Wie lange hält die Bevölkerung im Lockdown noch durch? Braucht es nun wirklich mal einen Strategiewechsel? Diesen Fragen stellt sich die Runde bei "Anne Will" im Ersten am Sonntagabend. Dabei wird nicht nur nochmal unterstrichen, wie Lockdown-müde die Bevölkerung ist – auch die Impfstoff-Thematik wird interessant diskutiert.
Die Gäste der Sendung:
Cornelia Betsch macht sich Sorgen. Sie erstellt mit ihrem Team repräsentative Umfragen für das Robert-Koch-Institut. Ihr Fazit:
Denn: Es seien laut ihren Umfragen vor allem die, die die Maßnahmen befürworten, die nun gleichzeitig der Regierung immer mehr misstrauen.
Die Menschen wünschen sich vor allem eine bessere bzw. generell eine andere Strategie gegen das Virus, sagt Betsch. Jede Strategie, die Betsch und ihr Team in ihrem Überblick abgefragt hätten, hätte besser abgeschnitten als die derzeit verfolgte. Ein Strategiewechsel könnte also das Vertrauen wieder erhöhen – und dabei scheint es egal zu sein, welche Strategie dann kommen würde.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht plädiert dafür, Bereiche wie die Gastronomie oder den Einzelhandel in absehbarer Zeit wieder zu öffnen, weil diese keine nachgewiesenen "Pandemie-Treiber" gewesen seien.
Die altbekannten "Pandemie-Treiber", von denen keiner weiß, wo sie genau liegen – man erinnere sich an die verzweifelten Appelle verschiedener Virologen gegen Ende des letzten Jahres, dass man bei 75 Prozent der Neuinfektionen gar nicht wisse, woher diese stammen würden.
Auch deshalb sind die Forderungen nach bestimmten Lockerungen schwierig. Denn wo lockert man zuerst? Die Schulen und Kitas scheinen Priorität zu haben, betont auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Sie schlägt eine Art Lockerungs-Experiment mit gewissen Erleichterungen an bestimmten Stellen vor, aber nur in Regionen, in denen die Inzidenzen niedrig sind.
Die Runde wird dann kurz unterbrochen für ein Einzelgespräch von Moderatorin Will mit Jens Spahn. Der stand in den letzten Wochen vermehrt in der Kritik, vor allem wegen der stockenden Impfstoff-Lieferungen. Spahn hält sich wie so oft in Interviews mit aufsehenerregenden Aussagen zurück.
Moderatorin Will versucht, ihn mehrfach zu einer Antwort auf die Frage zu bewegen, wann denn seiner Ansicht nach der Lockdown beenden werden sollte. „Ich würde abwarten, bis wir deutlich unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sind“, ist seine deutlichste Aussage. Einen Sechs-Monats-Plan lehnt Spahn ab, weil das Virus zu unberechenbar sei. Diese Haltung ist allerdings nichts Neues.
Zum Impfstoff kommt Will auch noch kurz, aber auch hier ergeben sich keine neuen Erkenntnisse.
Der Impfstoff beschäftigt die Deutschen nun schon seit Monaten – wenn es nach Journalist Georg Mascolo geht, hätte bereits vor allen Zulassungsverfahren für genug Produktionsstätten für einen möglichen Impfstoff gesorgt werden müssen. Er verweist unter anderem auf Bill Gates, der das schon zu Beginn der Pandemie angeregt hatte. Das Problem damals: Es war noch nicht abzusehen, dass die Kapazität der existierenden Produktionsstätten nicht ausreichen würde.
Für Manuela Schwesig zählt diese Argumentation nicht wirklich.
Erstens: Alte Menschen sterben viel eher an Covid-19 als junge. Doch zu viele alte Menschen könnten wegen der zu geringen Impfstoff-Mengen nicht geimpft werden. Zweitens komme die drohende Gefahr durch die Virus-Mutationen aus Südafrika, Großbritannien und Brasilien dazu. Drittens: "Der Impfstoff wäre jetzt unsere Waffe für einen Motivationsschub." Die Bevölkerung wäre ihrer Meinung nach deutlich motivierter, noch ein wenig länger im Lockdown durchzuhalten, wenn bereits mehr geimpft werden würde oder könnte. Daher seien die Fehler in der Impfstoff-Beschaffung keine Kleinigkeit.
Schwesig unterstreicht den Punkt von Georg Mascolo, dass im Vorhinein viel mehr hätte investiert werden müssen – vor allem in die nun überforderten Produktionsstätten.
Der Journalist hält im Gegenzug ein Plädoyer für die unter anderem von Schwesig und Wagenknecht angesprochenen, regionalen Anpassungen der Corona-Maßnahmen, die aber seiner Meinung nach von hoher politischer Ebene tendenziell eher abgelehnt werden. So sei es beispielsweise in Italien passiert. Dabei hätten sich die meisten Epidemiologen für eben jene regionalen Anpassungen ausgesprochen.
Letztendlich wird die deutsche Bevölkerung, werden wir, die in dieser Woche angesetzten Ministerpräsidenten-Konferenz abwarten müssen, bis wir wissen, welche konkreten Schritte die Politik als nächstes anstrebt. Ob es wirklich einen Strategiewechsel gibt, darf aber zumindest bezweifelt werden.