Der Lockdown dauert weiter an, die Corona-Impfungen lassen weiter auf sich warten, die Infektionszahlen sind noch immer zu hoch – und bei "Markus Lanz" sitzt ein Virologe, der vieles auch nicht so genau weiß. Alles beim Alten also, könnte man meinen. Nicht ganz!
Denn an diesem Abend gab es in der Talkrunde von Moderator Markus Lanz eine Überraschung in der Runde: Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister der Stadt Rostock, hat nicht nur eine unglaublich erfolgreiche Corona-Bilanz vorzuweisen. Mit seinen reflektierten und klugen Antworten hat er sich an diesem Mittwochabend quasi für die nächste Expertenrunde im Kanzleramt qualifiziert.
Das waren die Gäste bei "Markus Lanz“ am 3. Februar 2021:
Klare und ehrliche Worte statt Panikmache, schnelles und überlegtes Handeln statt auf Anweisungen von ganz oben zu warten – so lautet die Corona-Strategie von Rostocks Bürgermeister Claus Ruhe Madsen (parteilos) in wenigen Worten. Gerade einmal hundert Tage im Amt wurde Madsen – wie wir alle hierzulande – von der Corona-Pandemie überrascht.
Kurz darauf ordnete er mit einer Zahl von nur vier Infektionen in der Stadt Rostock einen Lockdown an und baute unverzüglich Teststrukturen auf. Das Ergebnis: Bis heute kommen auf die rund 210.000 Einwohner der Stadt gerade einmal 16 Tote.
"Offensichtlich haben Sie ja sehr früh, sehr konsequent durchgezogen", stellte Markus Lanz anerkennend fest. Ja, der geborene Däne Claus Ruhe Madsen hat vieles richtig gemacht. Anstatt sich jedoch selbst für seine Erfolgsbilanz zu rühmen, lieferte er an diesem Talkabend durchweg kluge Antworten auf schwere politische Fragen.
Während Virologe Hendrik Streeck sich um die Frage nach der Gefährlichkeit der neuen Virus-Mutationen herumwand, hatte Claus Ruhe Madsen direkt eine griffige Metapher parat. "Stellen Sie sich den Virus einmal wie einen Löwen vor, der durch die Stadt läuft und vor dem Sie sich schützen müssten": So habe er es seinen Bürgern in Rostock erklärt. Bei "Markus Lanz" äußert er noch dies:
Seine Aussage war klar: Mutation hin oder her, der Löwe, also das Virus, bleibt und wir müssen uns derzeit grundsätzlich weiter schützen – ob wir nun wissen, ob die Mutation des Corona-Virus‘ infektiöser, ansteckender oder sonst etwas ist.
Außerdem müsse die Politik, statt stets um das Vertrauen der Menschen zu werben, laut Madsen lernen, selbst zu vertrauen. Und zwar mit allen Gefahren inklusive! "Wir lernen Autofahren und fahren dennoch hin und wieder gegen einen Baum. Das ist nicht schön, aber wir müssen einfach davon ausgehen, dass die Mehrheit der Menschen das kann", erklärte der parteilose Bürgermeister.
Claus Ruhe Madsen kritisierte auch offen fehlende politische Ehrlichkeit in den vergangenen Monaten sowie einen zu geringen Lerneffekt.
Und Madsen sagte auch: "Wir reden immer von ‚auf Sicht fahren‘, aber eigentlich schauen wir nur im Rückspiegel und fahren mit 300 km/h und keiner nimmt das, was wir aufgenommen haben unterwegs mit" – und meinte damit offenbar vor allem die Bundespolitik.
Dass er selbst zu mehr Vorausschau in der Lage ist, machte der Politiker an einem recht lustigen Beispiel deutlich: "Als ich gehört hab, Sachsen macht einen Lockdown, da bin ich sofort zum Frisör gelaufen." Madsen ahnte offenbar, dass die nächste Frisör-Schließung auch im Norden Deutschlands nicht lange auf sich warten lassen würde und sollte damit recht behalten.
Der Bürgermeister ist, so zeigt es seine Politik des vergangenen Jahres, offenbar ein Freund von strengen Maßnahmen, wenn sie wirken. Und dennoch setzte er diese mit Bedacht ein und stellte sich bei einigen Forderungen auch die Frage: "Bekämpfen wir damit das Virus oder den Menschen?"
Zudem entspann sich in der Runde eine interessante Auseinandersetzung zwischen der Journalistin Vanessa Vu und dem Virologen Hendrik Streeck. Vu plädierte dafür, Wissenschaft und Politik sauber zu trennen. Es sei zwar noch nicht erforscht, um welchen Faktor die Mutanten ansteckender seien als die zuerst aufgetretene Form des Coronavirus. Klar sei jedoch, dass sie mehr Menschen treffen könnten – das solle genug Anlass zur Sorge geben. Die Frage nach exakten Prozentzahlen überlasse sie gerne der Wissenschaft, sagte sie.
Streeck hielt dagegen, eine Mutante lasse sich nur am Anfang aufhalten, und das sei nicht geschehen, nun werde sie sich eben ausbreiten. Aufgrund solcher eher sorgloser Ansagen wird dem Wissenschaftler immer wieder vorgeworfen, den selbsternannten Querdenkern das Wort zu reden. Doch Vu wies die Idee zurück, man müsse "mit dem Virus leben", auch eine beliebte Formulierung von Streeck. Dazu wählte sie das Beispiel der indigenen Völker Nordamerikas, die fast alle von einem Virus getötet wurden. "Heute haben wir das Wissen und die politischen Mittel, so etwas aufzuhalten."
Dazu fiel Streeck offenbar wenig ein, er versuchte, Vu ins Wort zu fallen und ihre Aussage ins Lächerliche zu ziehen. Doch kurz darauf musste er eine weitere argumentative Niederlage einstecken. Vu legte den Finger in die Wunde und erinnerte daran, dass Streeck mit seinen Prognosen (keine dritte Welle, zum Beispiel) oft daneben lag. "Das war bei Ihnen nun einmal nicht so rühmlich", sagte sie lächelnd.