urteil dazu.
Schließlich erwähnt dieser Mann, dass eine Brustkrebs-Behandlung seiner Frau an besagtem Montag abgesagt wurde. Der Termin wurde angeblich auf den nächsten Monat verlegt. Dies werde in ihrem Fall zwar vermutlich keine schlimmen Auswirkungen haben, doch der Nutzer denkt auch an andere Patient:innen und schreibt:
Das irische Musik-Duo Jedward meldete sich ebenfalls kritisch über seinen offiziellen Twitter-Kanal zu Wort. Im Statement der Zwillinge heißt es: "Es ist unmenschlich, Beerdigungen abzusagen und Krebsbehandlungen aufgrund der Beerdigung der Königin zu verschieben! Niemand sollte als Bürger zweiter Klasse behandelt werden!"
Das sind nur ein paar Beispiele. Doch viele Briten sind betroffen – und demensprechend verärgert.
Ja, die Briten lieben ihre Monarchie und ja, die Trauer um die Königin ist groß. Spätestens jedoch, wo die Gesundheit von Menschen aufs Spiel gesetzt wird wegen des Gedenkens einer Person, die sie nicht einmal persönlich kannten, sollte verordnete Staatstrauer definitiv Grenzen haben.
Ganz generell stellt sich manchen die Frage, was Elizabeth II. im Laufe ihres Lebens eigentlich konkret bewegt hat, um sich die Ehre des eigenen Feiertags zu verdienen – abseits dessen, dass sie einfach "immer da war" und die Verehrung der Royals nun einmal Tradition ist. Politische Entscheidungen traf sie keine, im Gegenteil pflegte sie die den Grundsatz der Nichteinmischung. Prinzessin Dianas Tod war tragisch, doch dass das friedliche Ableben einer 96-Jährigen jetzt derartige Kreise zieht, kann befremdlich erscheinen.
Die missliche Situation in Praxen und Kliniken hätte beispielsweise leicht entschärft werden können, wäre die Beisetzung der Queen für Sonntag, den 18. September, angesetzt worden – doch weil ein willkürliches Protokoll vorschreibt, dass die Königin an Tag zehn nach ihrem Tod beerdigt werden "muss", geht es nicht anders. An dieser Stelle zeigt sich die Monarchie von ihrer ignorantesten und hässlichsten Seite.