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Dschungelcamp: Opfer ordnet heikle Missbrauchs-Debatte ein

Pierre Sanoussi-Bliss (l.) und Timur Ülker sind einfach auf einer Wellenlänge. Am Lagerfeuer kommt es zum Deeptalk. Sie sprechen über ihre Väter.

+++ Die Verwendung des sendungsbezogenen Materials is ...
Pierre Sanoussi-Bliss und Timur Ülker sprechen im Dschungelcamp über einen Missbrauch, den sie erlebten.Bild: rtl
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Missbrauchs-Debatte im Dschungelcamp: Opfer ordnet heikle Szene ein

31.01.2025, 17:11
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Triggerwarnung: Im folgenden Text werden sexualisierte Gewalthandlungen und deren Folgen für Betroffene geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

Als Lena die Szenen auf RTL gesehen hat, war ihr klar: Darüber muss sie sprechen.

Es war an Tag 7 im Dschungelcamp, als die TV-Stars Pierre Sanoussi-Bliss und Timur Ülker von ihrem ersten Mal erzählten: Erst so, als wäre gar nichts dabei – bis allen im Camp sehr schnell klar wurde, dass beide Männer ein erstes Mal erlebten, an dem nichts normal war.

Pierre war 13 und es war ein "Freund der Familie", Mitte 30, mit dem er geschlafen hatte.

Timur war 14 oder 15, als er mit einer älteren Frau, um die 30, Sex hatte.

Die meisten im Camp waren sprachlos, als sie von den Geschichten hörten. Schauspielerin Nina Bott stellte klar: "So was gehört nicht toleriert und nicht belächelt. Das ist wirklich richtig schlimm." Und Lilly Becker ist geradezu aufgebracht, sagt: "Ein Kind weiß nicht, wenn was passiert. Du musst ein Kind schützen, so viel du kannst!"

Lena Missbrauch
Lena hat als kleines Mädchen selbst Missbrauch erlebt. Bild: privat / Andreas Heist

Auch Lena Jensen hat die "IBES"-Folge im TV gesehen. Sie ist 31 Jahre alt und wurde selbst als Kind missbraucht. Sie kennt das Gefühl der Unsicherheit und der Scham danach selbst nur zu gut. Für watson ordnet sie die Missbrauchs-Debatte aus dem Dschungelcamp ein.

watson: Mit welchem Gefühl hast du die Szenen, in denen Pierre und Timur von ihrem ersten Mal sprechen, gesehen?

Lena Jensen: Man hat im Gespräch gemerkt, wie sich die Situation verändert hat. Am Anfang haben Pierre und Timur von ihrem ersten Mal gesprochen, als wäre es das Normalste der Welt. Erst als sie den Ablauf erzählt haben und auch die Reaktionen der anderen mitbekommen haben, haben sie verstanden: So normal ist das doch nicht, mit 13 Jahren mit einem viel älteren Mann oder einer viel älteren Frau zu schlafen. Und diese Veränderung in den Gesichtern der Betroffenen durch die Erkenntnis und ihr Verständnis, das hat man so, glaube ich, noch nie live im Fernsehen gesehen.

"Wenn Jugendliche missbraucht werden, dann ist das ein Ausnutzen der beginnenden Sexualität, die sich entwickelt."

Pierre Sanoussi-Bliss hat in der Show sehr klargemacht, dass er das wollte. Glaubst du ihm das?

Es steht mir natürlich nicht zu, darüber zu urteilen, was jemand gewollt hat und was er vielleicht doch nicht gewollt hat. Aber was wichtig ist für Betroffene da draußen: Es gibt so viele, die denken, das, was sie erlebt haben, ist normal. Die wirklich glauben, das macht man so, wenn man sich lieb hat: Weil es das ist, was Täter:innen ihren Opfern sagen. Das war bei mir selbst auch so. Man versteht erst viel später, dass das nicht stimmt und dass es eben nicht normal ist.

Wann hast du verstanden, dass das nicht normal ist, sondern Missbrauch?

Mit sechs Jahren – erst als ich zum ersten Mal darüber gesprochen habe und meine Mutter mir das ganz klar gesagt hat: Das, was die Menschen getan haben, ist nicht normal, das ist böse. Wenn Kinder missbraucht werden, dann herrscht da ein ganz klares Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern. Kinder sind in einem Alter, in dem sie noch gar nicht selbst entscheiden können, was normal ist und was nicht. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, das zu tun.

Wie ist das bei Jugendlichen?

Wenn Jugendliche missbraucht werden, dann ist das ein Ausnutzen der beginnenden Sexualität, die sich entwickelt. Sowas kennt man vielleicht noch von sich selbst früher, dass man zum Beispiel in den Lehrer verknallt war. Junge Menschen sind neugierig, aber sie sind auch unsicher. Dadurch ist es auch hier kein Verhältnis auf Augenhöhe. Es sind auch hier die Erwachsenen, die sich richtig verhalten müssen.

"Als ich mit Freundinnen gesprochen habe, habe ich gemerkt: Vielen von ihnen ist das Gleiche passiert. Wir hätten die ganze Zeit darüber sprechen können."

Wie unterscheidet sich Timurs Fall von Pierres?

Er sagte, er war 14 oder 15, als er mit einer viel älteren Frau, einer Lehrerin und Mutter, geschlafen hat. Ich glaube, er hatte tatsächlich einen Aha-Moment vor laufenden Kameras, als er verstanden hat, dass das eigentlich gar nicht geht. Das mag daran liegen, dass viele Jugendliche dafür gefeiert werden, wenn ihnen so etwas passiert. Und es gehört etwas dazu, sich einzugestehen, dass das nicht freiwillig und nicht in Ordnung war.

Spielt es eine Rolle, dass die Täterin eine Frau war?

Sexueller Missbrauch durch Frauen ist ein Thema, über das noch viel weniger gesprochen wird: Es kommt seltener vor. Und die Scham bei den Betroffenen, ist oft sogar noch größer, weil die Frau eigentlich nicht die körperlich "Stärkere" ist im Vergleich zum Mann.

Ist das ein Verdrängungsmechanismus, der bei vielen Betroffenen nach einem Missbrauch einsetzt?

Viele Betroffene denken, dass sie eine Mitschuld tragen: Hätte man selbst etwas tun müssen, hätte man sich wehren können? Weil sie nichts gesagt oder dagegen gemacht haben, denken sie, sie seien Mitschuld und schämen sich dafür, dass ihnen das widerfahren ist. Sie versuchen, es zu relativieren und sprechen einfach nicht darüber. Dabei sind die einzigen, die sich schämen sollen und allein Schuld daran sind, die Täter:innen.

Ist sexueller Missbrauch heute also doch noch ein Tabuthema?

Ja, aber das sollte es nicht sein. Natürlich hat sich was getan. Als ich 1999 mit sechs Jahren meine Täter angezeigt habe, haben Freunde und Familie versucht, uns davon abzubringen: Wir sollten nicht weiter darüber sprechen. Sowas wurde einfach unter den Teppich gekehrt. Jahre später, als ich meine Täter ein zweites Mal angezeigt habe, waren die Dynamiken ganz andere. Als ich da mit Freundinnen darüber gesprochen habe, habe ich erst gemerkt: Vielen von ihnen ist das Gleiche passiert. Wir hätten die ganze Zeit darüber sprechen können. Aber wir alle haben es all die Jahre nicht angesprochen. Umso wichtiger ist es mir heute, über das Thema zu sprechen, um Aufmerksamkeit darauf zu lenken.

Wie ist RTL deiner Meinung nach mit dem Thema umgegangen?

Da fand ich eigentlich den Schnitt ganz gut. Man hat immer wieder die schockierte Reaktion von Lilly Becker gesehen, die deutlich gesagt hat: Das ist nicht okay. Dadurch wurde das Gesagte als das eingeordnet, was es ist, ein Missbrauch. Und auch die Moderator:innen haben eigentlich gut reagiert, indem sie gesagt haben, sie freuen sich, dass es den beiden gut geht und dass beide sich nicht missbraucht fühlen, aber dass es eben nicht okay ist, was ihnen widerfahren ist. Es wurden keine Witze gemacht. Das wäre auch sehr unpassend gewesen.

"Ich verstehe natürlich, dass es ein Unterhaltungsprogramm ist, aber wenn solche Themen auftauchen, gibt es andere Möglichkeiten damit angemessen um zu gehen."

Bei "Die Stunde danach" war es leider ein bisschen anders.

Olivia Jones hat einen Witz gemacht, dass sie ihr erstes Mal hatte, als sie sich auf einen Schnuller gesetzt hat. Sie selbst hat sehr gelacht darüber und die gesamte Runde kam aus dem Lachen nicht mehr raus. Das war nicht okay. Ich verstehe natürlich, dass es ein Unterhaltungsprogramm ist, aber wenn solche Themen auftauchen, gibt es andere Möglichkeiten damit angemessen um zu gehen, ohne die Leichtigkeit zu verlieren. Und das zeigt mir natürlich nur, wo wir aktuell wirklich stehen und wie viel noch zu tun ist.

Wird das Thema deiner Meinung nach in den Medien generell genug thematisiert?

Ich würde mir wünschen, dass die Medien nicht nur fallbezogen berichten, dass etwas Schlimmes passiert ist, sondern auch direkt eine Anlaufstelle abbilden oder auch Tipps zum Thema Prävention, Täterstrategien und Hilfe für Betroffene. Man erreicht so viele Menschen und das Wissen zu teilen, kann etwas verändern.

Bist du betroffen oder hast einen Verdacht?
Das Hilfetelefon sexueller Missbrauch berät unter 0800/2255530 Betroffene, aber auch Menschen, die sich um ein Kind sorgen oder ein "komisches Gefühl" haben.

Die Medizinische Kinderschutzhotline ist ein Beratungsangebot, das auch medizinischem Fachpersonal zur Verfügung steht, das mit einem Verdachtsfall konfrontiert ist. Die Hotline ist unter 0800/1921000 erreichbar.

Berta, die telefonische Anlaufstelle für Betroffene organisierter sexualisierter Gewalt erreicht man unter: 0800/3050750

Tauwetter e.V. ist eine Anlaufstelle für Männer, die als Kind oder Jugendlicher sexueller Gewalt ausgeliefert waren: 030/6938007
Pierre Sanoussi-Bliss fürchtet um seine Schauspiel-Karriere

Einige Dschungelcamp-Fans wünschen sich weniger Reality-Stars in der Show. Zumindest mit Pierre Sanoussi-Bliss kommt RTL diesem Wunsch 2025 nach: Der Schauspieler, Filmregisseur und Drehbuchautor hat bislang gar keine Berührungspunkte mit derlei Formaten.

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